Herr Rauch, das Thema Flüchtlinge ist momentan in aller Munde. Einige unserer Arbeitgeber überlegen sich auch, Flüchtlinge einzustellen. Würden Sie ihnen dazu raten?
Grundsätzlich ja. Gerade, weil kleinere Unternehmen und Betriebe im ländlichen Raum oft Schwierigkeiten haben, Auszubildende oder Mitarbeiter zu finden, sind geflüchtete Menschen natürlich eine Chance, das Arbeitnehmer-Team zu verstärken. Unsere Erfahrung zeigt, dass Geflüchtete oft hochmotiviert sind und sich als wertvolle Mitarbeiter erweisen.
Dauert die Einarbeitung aber nicht länger als üblich? Geflüchtete müssen sich doch erst einmal an hiesige Arbeitsbedingungen gewöhnen und sich auch sprachlich zurechtfinden.
Das kommt darauf an. Wir vermitteln diejenigen Menschen, die bereits Integrations- und Sprachkurse absolviert haben. Zum einen ist den Geflüchteten also die deutsche Kultur – und somit auch die Arbeitswelt – nicht mehr fremd, und zum anderen können sie bereits Deutsch sprechen. Natürlich gibt es unterschiedliche Sprachniveaus und natürlich muss sich auch ein Geflüchteter einarbeiten.
Das Risiko liegt also auf Arbeitgeberseite? Wenn es nämlich nicht funktioniert, war die Einarbeitung umsonst und ich muss von neuem suchen…
Wir empfehlen Arbeitgebern einen niederschwelligen Einstieg. Mit einem Praktikum können Fähigkeiten, Stärken und Verbesserungspotenzial ausgelotet werden. Ebenso können beide Seiten schauen, wie sie in der Verständigung zurechtkommen. In vielen Fällen wird es Bedarf geben, die Sprachkenntnisse zu verbessern. Berufsbegleitend fördert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Sprachkurse.
Wenn während der Einarbeitung Fragen oder Probleme auftauchen, an wen kann sich ein Arbeitgeber dann wenden?
Bei Fragen rund um die Beschäftigung steht ihm sein Ansprechpartner des Arbeitgeber-Service der örtlichen Agentur für Arbeit zur Verfügung. Aus bisherigen Erfahrungen hat sich gezeigt, dass Betriebe mit einem Paten- oder Mentorenprogramm für Geflüchtete Probleme schnell und unkompliziert lösen.
Wie hoch ist das Risiko, dass ein Flüchtling während der Ausbildung oder Arbeit abgeschoben wird?
Während der Ausbildung geht man gar kein Risiko ein. Die Drei-plus-zwei-Regelung garantiert den Aufenthalt für die Dauer der Ausbildung und die zwei Jahre danach,wenn der Geflüchtete in dem Beruf arbeitet, den er gelernt hat. Ansonsten hängt das Risiko einer Abschiebung vom Aufenthaltsstatus des Geflüchteten ab. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Agenturen und Jobcenter beraten dazu detailliert.
Wie sieht denn das Bewerberpotenzial momentan aus? Besteht überhaupt die Möglichkeit, eine passende Fachkraft unter den Geflüchteten zu finden?
Eine passende Fachkraft zu finden ist schwierig. Gut zehn Prozent der bei uns gemeldeten Geflüchteten können ein Studium oder eine Ausbildung nachweisen, bei rund 30 Prozent müssen wir erst in der Praxis eruieren, welche Fähigkeiten sie mitbringen. Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sollte also bewusst sein, dass Geflüchtete die Fachkräfte von übermorgen sind. Wir müssen erst etwas investieren, bevor wir profitieren.
Was bedeutet es genau, dass Arbeitgeber erst investieren müssen?
Ich meine vor allem den zeitlichen Aspekt. Damit aus einem Geflüchteten ein qualifizierter Mitarbeiter wird, sollte sie oder er betriebsnah weiterqualifiziert werden. Das benötigt Zeit. Natürlich ist die Arbeitskraft während einer Qualifizierung nicht am Arbeitsplatz. Mein Rat an Arbeitgeber: Lassen Sie sich unbedingt von der Agentur oder dem Jobcenter vor Ort beraten! Für Arbeitsausfälle, die während der Einarbeitung oder der Qualifizierung entstehen, kann finanzielle Unterstützung beantragt werden. Diese liegt bei bis zu 75 Prozent des Gehalts des Mitarbeiters.
„Kümmerer-Programm für Geflüchtete auf gutem Weg“
Eineinhalb Jahre nach dem Start des „Kümmerer-Programms“ („Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Flüchtlinge“) des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg hat Wirtschafts- und Arbeitsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut Ende August zufrieden eine Zwischenbilanz gezogen: „Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, wie Integration in Ausbildung gelingen kann: indem alle Hand in Hand arbeiten. Das gilt ganz besonders für die Ausbildung im Betrieb. Wo Menschen unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten zusammenarbeiten und voneinander lernen, da wird Integration gelebt. Mit unserem ,Kümmerer-Programm‘ haben wir dafür ein bundesweit einmaliges Angebot etabliert.“
Mit den regionalen Kümmerern biete Baden-Württemberg flächendeckend Ansprechpartner für die Unternehmen und intensive Unterstützung für ausbildungsinteressierte Geflüchtete an, so die Ministerin. Hoffmeister-Kraut: „Damit sind wir bundesweit Vorreiter und sehen schon erfreuliche Erfolge.“ In den ersten 16 Monaten des Förderprogramms wurden bereits knapp 1.900 Geflüchtete begleitet und mit den Vorteilen der beruflichen Ausbildung vertraut gemacht. Dadurch kamen durch das Kümmerer-Programm bislang über 1.600 Vermittlungen in Ausbildung oder ausbildungsvorbereitende Praktika zustande. „Rund 350 Geflüchtete haben durch unser Kümmerer-Programm bereits eine Ausbildung begonnen oder einen Ausbildungsvertrag zum Ausbildungsjahr 2017/2018 abgeschlossen. Das ist ein guter Anfang und ich bin optimistisch, dass wir damit auf einem guten Weg sind, auch weil sich die Sprachkenntnisse der Neuzugewanderten weiter verbessern“, betonte die Ministerin. Auch der Informationsbedarf rund um die Ausbildung von Geflüchteten sei groß. In etwa 4.300 Beratungsgesprächen wurden bislang über 1.500 Betriebe rund um das Thema Ausbildung von Geflüchteten durch die Kümmerer des Wirtschaftsministeriums beraten.