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TTIP: Interview mit Lutz Güllner, Europäische Kommission

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Bei TTIP gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen befürchten große Nachteile und Risiken, andere sehen in dem Abkommen die Lösung all unserer Probleme. Was ist richtig?

Lutz Güllner ist seit März 2015 Leiter des Referats Kommunikation in der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission.
Lutz Güllner ist seit März 2015 Leiter des Referats Kommunikation in der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt momentan auf der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP.

Keines von beidem. Das Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten ist weder Patentlösung noch unbändiges Monster. Es ist ein Handelsabkommen, das sich in eine Reihe von bereits abgeschlossenen oder noch auszuhandelnden Abkommen mit anderen Partnern in der Welt stellt. Wir verhandeln momentan mit mehr als 20 anderen Partnern, wie etwa Japan oder einer Reihe von asiatischen Staaten. Mit anderen haben wir die Verhandlungen bereits abgeschlossen, wie etwa mit Südkorea. Europa lebt vom Handel und braucht diese Abkommen mit unseren Wirtschaftspartnern. Und das gerade in einer Zeit, in der die WTO und der multilaterale Prozess nicht so richtig vom Fleck kommen. Da ist es doch fast absurd, unseren wichtigsten Handelspartner – die Vereinigten Staaten – auszunehmen.

Bringen diese Handelsabkommen denn die positiven Effekte, von denen die Befürworter sprechen?

Ja, natürlich. Wir können das an den bereits bestehenden Abkommen ablesen. Nehmen Sie unser Abkommen mit Südkorea, das seit vier Jahren in Kraft ist. Seitdem das Abkommen Anwendung findet, sind die europäischen Exporte um mehr als 50 Prozent gestiegen, der Anteil europäischer Waren in Korea ist von 9 auf 12 Prozent gestiegen und Europas Waren sind auf dem koreanischen Markt so gut aufgestellt wie nie zuvor. Davon profitiert ganz Europa, ob es Unternehmen oder Verbraucher sind. Handel ist und bleibt eine wichtige Stütze – meistens sogar ein regelrechter Motor – unserer Wirtschaft. Das ist empirisch bewiesen. Und das gilt ebenso für ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten.

Was sind denn die wesentlichen Vorteile, die man sich von TTIP erhofft?

Zunächst sind das natürlich die wirtschaftlichen Effekte. Da kann man sich über Details der zu erwartenden Vorteile streiten, aber alle seriösen Studien bestätigen einen positiven Effekt für Europas Volkswirtschaft. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo wahrscheinlich die meisten Vorteile zu erwarten sind, nicht zuletzt auch wegen des starken Exportsektors. Genauso wichtig ist aber auch die Tatsache, dass man mit einem solchen Abkommen neue Regeln setzen oder bestehende weiterentwickeln kann. Viele der WTO-Regeln entsprechen heute nicht mehr ganz den Anforderungen der Zeit. Oder es gibt klare Lücken im heutigen Regelwerk, wie etwa bezüglich des Bereichs Energie und Rohstoffe, der von den WTO-Regeln gar nicht richtig erfasst wird. Hier wollen wir mit TTIP auch die internationalen Regeln weiterentwickeln und klarer gestalten. Einerseits ist das wichtig im direkten bilateralen Verhältnis, andererseits setzt man insgesamt die internationale Messlatte höher. Das gilt auch für Standards und Normen. Eine Norm, die gemeinsam von den USA und Europa unterstützt wird, hat zweifelsohne auch weltweit großen Einfluss. Und schließlich geht es auch um Werte. Etwa der wichtige Bereich der Nachhaltigkeit, wo Europa nicht auf eigene Faust und alleine agieren kann, sondern Partner braucht. Die USA sind uns hier in vielen Bereichen sehr ähnlich und ein wichtiger Partner, mit dem wir gemeinsam diese Punkte international voranbringen können.

Wie muss man sich den Inhalt und Aufbau von TTIP vorstellen? Welche Bereiche umfasst es?

Das Abkommen besteht aus drei großen Teilen. Zum einen der „klassische“ Bereich des Marktzugangs, etwa Zölle, Dienstleistungen, aber auch – und das ist sehr wichtig für die EU – im Bereich der öffentlichen Beschaffungsmärkte und Ausschreibungen. Zum zweiten ist es der Bereich der sogenannten regulatorischen Kooperation. Da geht es nicht etwa um die Absenkung von Standards, sondern um ein einfaches Grundprinzip: In den Bereichen, in denen wir bereits heute das gleiche Regulierungsziel verfolgen oder mit fast identischen Ansätzen arbeiten, wollen wir diese Gemeinsamkeiten auch gegenseitig anerkennen. Das wird aber nur in einigen Bereichen möglich sein; in vielen anderen – gerade da, wo unsere Ansätze durchaus unterschiedlich sind – wird das nicht gehen. Da bleibt dann auch alles beim Alten. Und wir wollen in der Zukunft bei neuen Themen zusammenarbeiten. Zum dritten geht es um die Handelsregeln, die man weiterentwickeln möchte, etwa bei der Zollabwicklung.

Müssen sich Verbraucher Sorgen machen, dass Standards abgesenkt werden, etwa im Lebensmittelbereich?

Ganz klar: nein. Wir wollen keine generelle Angleichung oder Anerkennung all unserer Normen und Standards. Dafür gibt es zu viele Unterschiede. Nur dort, wo wir gleiche Herangehensweisen haben, wird das möglich sein. Wir wollen in erster Linie Hürden abbauen, die gar keine spezifische Funktion erfüllen, wie beispielsweise Doppelanforderungen, unnötige Zertifizierungsvorschriften oder unterschiedliche Testdesigns. Ziel ist es, die Regulierungsbehörden an einen Tisch zu bekommen, und in den Bereichen, wo das möglich ist, gemeinsame Ansätze zu entwickeln. Eine Absenkung der Standards wird es nicht geben. Nehmen wir ein Beispiel: Hormonbehandeltes Fleisch ist in der EU nicht zugelassen. Das wird sich auch nicht durch oder wegen TTIP ändern. Dem würde auch kein europäisches Parlament zustimmen.

Was hat der Landwirtschaftssektor zu erwarten?

Wir wollen dem europäischen Landwirtschaftssektor neue Möglichkeiten auf dem US-Markt schaffen. EU-Exporteure sind sehr stark, gerade bei hochqualitativ verarbeiteten Produkten, bei denen wir heute schon einen Handelsüberschuss aufweisen können. Hier gibt es noch viele Hürden auf der US-Seite, etwa hohe Zölle oder schwer nachvollziehbare Einfuhrformalitäten. Andererseits gibt es aber auch Grenzen, und in einigen Bereichen wird eine vollkommene Liberalisierung nicht möglich sein.

Steht das Vorsorgeprinzip durch TTIP zur Disposition?

Nein, natürlich nicht. Das Vorsorgeprinzip ist in den europäischen Verträgen verankert und kann nicht durch TTIP aufgehebelt werden.

Was bringt TTIP den kleinen und mittelständischen Unternehmen?

Wir gehen davon aus, dass gerade die KMU besonders von TTIP profitieren werden. Viele der heute bestehenden Hürden und Probleme sind von den großen Unternehmen leicht zu schultern. Sie haben genug Ressourcen und Personal, damit umzugehen. Ein mittelständisches Unternehmen hat hier viel größere Probleme: Da kann eine vorgeschriebenen Doppelinspektion oder zusätzliche administrative Formalitäten schnell den Markt unerreichbar machen. Wir haben uns diesen Bereich sehr genau angesehen, auch mit einer Reihe von Studien und genauen Umfragen unter den betroffenen Unternehmen. Wir wissen, dass gerade die KMU besonderen Wert auf die regulatorische Zusammenarbeit legen, da sie hier proportional viel stärker betroffen sind als die Großen. Außerdem wollen wir die wichtige Rolle der KMU in unseren Volkswirtschaften anerkennen und fördern, indem wir ihnen ein eigenes KMU-Kapitel in TTIP widmen. Das ist ein absolutes Novum für einen Handelsvertrag. Damit wollen wir Dinge vereinfachen, transparenter und klarer gestalten, nicht zuletzt auch durch entsprechende Informationen, die KMUs dringend benötigen und nicht immer leicht finden können.

Beim Thema Investitionsschutz gab es besonders starke Kontroversen. Wie sieht hier der Stand der Dinge aus?

Die Debatte zum Investitionsschutz war in der Tat sehr intensiv. Wichtig dabei ist zu erwähnen, dass der Investitionsschutz und entsprechende Schiedsgerichte kein neues Phänomen sind, sondern seit vielen Jahren bestehen und keine großen Probleme bereitet haben. Übrigens waren es in der Vergangenheit gerade die europäischen Unternehmen, die dieses Instrument am meisten genutzt haben. Wichtig ist hier immer wieder zu unterstreichen: Es geht nicht um Zusatzrechte für Investoren, sondern um einen Rechtsschutz im Falle von Diskriminierung oder Enteignung. Allerdings ist ein Reformbedarf in diesem Bereich nicht abzustreiten. Die Kommission hat deswegen einen neuen und modernen Ansatz entwickelt, der zu großen Teilen bereits in unserem Abkommen mit Kanada zu finden ist. Dabei geht es um die Einrichtung eines gerichtsähnlichen Systems, in dem nicht mehr die Konfliktparteien die Schiedsrichter bestimmen, sondern die Vertragspartner, also die öffentliche Hand. Außerdem soll in unserem Ansatz das System viel transparenter und klarer gestaltet werden, mit einem klaren Recht auf Regulierung seitens der öffentlichen Hand. Wir haben unseren Reformvorschlag mit den EU-Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament abgestimmt und ihn vor kurzem in die Verhandlungen eingebracht.

Wer wird denn über TTIP letztlich entscheiden? Sind die nationalen Parlamente, wie etwa der Bundestag, auch eingebunden?

Die Kommission verhandelt auf der Grundlage eines Mandats, das uns die EU-Mitgliedsstaaten einstimmig erteilt haben. Dieses Mandat gibt sehr genau vor, was verhandelt werden soll und was nicht. Beispielsweise steht darin, dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht gefährdet werden darf. An diese Vorgaben muss sich die Kommission bei den Verhandlungen halten. Auch während der Verhandlungen stimmt die Kommission jeden Schritt mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament ab, die eng in den Prozess eingebunden sind. Am Ende der Verhandlungen wird die Kommission beiden Institutionen einen Vorschlag unterbreiten, der dann sowohl von den Mitgliedstaaten als auch durch das Europäische Parlament angenommen werden muss. Und wenn es sich um ein sogenanntes gemischtes Abkommen handelt – und davon gehen wir aus –, müssen am Ende auch die nationalen Parlamente zustimmen. Also, die demokratische Kontrolle ist doppelt und dreifach gewährleistet.

Oft wird kritisiert, dass die Verhandlungen intransparent seien. Stimmt dieser Vorwurf?

Nein, eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Noch nie gab es zu bilateralen Handelsverhandlungen mehr Informationen und Dokumente wie zu TTIP. Natürlich kann man ein solches Abkommen nicht auf dem Marktplatz oder vor laufenden Kameras verhandeln. Dann würde man wahrscheinlich kein Ergebnis erreichen. Das gilt ebenso für andere Verhandlungen, etwa Koalitionsverhandlungen. Andererseits wollen wir erklären und zeigen, was wir dort verhandeln und mit welchen Positionen wir in die Verhandlungen gehen. Gleich nach ihrem Dienstantritt im Herbst 2014 hat die EU-Handelskommissarin Frau Malmström eine Transparenzoffensive gestartet. Seitdem kann man alle wichtigen EU-Dokumente, etwa detaillierte Berichte der Verhandlungsrunden oder sogar die EU-Textvorschläge in den Verhandlungen, auf unserer Website nachlesen. Wir haben sichergestellt, dass alle EU-Parlamentarier Zugang zu den Verhandlungstexten haben. Vor kurzem haben wir auch eine Regelung mit den Mitgliedstaaten gefunden, die den Zugang der nationalen Parlamentarier zu den Dokumenten ermöglicht.

Wann werden denn die Verhandlungen abgeschlossen? Wie sieht der Zeithorizont aus?

Das ist schwierig vorherzusagen. Gerne würden wir noch mit der jetzigen US-Regierung die Verhandlungen abschließen. Auch die EU-Mitgliedstaaten, etwa die Bundesregierung, mahnen uns immer wieder zur Eile. Wir werden uns allerdings nicht ausschließlich durch einen Zeitrahmen leiten lassen, sondern vom Inhalt der Verhandlungen. Am Ende muss ein gutes Abkommen herauskommen, das im Interesse Europas ist. Das ist der Maßstab.

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