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„Das GENO-Haus kann ein Role Model sein“. Interview mit Futurologe Max Thinius

Futurologen Max Thinius im Gespräch mit der Geno Graph Redaktion
BWGV

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Herr Thinius, was waren Ihre Empfindungen, als Sie das GENO-Haus zum ersten Mal betreten haben?

Meine erste Empfindung war „Dieter Rams lebt“ – der legendäre Designer mit diesen umsichtigen Gestaltungskonzepten; das sofortige Gefühl, dass hier eine außerordentliche Qualität vorhanden ist, die in einer sehr stimmigen, aber eben nicht rückwärtsgewandten, sondern witzigerweise in einer sehr modernen Form zustande kommt. Und das ist etwas, was in den meisten Neubauten nicht geschafft wird. Dort hast du immer das Problem, dass der Projektentwickler diese Gebäude zehn bis 15 Jahre rentabel halten muss und danach hat die Folgekosten derjenige zu tragen hat, der sie übernimmt. Und hier merkst du es dem Haus schon beim Empfang an: Es ist beim ersten Mal so gewesen, es ist heute so gewesen – ich habe meinen Namen kaum ausgesprochen, heute war es schon beim Reinkommen: „Ah, Herr Thinius.“ Das ist eine Qualität, die ja auch zu einem Haus gehört. Es besteht ja nicht nur aus dem Stahl und Beton, der hier verbaut wurde. Wenn es einen festen Stamm an Menschen hat, die sich um das Haus kümmern – das macht eine Qualität aus, die einzigartig ist. Gerade jüngere Menschen schätzen das sehr, weil sie nämlich in diesem Übergang von Industrialisierung und Digitalität feststellen, dass ihnen diese Werte, dieses Persönliche, das Gefühl, dass hier jemand wirklich für dich da ist und nicht nur dein Geld will, fehlt.

Sie haben gerade von dem Begriff der „Digitalität“ gesprochen – was verstehen Sie darunter?

Wir reden fälschlicherweise immer von Digitalisierung. Fälschlicherweise deshalb, weil Digitalisierung die Technologie bezeichnet, die wir entwickeln. Diese allerdings ohne die Realität des Lebens zu betrachten, ist relativ schwachsinnig. Denn: Ich kann technologisch eine ganze Menge erzeugen. Ich kann auch gerade im Bereich der so genannten Künstlichen Intelligenz irrsinnige Fortschritte erzielen, aber das ist in etwa so, als würden wir das Autofahren erfinden und auf den heutigen Stand bringen, aber keine Verkehrsregeln dazu. Das heißt, es wird erst dann relevant, wenn ich es in die Realität einpasse und mir überlege, wie ich damit die Lebens- und Wirtschaftsqualität für Menschen verbessern kann. Wenn ich mir das nicht überlege, bin ich ein, Entschuldigung, „Arschloch“. Weil, dann nutze ich Gesellschaft oder Umwelt oder irgendetwas aus und sorge für einen negativen Effekt, der nur für meine Bilanz positiv ist. Wenn ich mich aber darum kümmere und Technologie und Gesellschaft zusammenführe und daraus den Wunsch habe, Lebens- und Wirtschaftsqualität für Menschen oder die Gesellschaft zu erzeugen, dann entstehen Systeme, die sich von selbst weitertragen. Deshalb finde ich, dass Digitalität ein viel treffenderer Begriff ist, weil er die Menschen mitnimmt und ihnen nicht nur eine Technologie vorsetzt, mit der sie dann vielleicht nichts anfangen können, sondern Ihnen zeigt, wie sie die neuen Möglichkeiten, besser zu leben, auch wirklich umsetzen können. 

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung von Gebäuden wie dem GENO-Haus mit Blick auf die Home-Office-Kultur?

Futurologe Max Thinius
Futurologe Max Thinius

Da muss ich einen Blick nach Rendsburg werfen. Dort entsteht ein Neubaugebiet und das ist so, wie typische Neubaugebiete in der Industrialisierung sind – Parzellen und so weiter. Und dann hat man festgestellt, dass es schwierig ist, hier Grundstücke zu verkaufen. Daraufhin entstand die Idee, einen Co-Working-Space zu schaffen, der genossenschaftlich organisiert ist. Das heißt, jeder, der dort wohnt, bekommt automatisch Anteile, Unternehmen können auch Anteile erwerben. Auf einmal ist die Hütte voll und die Leute haben Interesse daran. Dazu kommt noch ein so genanntes „Work & Surf“-Konzept. Das heißt, Leute, die in diesem Co-Working-Space für Unternehmen arbeiten, die eventuell in Süddeutschland sitzen, haben die Möglichkeit, um 15:30 Uhr Dienstschluss zu machen und danach Surfen oder Segeln zu gehen oder was auch immer. Das sorgt dafür, dass sehr viele Bewerbungen aus ganz Deutschland kommen und es dort überhaupt kein Problem mehr gibt, die berühmten Fachkräfte dorthin zu locken. Ich erzähl‘ das, weil es in einem solchen Haus wie dem GENO-Haus nicht nur darum geht, dass hier Open Offices oder Co-Working Möglichkeiten bestehen, sondern es geht auch um die Idee, die hinter diesem Haus steht. Das heißt, der genossenschaftliche Gedanke sorgt auch dafür, dass Menschen hier anders behandelt werden, als in anderen Co-Working-Spaces, die rein ertragsorientiert sind. Wer hierhin kommt, hat die Erwartung, dass er sich zu Hause fühlt, dass er hier langfristig eine Beziehung mit diesem Umfeld aufbauen kann und nicht nur einen Tisch mietet. Das sieht man auch an den Volksbanken und Raiffeisenbanken, die im Vergleich zu anderen Banken einen kommunalen und einen gesellschaftlichen Wert in ihrem Denken sehen. Man merkt das sofort, wenn man mit Menschen in diesen Unternehmen arbeitet und spricht, das ist ein anderes Denken als bei Menschen in Großunternehmen, die nur auf Effizienz und Gewinnmaximierung für den Konzern ausgerichtet sind. Das macht so eine Atmosphäre aus und ich glaube, dass so ein Haus deshalb nicht nur durch die Struktur sehr flexibel ist. Man kann hier besser umbauen als in vielen Neubauten, die ich auch kenne, weil man in den 70er Jahren, als das Haus gebaut wurde, diese Flexibilität vorhergesehen hat und gesagt hat, man will etwas, was sich in die Gesellschaft integriert. Man muss hier allerdings zeigen, dass dieses Haus zusammen mit dem genossenschaftlichen Grundgedanken ein Role Model dafür sein kann, wie wir in der Digitalität leben wollen. Nämlich mit mehr Teilhabe, mit mehr Miteinander, mit mehr Möglichkeiten, sich täglich neu zu vernetzen. Das kann dieses Haus ausdrücken und dafür kann es stehen. Und wenn Menschen das erkennen, dann kommt dieses hier für sie in Frage, denn es gibt nichts vergleichbares in ganz Deutschland. Deshalb ist der genossenschaftliche Gedanke für mich immer mit Stuttgart verbunden, weil es hier dieses Monument des Geno-Hauses gibt.

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