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Zur Diskussion über Landwirtschaft: Vielfalt muss mit Vielfalt begegnet werden

BWGV Diskussion zur Landwirtschaft
ZG Raiffeisen eG

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Als Ende November 2019 mehrere tausend Landwirte in Berlin gegen zu weitreichende politische Forderungen bezüglich des Insekten- und Gewässerschutzes sowie der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln demonstrierten, war ein Schild zu sehen, auf dem geschrieben stand: „Belastbare Daten statt belastete Familien“. In diesem kurzen Slogan stecken zwei wichtige Aspekte, die bei der aktuellen Diskussion rund um die Landwirtschaft wesentlich sind.

Erstens: Landwirte – insbesondere kleinere Familienbetriebe – sehen sich zunehmend überfordert angesichts immer höherer Auflagen und umweltpolitischer Forderungen. Sie fragen sich, ob ihr Betrieb überhaupt noch Zukunft hat. Sie fühlen sich von immer neuen Verordnungen und Gesetzen gegängelt, spüren eine sinkende Wertschätzung gegenüber ihrem Tun und bemängeln fehlende unternehmerische Planungssicherheit.

Zweitens: Verantwortungsvoll handelnde Landwirte leiden darunter, dass sie immer öfter pauschalen, undifferenzierten und oftmals schlichtweg falschen Vorwürfen ausgesetzt sind, die mit belastbaren Daten nicht viel zu tun haben: Sie seien Tierquäler, Klimasünder, Bodenvergifter oder Insektentöter, müssen sie sich anhören. Mancher Landwirt spricht offen von Stigmatisierung und Mobbing, auf anderen Plakaten in Berlin war „Bauern-Bashing“ zu lesen. Erschwerend aus Sicht der Landwirte kommt hinzu, dass die Vorwürfe an die Landwirtschaft nicht selten von Teilen aus Politik und Gesellschaft kommen, die ein komplett anderes Wunschbild haben, als das, was den Alltag eines Hofs ausmacht. Es handelt sich um ein sehr archaisches und verklärendes Bild von Landwirtschaft, das an einer Welt festhält, in der alles regional, genügsam, ursprünglich und einfach ist.

Komplexe Zusammenhänge erkennen

Einfach sind die komplexen Zusammenhänge in der Landwirtschaft jedoch nicht. Es geht um die Verantwortung für die Versorgung von 80 Millionen Menschen mit gesunden Lebensmitteln. Es geht um wirtschaftlich notwendige Eigeninteressen. Es geht um den Einklang mit Natur und Umwelt. Es geht um Landschaftspflege. Es geht um Vertriebsmöglichkeiten und um Verbraucherverhalten. Es geht um internationale Konkurrenz und Preisverfall. Und es geht um absolut notwendigen Umwelt-, Arten- und Klimaschutz und die Bereitschaft, sich auf nachhaltige Veränderungen einzulassen. Denn: Wir haben in Deutschland unbestritten große Herausforderungen bezüglich des in manchen Regionen hohen Nitratgehalts in den Böden, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen.

Wer aber die Massentierhaltung anprangert, der muss in seine Kritik auch den Verbraucher miteinbeziehen, der sich – im Gegensatz zu permanenten Beteuerungen – nach wie vor in erster Linie vom Preis leiten lässt und häufig zu billiger Importware greift, hergestellt in Ländern mit bedeutend geringeren Umweltauflagen als in Deutschland. Ebenso gilt: Wer von der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten spricht, muss sich darüber im Klaren sein, dass damit Komplettausfälle von Ernten wahrscheinlicher werden und der Anteil an regionalen Lebensmitteln im Regal sinkt. Und er muss berücksichtigen, dass Pflanzenschutzmittel nicht nur in der konventionellen Landwirtschaft, sondern ebenso beim Bio-Anbau eingesetzt werden.

Interessenlage aller Akteure berücksichtigen

Ein gutes Beispiel für diese nicht einfach zu lösenden komplexen Zielkonflikte zwischen politischen Umweltforderungen einerseits und auskömmlicher Landwirtschaft andererseits ist das Volksbegehren „Artenschutz – Rettet die Bienen“ in Baden-Württemberg. Motiviert von dem erfolgreichen Volksbegehren in Bayern wurde auch im Südwesten solch eine Initiative gestartet, und es wurde damit begonnen, Unterschriften zu sammeln – für noch weitreichendere Forderungen als bei den Nachbarn im Osten. Seitens des BWGV haben wir uns nach eingehender Prüfung aller vorliegenden Fakten klar positioniert und erklärt: Dem Ziel der Initiative, die Artenvielfalt im Land zu erhalten und zu fördern, stimmen wir in vollem Umfang zu. Doch um diese Ziele nachhaltig verfolgen zu können, bedarf es eines Maßnahmenpakets, das fachlich fokussiert die Interessenlage aller betroffenen Akteure und die Konsequenzen für Mensch und Umwelt in angemessener Weise berücksichtigt. Denn dies ist unbedingt notwendig, um tatsächlich nachhaltigen Artenschutz in der Mitte unserer Gesellschaft zu verankern. Hier, so haben wir klargelegt, scheitert die Initiative. Der Gesetzentwurf verfolgt zwei wesentliche Grundlinien. Zum einen soll der Pflanzenschutzmitteleinsatz in der Landwirtschaft pauschal reduziert und in Schutzgebieten vollkommen verboten werden. Pflanzenschutzmittel sind sowohl im konventionellen als auch im biologischen Landbau in vielen Fällen notwendig, um Ernteverluste von bis zu 80 Prozent zu verhindern. Dies gilt insbesondere für den in Baden-Württemberg stark vertretenen Wein-, Obst- und Gemüsebau. Ohne Pflanzenschutz und ohne praxistaugliche Alternativen würde die heimische Produktion unweigerlich verdrängt werden. Außerdem muss als Besonderheit bedacht werden, dass in Baden-Württemberg rund ein Drittel aller Flächen als Schutzgebiete ausgewiesen sind – darunter etwa das bedeutende Weinanbaugebiet Kaiserstuhl.

Zum anderen sollen die ökologisch bewirtschafteten Flächen bis zum Jahr 2035 auf bis zu 50 Prozent ausgeweitet werden. Hierbei ist zu bedenken, dass auch der Markt für biologisch erzeugte Produkte dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt. Wird deren Produktion ausgeweitet, ohne dass die Nachfrage in gleicher Weise nachzieht, würde es daher zu einem Überangebot an Bio-Produkten kommen und damit zu einem Preisverfall, der die Bio-Höfe zwangsläufig in den Ruin treibt. Der Entwicklung des Biolandbaus wäre damit mehr geschadet als genutzt.

Bis zur Existenzbedrohung

Es zeigt sich: Was sich hinter dem für jeden Bürger leicht zu unterstützenden Motto „Rettet die Bienen“ verbirgt, würde einen gravierenden bis existenzbedrohenden Einschnitt in die heimische Landwirtschaft bedeuten. Es ist aber gerade die Landwirtschaft, die die Kulturlandschaften über Jahrhunderte gepflegt, geprägt und somit zur Entwicklung einer einzigartigen Flora und Fauna beigetragen hat. Ihr Verlust würde nicht nur das Angebot an regionalen Lebensmitteln einschränken, sondern auch massive Auswirkungen auf die Gebietskulisse zu Lasten von Mensch und Tier mit sich bringen. Die negativen ökonomischen Folgen auf die gesamte erweiterte Wertschöpfungskette wie etwa für das regionale Handwerk, die Tourismusbranche, das Landschaftsbild und den ländlichen Raum in Gänze sind kaum abzuschätzen. Aus diesem Grund ist es zu begrüßen, dass die Initiatoren des Volksbegehrens nach zahlreichen Hinweisen und Argumenten seitens der Landwirte, der Verbände sowie der Landespolitik vorerst die Werbung für die Unterschriftenaktion eingestellt haben. Einhellige Meinung der Kritiker des Volksbegehrens war und ist: Die Ziele des Volksbegehrens sind richtig, doch die Maßnahmen sind überzogen und könnten durchaus auch kontraproduktiv für die verfolgten Ziele des Umwelt-, Arten- und Klimaschutzes sein.

Volksantrag und Eckpunktepapier

In Reaktion auf das Volksbegehren sind zwei Prozesse in Gang gesetzt worden. Zum einen aus den Reihen der Landwirtschaft ein Volksantrag, und zum anderen hat das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz gemeinsam mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Eckpunkte zum Schutz der Insekten in Baden-Württemberg vorgelegt, die weite Teile des Volksbegehrens aufgreifen und weiterentwickeln. An der Ausgestaltung dieser Eckpunkte arbeiten auch wir als BWGV mit – gemeinsam mit anderen Verbänden. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Komplexität des Themas sachlich aufzuzeigen, die Situation der Landwirtschaft in der reellen Praxis zu verdeutlichen und ganz entscheidende Schwachpunkte des ursprünglichen Volksbegehrens mit zu befürchtenden weitreichenden schädlichen Folgen zu korrigieren.

Beide Initiativen – Volksantrag und Eckpunkte – haben zum Ziel, Naturschutz und Landwirtschaft näher zusammenzubringen. Beide arbeiten auf der Basis, dass große Schnittmengen und gemeinsame Interessen bestehen. Denn es steht außer Zweifel, dass die Landwirtschaft ein ebenso großes Interesse daran hat, die biologische Vielfalt zu stärken und zu schützen, die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und klimatisch bedingte Wetterextreme nicht weiter zu fördern, wie Vertreter des Umwelt- und Klimaschutzes. Die Bäuerinnen und Bauern in unserem Land leben mit und von der Natur. Der Großteil von ihnen handelt nach der tiefen Überzeugung, dass es ihnen nur gut gehen kann, wenn es auch der Natur und ihren Tieren gut geht. Sie wissen, dass ihre Existenz an bestäubenden Bienen und guten klimatischen Bedingungen hängt. Sie nutzen technische Entwicklungen, um mit möglich geringen Mengen von Pflanzenschutzmitteln höchstmögliche Qualität und Erntesicherheit zu erzielen. Landwirte binden mittlerweile Stickstoff aus der Luft über Leguminosen, sie bauen Humus in den Böden auf, investieren in Tierwohl und erweitern ihre Fruchtfolgen.

Südwesten im Naturschutz führend

All dies drückt sich auch in Zahlen aus: Die Landwirtschaft in Baden-Württemberg ist bereits jetzt bundesweit führend in der Umsetzung von Natur- und Umweltmaßnahmen. Auf mehr als 30 Prozent der Landesfläche wird über die gesetzlichen Vorgaben hinaus besonders naturnah gearbeitet. 2018 wurden auf 16.000 Hektar Blühmischungen ausgebracht, von einer noch einmal deutlichen Steigerung dieses Werts wird für 2019 ausgegangen. Der Anteil der biologisch wirtschaftenden Betriebe ist mit elf Prozent und der Anteil der biologisch bewirtschafteten Flächen mit 14 Prozent überproportional hoch. Zum Vergleich: Der Marktanteil biologisch hergestellter Produkte in Deutschland liegt trotz erheblicher Zuwächse in den vergangenen Jahren bei lediglich 5,2 Prozent. All dies sind frei zugängliche und der Branche bekannte Fakten. Und all die beschriebenen Zielkonflikte zwischen notwendigen Veränderungen aus Sicht des Umwelt-, Arten- und Klimaschutzes sowie den berechtigten Forderungen der Landwirtschaft sind ebenfalls evident. Trotzdem wird die Diskussion zumeist nicht in ihrer notwendigen Vielfalt und mit den sachlichen Argumenten beider Seiten geführt. Stattdessen werden komplexe Sachverhalte und in enger Korrelation stehende Zusammenhänge und Abhängigkeiten stark vereinfacht. Damit werden Informationen ausgeblendet, was wiederum zur Folge hat, dass Forderungen gestellt und Entscheidungen getroffen werden, die das angestrebte Ziel verfehlen und diesem sogar schaden können.

Keine Fakten ausklammern

Dies gilt mittlerweile für viele Themenbereiche sowie politische und gesellschaftliche Diskussionen. Menschen neigen dazu, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen, um sie für sich und andere verständlicher zu machen. Vermeintlich unwichtige Teilaspekte werden ausgeklammert und irgendwann komplett ignoriert – zumal wenn sie nicht in der veröffentlichten Meinungsbildung auftauchen. Dies kann aber bei der Findung von Lösungen für komplexe Sachverhalte, wie die Zukunft und die vielfältige Wertschöpfungskette der Landwirtschaft, verheerende Folgen haben, die wiederum im Gegensatz zu dem eigentlichen Ziel stehen. Es darf nicht zu einer konstruierten Wirklichkeit kommen, sondern Fakten und Konsequenzen müssen immer allumfänglich berücksichtigt werden – und nicht nur diejenigen, die der eigenen Zielverfolgung gerade in die Karten spielen. Vielfalt muss mit Vielfalt begegnet werden, Komplexität bedarf komplexer Überlegungen. Wer Simplifizierung und Einseitigkeit in der Darstellung von Fakten unbewusst oder populistisch bewusst betreibt, dem geht es selten um tatsächliche Verbesserungen.

Wir alle – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – müssen lernen, mit Komplexität umzugehen. Nach dem bedeutenden Soziologen Niklas Luhmann ist ein Mittel zur Reduktion von Komplexität Vertrauen. Doch Vertrauen setzt voraus, dass alle Beteiligten ehrlich an der bestmöglichen Lösung interessiert bleiben, auch wenn sie dafür ihre eigenen Ursprungsmeinungen anpassen müssen. Solch eine Offenheit und den Respekt vor sachlich richtigen Argumenten wünsche ich uns allen auch für die Diskussion um die Zukunft der Landwirtschaft und ihre Anpassungen an die Herausforderungen des Klima-, Arten- und Umweltschutzes. Gute Absichten allein reichen im besten Fall für ein vermeintlich gutes Gewissen, aber nicht, um tatsächlich nachhaltige Veränderungen herbeizuführen.

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