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Berufliche Fortbildungstrends – Alles digital und selbstgesteuert?

Berufliche Fortbildungstrends - BWGV-Akademie
BWGV

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Die Vorteile digitaler Lernangebote wie web-based Trainings (WBTs), Webinare und Videos liegen für Arbeitgeber auf der Hand: Digitale Lernangebote funktionieren orts- und zeitunabhängig. Unternehmen sparen Reise- und Arbeitszeitkosten, wenn ihre Mitarbeiter vom Firmen-PC aus ihr Wissen erweitern. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Im technischen Bereich erlernen Mitarbeiter zum Beispiel am PC per Simulation Arbeitsabläufe an neuen Maschinen oder trainieren Fehlersuche und Reparaturmodelle. Dadurch werden technische und menschliche Ressourcen geschont. Nicht zuletzt lassen sich die Bildungshistorien der Mitarbeiter digital einfach verwalten und auswerten. Aufgrund des wachsenden Bedarfs erweitert die BWGV-Akademie kontinuierlich ihre E-Learning-Angebote.

Aus der Sicht von lernenden Mitarbeitern halten sich Vor- und Nachteile digitaler Lernformate oft die Waage. Natürlich wissen Mitarbeiter das bequeme Lernen am eigenen PC zu schätzen. Befragt man Lerner nach ihren Lernerfahrungen mit WBTs und Videos, dann vermissen sie aber teilweise den Erfahrungsaustausch mit anderen und den direkten Kontakt zu einem Lernbegleiter. Dieses Empfinden ist nachvollziehbar und wird durch wissenschaftliche Arbeiten von John Erpendeck und Volker Heyse (Heyse, 2007, 2. Auflage) untermauert. Sie sind der Auffassung, dass sich rein digitale Lernformate wie WBTs vor allem dazu eigenen, um sich Wissen im engeren Sinne von Fach-, Sach- und Informationswissen anzueignen.

Erfahrungsaustausch gehört dazu

Wissen im weiteren Sinne erfolgt durch Erfahrungen, erlebten Handlungen und der Möglichkeit, diese zu reflektieren. Hierzu zählt der Aufbau von Kompetenzen, damit Mitarbeiter nicht nur etwas wissen, sondern handlungsfähig werden. Um Kompetenzen aufzubauen, bedarf es der sozialen Interaktion zwischen Lernenden untereinander und mit dem Lehrenden. Das ist der Grund, warum Lehrer auch in der digitalen Bildungszukunft nicht überflüssig werden. Ihre Rolle und die Art der Wissens- und Kompetenzvermittlung werden sich jedoch verändern. Die nahe Zukunftsvision von Hiu Li, Professor an der Universität Hongkong, sieht so aus: Digitale Lernumgebungen entwickeln sich zu sozialen Netzwerken, in denen Lerner individuelle Trainings nutzen und sich mit Lehrern und Mitlernern ausschließlich virtuell begegnen und austauschen (Hiu Li, 2018).

Erste Schritte in Richtung Digital-Social-Learning geht der neue Vorbereitungslehrgang zum geprüften Handelsfachwirt (IHK), der im Herbst 2019 in Karlsruhe startet. Die Lerner arbeiten zusammen auf einer Online-Lernplattform und können sich jederzeit untereinander und mit Lernbegleitern online austauschen. An zwanzig Tagen treffen sie sich zu Workshops, in denen sie gemeinsam prüfungsrelevante Fälle lösen, Erfahrungen austauschen und voneinander lernen.

Selbstgesteuertes Lernen

Wissen ist über das Internet weltumspannend und frei verfügbar. Der freie Zugang zu Wissen wird in westlichen Gesellschaften, im Gegensatz zu Gesellschaften in Entwicklungsländern, weniger als Chance zur Wohlstandsbildung betrachtet, sondern als individuelles Recht auf Entfaltung. Dies verändert zunehmend den Blick darauf, welchen Stellenwert die berufliche Fortbildung für Mitarbeiter und Unternehmen einnimmt. Internationale Unternehmen wie Microsoft unterhalten für ihre Mitarbeiter ein weltweit nutzbares, kostenloses Lernmanagementsystem. Die neue MAN eAcademy erlaubt allen Mitarbeitern Zugriff auf die gesamte, eigene digitale Angebotspalette. Mitarbeiter können sich ihre gewünschten Lerninhalte individuell zusammenstellen und eigenständig Kurse buchen. Führungskräfte wiederum können ihrem Team Kurse empfehlen. Auf dem digitalen Learning Campus von Adidas können Mitarbeiter nicht nur jederzeit Bildungsangebote nutzen, sondern sie tauschen auch untereinander Wissen aus und laden eigene Lerninhalte hoch und stellen sie Kollegen zur Verfügung.

Diesen Beispielen sind zwei Überzeugungen gemeinsam: Die Unternehmen „überlassen“ ihren Mitarbeitern die Autonomie darüber, was und wie viel sie lernen wollen. Alle Mitarbeiter sind für ihre berufliche Entwicklung selbst verantwortlich und steuern sie selbst. Als weiteren Aspekt positionieren sich diese Unternehmen als mitarbeiterfreundliche Arbeitgeber, welche die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter ohne Einschränkung unterstützen. Die betriebliche Personalentwicklung fokussiert vordergründig auf die Bedürfnisse des Mitarbeiters und nicht umgekehrt. Nebenbei lässt die Auswertung der individuellen Fortbildungshistorie eines Mitarbeiters Rückschlüsse auf das Engagement und die Motivation des Mitarbeiters zu und liefert Hinweise für den weiteren Einsatz des Mitarbeiters im Unternehmen.

Megatrend Selbststeuerung

„Selbstgesteuertes Lernen“ ist einer der Megatrends der beruflichen Bildung. Diese Umschreibung meint nicht nur die Freiheit des Lerners, Lerninhalte selbst zu wählen, sondern wird auch als Synonym dafür verwendet, dass Lerner ihren Lernprozess – also die Wissensaneignung – selbst steuern. Die Lerntheorie geht davon aus, dass der Lerner durch aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand und durch eine interaktive Beschäftigung mit den Inhalten, deutlich verbesserte Lernergebnisse erzielt. Die Vorstellungen davon, wie das selbstgesteuerte Lernen funktioniert und was darunter zu verstehen ist, gehen jedenfalls weit auseinander. Hermann J. Forneck (Forneck, 2003) hat dazu bemerkt, das die Reduktion von externer Steuerung der Lernthemen, -orte und -inhalte nicht automatisch zu selbstgesteuertem Lernen führt.

Selbstgesteuertes Lernen kommt nicht von selbst. Das ist nicht weiter verwunderlich. Die meisten beruflich aktiven Menschen haben ein Bildungssystem durchlaufen, in dem Lerninhalte, -ort und -zeit klar vorgegeben und von Dritten kontrolliert beziehungsweise abgeprüft wurden. Aufgrund dieser fremdgesteuerten Lernerfahrungen muss das selbstgesteuerte Lernen erst erlernt werden. Damit dieser Wandel der Lernkultur gelingt, bedarf es eines geeigneten Lernumfelds und der Lerner muss ein klares Ziel vor Augen haben. Selbstgesteuertes Lernen ist eigenverantwortliches Lernen. Für Bildungsanbieter besteht die Herausforderung darin, ein Lernumfeld zu gestalten, das Selbstlernen überhaupt ermöglicht. Weg von Face-to-Face-Unterricht und hin zu Arrangements, in denen Lerner anhand von konkreten Fallstellungen Lösungen entwickeln müssen, die das eigene Arbeitsumfeld spiegeln. Lernen und Arbeiten muss sich immer wieder verknüpfen lassen.

Erfolgsfaktor Gruppenerfahrung

Diese Art des Lernens kommt beispielsweise älteren Lernern entgegen, deren formale Lernerfahrungen aus Schule und Ausbildung schon lange zurück liegen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor des selbstgesteuerten Lernens ist die Gruppenerfahrung. Das Lernen in einer Gruppe wirkt nicht nur stabilisierend und motivierend, es ermöglicht den Austausch von Erfahrungen und bietet eine zusätzliche Informationsquelle. Mindestens genauso wichtig ist die Unterstützung durch einen kompetenten Lernbegleiter, der sich als Coach versteht und das eigene Lernen ermöglicht. Bildungsforscher Werner Sauter (Sauter, 2018) hält den Lernbegleiter darüber hinaus für erforderlich, weil er Feedback gibt und dem Lerner dabei hilft, seinen eigenen Kompetenzaufbau zu reflektieren und einzuschätzen.

Nach unseren Erfahrungen mit dem Lehrgang „Zertifizierter Onlinehändler“, der überwiegend Selbstlernelemente beinhaltet, kommen wir zum Fazit, dass Selbstlernen kein Selbstläufer ist. Die Teilnehmer sollten zuerst an Selbstlerntechniken herangeführt werden. Nach einer Einführungsphase, gewöhnten sich unsere Lerner an die neue Herangehensweise und erzielten in kurzer Zeit beachtliche Lernfortschritte. Die Absolventen sind mit dem starken Gefühl zurück in ihre Betriebe gegangen, dass sie sich den Erfolg gemeinsam im wahrsten Sinne des Wortes selbst erarbeitet haben. Die Transferstärke des Selbstlernkonzepts zeigte sich daran, dass alle Teilnehmer konkrete Lösungsansätze entwickelten, die sie im eigenen Unternehmen etablieren wollen. Einige setzten erste Veränderungen noch während des sechsmonatigen Lehrgangs um.

Literaturverzeichnis

Erpendeck, John und Heyse, Volker. (2007, 2. Auflage)

Die Kompetenzbiografie. Strategie der Kompetenzentwicklung durch selbstorganisiertes Lernen und multimediale Kommunikation. Münster.

Forneck, Hermann (2003)

Selbstgesteuertes Lernen und Modernisierungsimperative in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Gießen: Justus-Liebig-Universität.

Hiu Li, Universität Hongkong (2018)

Der Lehrer wird niemals ersetzt.

Didacta Magazin 2/2018

Sauter, Werner (2018)

Die Zukunft des Lernens – Selbstorganisierter Kompetenzerwerb durch personalisiertes Lernen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

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