Höhere Preise für Getreide und Milcherzeugnisse haben die Einkommen der Landwirte und die Umsätze vieler landwirtschaftlicher Genossenschaften im Jahr 2011 beflügelt. Umsatztreiber waren ferner die explodierenden Energiepreise. Ausgezeichnete Umsätze mit Äpfeln und Spargel kamen dazu. Die 367 landwirtschaftlichen Genossenschaften in Baden-Württemberg steigerten ihren Umsatz im vergangenen Jahr um 12,4 Prozent auf fast 3,5 Mrd. Euro. „Landwirte und Genossenschaften brauchen die Agrarterminmärkte mehr denn je, um sich gegen die starken Preisschwankungen abzusichern“, betonte Präsident Gerhard Roßwog vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband auf der Jahrespressekonferenz des Verbandes.
Roßwog erinnerte daran, dass sich die Europäische Union seit 1992 Schritt für Schritt aus der Regulierung der Agrarmärkte, der Preisstützung und dem Schutz landwirtschaftlicher Strukturen zurückgezogen hat. Dadurch seien die europäischen Agrarmärkte heute ein Teil des Weltmarktes und bekommen die globalen Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten unmittelbar zu spüren. Parallel dazu haben Auslandsmärkte für die deutsche Ernährungswirtschaft an Bedeutung gewonnen.
„Die Absicherung von Preisen an Warenterminmärkten ist sowohl für die Genossenschaften als auch für die Landwirte ein unverzichtbares Instrument der Risikosteuerung geworden“, unterstrich Roßwog. „Die Landwirtschaft verdient ihr Geld durch harte Arbeit, nicht durch Derivate, aber sie braucht heute diese Derivate, um sich gegen Preisrisiken zu schützen und Planungssicherheit zu schaffen. Es geht bei Getreide um Preisschwankungen von bis zu 30 Euro je Tonne am Tag.“
Umstritten sei allerdings der Einfluss, den reine Finanzanleger auf die Preisausschläge der Agrarmärkte nehmen, seit die Finanzmärkte auch Agrarrohstoffe als Anlage-Klasse entdeckt haben. „Wer an knappen Lebensmitteln und am Hunger verdienen will, geht keinen guten Weg“, unterstrich Roßwog. Heute sei es aber an den Warenterminmärkten nicht möglich, „böse“ Spekulanten von der Realwirtschaft zu trennen, die nur den Lohn ihrer Arbeit absichern will.
„Wir brauchen jetzt endlich Transparenz an den Derivatemärkten, und zwar bei den Agrarrohstoffen genauso wie bei den Finanzderivaten.“ Hier habe der europäische Gesetzgeber fast vier Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise noch nichts Wirksames zuwege gebracht. Bei der anstehenden Änderung der europäischen Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) sei es wesentlich, dass die Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft (sog. „Commercials“) getrennt von den Finanzanlegern behandelt werden, weil sie Verantwortung für die Nahrungsmittelversorgung tragen. Ferner müsse es darum gehen, die Agrarwirtschaft vor möglichen Ansteckungsrisiken aus der Finanzwirtschaft zu schützen.
Allgemeine Warenwirtschaft
Gewaltige Sprünge auf über 260 Euro je Tonne machten die Getreidepreise im Jahr 2011 und lagen im Jahresdurchschnitt um etwa 40 Prozent über dem Vorjahresbetrag. Dazu stiegen die Heizölpreise um rund 20 Prozent über ihren 2010er-Wert, ebenso ölpreisbedingt die Preise für Futtermittel.
Durch diese Einflüsse kletterte der Umsatz bei den Genossenschaften der allgemeinen Warenwirtschaft um volle 18 Prozent auf über 1,6 Mrd. Euro (Vorjahr: + 8,5 %). Die ZG Raiffeisen eG, Karlsruhe, sowie die Bezugs- und Absatzgenossenschaften bringen das Getreide der Landwirte an den Markt, bündeln für die Landwirte den Einkauf von Futter- und Düngemitteln und verkaufen landwirtschaftliche Maschinen, Heizöl und Kraftstoffe. Mit 414.000 Tonnen wurde 21 Prozent weniger Getreide aus der Ernte heraus erfasst (ohne Mais). Aufgrund von Frostschäden im nördlichen Landesteil droht 2012 eine weitere kleine Ernte.
Die elf Bezugs- und Absatzgenossenschaften in Baden-Württemberg steigerten ihren Umsatz um 15,6 Prozent auf 627 Mio. Euro (Vorjahr: + 9,7 %). Bei einem Mengenrückgang um 13 Prozent legte der Umsatz mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen um 22 Prozent zu. Im zweistelligen Plus lagen auch die landwirtschaftlichen Betriebsmittel (+ 18 %) sowie Brenn- und Treibstoffe (+ 17 %). Die verbesserte Einkommenssituation der Landwirte führte zu einem Investitionsboom. In Landtechnik wurde um 10 Prozent mehr investiert.
Genossenschaftliche Milchwerke
Die Wende des Jahres 2010 hat sich für die sieben genossenschaftlichen Milchwerke in Baden-Württemberg im Jahr 2011 in einem Aufschwung fortgesetzt. Die Umsätze kletterten um 11,6 Prozent auf 647 Mio. Euro (Vorjahr: + 5,8 %). Treibende Kraft waren vor allem bessere Preise für Milchprodukte, aber auch die Milcherzeugung legte deutlich zu. Bei den genossenschaftlichen Milchwerken wurden mit über 1,1 Millionen Tonnen Milch 3,4 Prozent mehr angeliefert. Die Auszahlungspreise für die Milcherzeuger je Kilogramm Milch konnten im Durchschnitt um 12 Prozent angehoben werden.
Die Binnennachfrage in Deutschland war zufriedenstellend, aber vor allem die gute Nachfrage aus dem außereuropäischen Ausland ließ höhere Preise auf dem deutschen Markt zu, der für die Baden-Württemberger maßgeblich ist. Die genossenschaftlichen Milchwerke verarbeiten etwa ein Drittel der Rohmilch zu Trinkmilch, ein weiteres Drittel zu Käse. Käse bleibt ein kontinuierlich wachsender, guter Markt. Ein starkes Absatzplus war im vergangenen Jahr auch bei Sahne, Jogurt und Desserts zu verzeichnen.
Die Zahlen der Allgäuland, die nicht mehr zur genossenschaftlichen Gruppe gehört, sind auch in den Vergleichszahlen des Vorjahres nicht mehr enthalten.
Wein
Die genossenschaftliche Weinwirtschaft steht in einem intensiven Strukturwandel. Sowohl in Baden als auch in Württemberg hat die Zahl der Weinerzeuger in den letzten zehn Jahren um über ein Viertel abgenommen – bei leicht zunehmender Rebfläche. In Württemberg führen zwei kleine Jahrgänge hintereinander zu kräftig steigenden Stückkosten in den Genossenschaften und haben einen erheblichen Handlungsdruck sichtbar gemacht. Im Jahr 2011 haben fünf Weingärtner- und Winzergenossenschaften mit eigener Kellerwirtschaft sowie vier Vollablieferer verschmolzen; auf der Tagesordnung für 2012 stehen fünf geplante Fusionen bzw. Kooperationen.
Die 40 badischen Winzergenossenschaften verkauften im Kalenderjahr 95,8 Mio. Liter Wein und Sekt (+ 2,8 %) und setzten damit 265 Mio. Euro (+ 2,0 %) um. Die 24 württembergischen Weingärtnergenossenschaften litten unter dem kleinen Jahrgang 2010 und mussten einen Absatzrückgang um 7,1 Prozent auf 75,7 Mio. Liter Wein hinnehmen. Ihr Umsatz ging aber lediglich um 1,4 Prozent auf 229 Mio. Euro zurück. Zusammen mit den Service-Unternehmen, zum Beispiel Südglas und WSG Möglingen, erreichte die genossenschaftliche Weinwirtschaft einen Umsatz von 538 Mio. Euro (+ 1,2 %; Vorjahr: - 0,9 %).
In Baden ist die Weinernte 2011 nach dem kleinen Vorjahr mit über 104 Millionen Litern quantitativ wie qualitativ sehr gut ausgefallen. Die knappe Bestandssituation bei Weißweinen hat sich aber nur unwesentlich entspannt, da bereits Ende Oktober die ersten Weißen des Jahrgangs 2011 in den Verkauf kamen. In Württemberg wurde aufgrund von Spätfrösten Anfang Mai mit 74 Millionen Litern erneut ein unterdurchschnittlicher Jahrgang eingebracht, der sich aber ebenfalls durch einen sehr hohen Prädikatsweinanteil auszeichnet. Die Weingärtnergenossenschaften gleichen die Lieferengpässe bei Weißweinen durch ein größeres Angebot von Blanc-de-Noir-Weinen und Rosé-Weinen aus.
Obst, Gemüse und Blumen
Frisches Obst, Gemüse und Blumen aus Baden-Württemberg werden von 22 Genossenschaften vermarktet. Sie haben ihren Umsatz im Jahr 2011 um 16,5 Prozent auf 358 Mio. Euro gesteigert (Vorjahr: + 4,8 %). Gut die Hälfte des Wachstums geht auf ausgezeichnete Umsätze mit Äpfeln und Spargel zurück. Dazu kam, dass die Vitfrisch eG in Neckarsulm ihre Marktstellung durch ein neues Mitglied und eine Kooperation deutlich gefestigt hat. Dadurch sind die Umsätze mit zugekaufter Handelsware kräftig gestiegen. „Handelsware lastet außerhalb der Saisonzeiten unsere Genossenschaften besser aus und schafft dadurch einen Mehrwert für die Mitglieder“, erklärte Genossenschafts-Präsident Roßwog dazu.
Mit 232 Millionen Kilogramm Äpfel aus Baden-Württemberg wurde eine um 15 Prozent größere Menge als im Vorjahr vermarktet. Bei Spargel wurde mit fast 6,4 Millionen Kilogramm eine Rekordernte zum Verbraucher gebracht (+ 18 Prozent). Spargel bleibt das wichtigste Freilandgemüse in Deutschland. Wegen der EHEC-Krise mussten 750.000 Gurken vernichtet werden, weil fälschlicherweise Gurken vorübergehend als Ursache galten.
Das Gemüse-Leuchtturmprojekt in Baden-Württemberg ist Ende März an den Markt gegangen. Die Reichenauer Gärtner haben am Autobahnkreuz Singen auf elf Hektar eines der modernsten Glashäuser Deutschlands geschaffen und wollen dort zukünftig 3 Millionen Kilo Paprika im Jahr erzeugen, die über eine strategische Allianz mit Edeka vermarktet werden. Paprika gehört in Deutschland zu den beliebtesten Gemüsesorten, aber weniger als 1 Prozent des Angebots kommt bisher aus Deutschland.