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Genossenschaften zeigen in Rottweil, was in einer Rechtsform steckt

Gesucht war der gemeinsame Nenner. Was hat Reichenau-Gemüse mit einer Volksbank gemeinsam, die Kachelofenbauer von der Hagos mit einer Raiffeisenbank oder die Intersport mit Friedhofsgärtnern: die Rechtsform der „eingetragenen Genossenschaft“. „Ein unsichtbares Band hält sie zusammen, macht sie zum Teil einer großen Familie“, erklärte Verbandsdirektor Gerhard Schorr vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband am Dienstag anlässlich eines Pressegesprächs. „Es geht um die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft.“ Immerhin sei jeder dritte Einwohner in unserem Bundesland Mitglied einer Genossenschaft.

Genossenschaftstag am Samstag, 7. Juli

Am kommenden Samstag wollen zahlreiche Genossenschaften in Rottweil ihre Rechtsform erlebbar machen und einen Einblick geben, wer alles zu der großen genossenschaftlichen Familie gehört. Der „Genossenschaftstag“ auf dem Münsterplatz wird um 9.50 Uhr von Oberbürgermeister Ralf Broß als Schirmherr und Gerhard Schorr eröffnet.

Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Anni Friesinger auf dem Münsterplatz

Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Anni Friesinger plaudert um 11 Uhr mit Moderator Thomas C. Breuer und steht anschließend für eine Autogrammstunde zur Verfügung. Um 11.45 Uhr steht der Schwimmer Christoph Burkard auf der Bühne, Goldmedaillengewinner der Paralympics 2004. Um 13.30 Uhr spenden die Genossenschaften an den Rottweiler Tafelladen und den Freundeskreis Wärmestube.

Natürlich ist für Essen und Trinken gesorgt bei guter Unterhaltung für Groß und Klein. Zum Beispiel mit der Comedy-A-cappella-Gruppe „Vokal5mal“ und einer Kabaretteinlage von Thomas C. Breuer.

Die Information soll dabei nicht zu kurz kommen: Die Volksbanken Raiffeisenbanken der Region stellen sich vor, die Reichenau Gemüse und die Baywa, die Genossenschaft Württembergischer Friedhofsgärtner, die Intersport Deutschland eG mit ihrem örtlichen Mitglied Intersport Kirsner, die Edeka, die einst als Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler entstanden ist, die Kachelofenbauer von der Hagos eG, die VR Enbekon eG, der Gewinnsparverein der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg e.V., die genossenschaftliche Finanz-Gruppe und die Audit GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Anlass: Internationaler Tag und Internationales Jahr der Genossenschaften

Der erste Samstag im Juli ist der Internationale Tag der Genossenschaften; dies hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1992 beschlossen. Das ist der Anlass für den Genossenschaftstag, der erstmals in Rottweil stattfindet, so Schorr.

„In diesem Jahr haben wir einen ganz besonderen Grund, diesen Tag zu feiern“, betonte er. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. „Darauf sind wir sehr stolz.“ In diesem Schritt spiegele sich wider, dass Genossenschaften auch in Entwicklungs- und Schwellenländern eine herausragende Rolle spielen, weil sie selbstbestimmtes Handeln ermöglichen. „Das Selbsthilfeprojekt von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch ist international ein Erfolgsmodell geworden.“

Die Idee hinter der Rechtsform

„Immer heißt der genossenschaftliche Grundgedanke: Wir bündeln unsere Kräfte, um gemeinsam etwas zu bewegen, als Hilfe zur Selbsthilfe, um selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen.“ So beschreibt Gerhard Schorr die Idee, die hinter der „eingetragenen Genossenschaft (eG)“ steckt. „Selbstbestimmt, nicht fremdbestimmt ist der Wesenszug von Genossenschaften.“

Eigenverantwortung und Selbstverwaltung seien die zwei großen Säulen jeder Genossenschaft. Die dritte Säule sei die Solidarität. „Ein Mitglied – eine Stimme“ heiße das demokratische Grundprinzip. Das bedeute, dass sowohl „größere“ wie „kleinere“ Mitglieder, unabhängig von ihrer Kapitalkraft, gleichgewichtet sind, dieselben Rechte und dieselben Pflichten haben.

Im Zeichen der Globalisierung sei ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Die Rechtsform der Genossenschaft schließe eine feindliche Übernahme aus. Strukturelle Veränderungen seien nur mit Dreiviertel-Mehrheiten möglich. „Dies verleiht unserer Unternehmensform eine große Stabilität.“

Genossenschaftsverband verzeichnet Gründungsboom
„Die Energiewende hat ein genossenschaftliches Profil“

Der Genossenschaftsverband verzeichnet in den letzten Jahren einen regelrechten Gründungsboom von Genossenschaften. „Wir konnten für 2011 den dritten Neugründungsrekord von Genossenschaften in Folge vermelden. 57 neue Genossenschaften wurden bei den Registergerichten im Land als Genossenschaft eingetragen“, sagte Schorr.

39 Gründungen entfielen auf den Bereich Energieerzeugung und -versor-gung und haben über 6.000 Bürgerinnen und Bürger aus dem Land zu neuen Mitgliedern einer Genossenschaft gemacht. „Die Energiewende hat also ein genossenschaftliches Profil.“ Aktuell gibt es in Baden-Württemberg genau 101 Energiegenossenschaften. Die Nummer 100 ist die Dettenhäuser Wärme (Kreis Tübingen), die jüngste Breitnau im Schwarzwald (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald).

Beides sind Nahwärmegenossenschaften wie zum Beispiel die Bürger Energie St. Peter, die Weiler Wärme in Pfalzgrafenweiler oder die Bio Energie Bittelbronn in Haigerloch. Das spiegele auch den aktuellen Gründungstrend wider, sagte Schorr.

Volksbanken Raiffeisenbanken

Die genossenschaftliche Gruppe der Volksbanken Raiffeisenbanken charakterisierte Henry Rauner, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Rottweil eG. Die genossenschaftliche Rechtsform, die Mitgliedschaft, binde die Volksbanken und Raiffeisenbanken an die Menschen und an die mittelständischen Unternehmen einer Region, betonte er. „Volksbanken Raiffeisenbanken stehen im Dienste der Realwirtschaft in der Region, sie sind konsequent auf das Geschäft mit ihren Mitgliedern und Kunden in ihrem Geschäftsgebiet ausgerichtet.“ Dieses Geschäftsmodell habe sich im weltwirtschaftlichen Orkan der Finanzkrise hervorragend als nachhaltiges Geschäftsmodell bewährt und bewähre sich in der Staatsschuldenkrise weiter.

„Wir waren nicht unter den Verursachern der Krise, wir waren und sind ein Pfeiler der Stabilität für den Mittelstand, wir sind ein zuverlässiger Kreditgeber geblieben“, unterstrich Henry Rauner zum Profil seiner Gruppe. Er kritisierte allerdings massiv, wie mit den Folgen der Finanzkrise umgegangen wird. „An den großen Risiken für das Finanzsystem hat sich nichts geändert, der Steuerzahler kann mehr denn je von systemrelevanten Banken erpresst werden. Richtig wäre es deshalb, in der Bankenaufsicht konsequent zwischen systemrelevanten, grenzüberschreitendenden Banken und nicht-systemrelevanten, regionalen Banken zu trennen.“

Die Volksbanken und Raiffeisenbanken kämpfen deshalb darum, so Rauner, dass Basel III in Europa risikogerecht umgesetzt wird. „Wir wollen vor allem den Mittelstandskredit und den langfristigen Festzinskredit für den Häuslebauer schützen. Basel III wälzt das Risiko steigender Zinsen von den Banken auf die Verbraucher ab. Das ist ein ganz unmöglicher, indiskutabler Vorgang.“

In Baden-Württemberg gibt es 230 Volksbanken und Raiffeisenbanken mit zusammen 3.422.981 Mitgliedern. Das bedeutet: Jeder dritte Einwohner in unserem Bundesland ist Mitglied einer genossenschaftlichen Bank.

Landwirtschaftliche Genossenschaften

Johannes Bliestle, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Reichenau-Gemüse eG, zeigte auf, wer alles zur Gruppe der landwirtschaftlichen Genossenschaften zählt. „Für alle Märkte, auf denen sich Landwirte bewegen, haben sie Genossenschaften gegründet. Das gilt für die Vermarktung von Getreide und Milch, Obst und Gemüse, Wein und Vieh. Die Raiffeisen-Genossenschaften versorgen ihre Mitglieder aber auch mit Betriebsmitteln, z. B. Futtermittel, Düngemittel, Maschinen; sie bündeln die Nachfrage, um günstige Preise zu erzielen.“

„Die genossenschaftliche Unternehmensphilosophie ist in der Landwirtschaft aktuell wie eh und je“, unterstrich Bliestle. Es gehe darum, die Kräfte gegenüber mächtigen, stark konzentrierten Partnern auf der anderen Seite des Marktes zu bündeln. „Die Genossenschaft ist der verlängerte Arm der Landwirte bis in die Regale des Einzelhandels hinein.“ Dabei bewahre sich der Landwirt ein Mitspracherecht. „Die ehrenamtlichen Vertreter der Landwirte im Vorstand und im Aufsichtsrat einer Genossenschaft bestimmen die Investitions-, Produktpolitik und Vermarktungsstrategie. Über die Rechnungslegung vor den Mitgliedern in der Generalversammlung und mit Unterstützung der genossenschaftlichen Prüfung sind Genossenschaften für ihre Mitglieder gläserne Unternehmen.“

In Baden-Württemberg stehen 367 landwirtschaftliche Genossenschaften im Dienste ihrer Mitglieder. Rund 114.000 Landwirte aus dem ganzen Land sind als Mitglieder die Eigentümer dieser Genossenschaften.

Gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften

Die Gruppe der gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften stellte Marius Kirsner vor. Er ist Inhaber eines großen Sportgeschäfts in Rottweil und Mitglied der Heilbronner Intersport eG. In den gewerblichen Genossenschaften sind vor allem Fach-Einzelhändler und Handwerker zusammengeschlossen. „Die Genossenschaften sind dort unentbehrlich, um die selbstständige Existenz des Mittelstandes zu sichern“, betonte Kirsner.

Darüber hinaus gebe es eine große Vielfalt von Dienstleistungs- und weiteren Genossenschaften. „Gerade diese Vielfalt zeigt, wie die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft lebt, auf wie viele Bedürfnisse sie anzuwenden ist: auf Omnibusunternehmer und Fachübersetzer, auf Ärzte und Schulen, auf Designer und Reisebüros, auf Dorfläden, auf die Energieerzeugung und auf den Maschinenbau genauso wie auf Pflegeheime.“

In Baden-Württemberg stehen 225 gewerbliche Genossenschaften, große wie kleine, lokale wie international aktive, im Dienste von über 40.000 Mitgliedern.

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