Der Weißwein in Baden droht schon wieder knapp zu werden. Präsident Gerhard Roßwog vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband sieht vom 2012er nur eine genossenschaftliche Ernte von rund 75 Mio. Litern, ein Viertel weniger als im Vorjahr. Ursache sei vor allem die schlechte Traubenblüte, deren Folgen lange unterschätzt worden sind, sagte er am Freitag in Baden-Baden bei der Baden-Badener Winzergenossenschaft eG. Der Trost: Die Qualitäten werden sehr schön. Am Montag beginnt in Baden die Hauptlese der Burgundersorten.
Bei den badischen Winzergenossenschaften hat vergangenen Montag die Hauptlese des Müller-Thurgau, der nach wie vor wichtigsten Weißweinsorte in Baden, zügig begonnen. Das letzte Wochenende hatte noch einmal einen enormen Reifefortschritt gebracht; schöne braune Bäckchen beim Müller-Thurgau signalisierten, dass er reif ist für die Lese. Auch die einsetzenden Herbstfarben im Laub sind ein untrügliches Zeichen für die Reife der Trauben. Am Montag beginnt die Hauptlese der weißen und roten Burgundersorten. „Die Trauben sind gesund wie selten, die Bestände stehen schön“, fasste Roßwog den aktuellen Stand in den Weinbergen zusammen.
Mit Beginn der Lese zeige sich allerdings, dass die Erntemenge kleiner als erhofft ausfalle, bedauerte Roßwog. Ursache sei vor allem die schlechte Traubenblüte, deren Folgen lange unterschätzt worden sind. Kühle Tage und der viele Regen habe seinerzeit die Blüte verzögert und zu sogenannten Verrieselungsschäden geführt, die sich nun gravierender auswirken als lange erwartet. Darüber hinaus wurde Südbaden vor allem im Markgräfler Land von dem großflächigen, schlimmen Hagelunwetter am 29. August getroffen, und im Kraichgau und in Tauberfranken gab es viel zu wenig Niederschläge. Roßwog erwartet deshalb für die badischen Winzergenossenschaften eine Erntemenge von rund 75 Mio. Liter (2011: 104 Mio. Liter; 2010: 79 Mio. Liter). Vor allem Gutedel, die Spezialität des Markgräfler Landes, werde es zu wenig geben, aber auch der Graue Burgunder bringe die erhofften Mengen nicht.
Dafür kommt der Genossenschafts-Präsident bei der Qualität ins Schwärmen. „Die Trauben sind eine Augenweide.“ Er erwartet bekömmliche, harmonische Weine vom 2012er, die sich durch feine Aromen auszeichnen.
Auch die Öchslewerte, die den Zuckergehalt der Trauben angeben, stimmen. Der Müller-Thurgau ist zum Teil mit deutlich über 80 Grad Öchsle in die Keller gekommen, das bedeutet ein Kabinettwein-Niveau im breiten Durchschnitt. Das bestätigt auch Christoph Zeidler, Kellermeister der Baden-Badener Winzergenossenschaft eG. Seine Müller wurden mit einem Durchschnittsmostgewicht von 83 Grad Öchsle gelesen. Vielversprechend seien seine intensiven Aromen, sagt Zeidler. Auch bei den Burgundersorten sieht der Baden-Badener Kellermeister in den guten Lagen bereits einen schönen Reifestand, sodass bereits für diese Woche die ersten Vorlesen angesetzt wurden. Die Spätburgunder liegen zum Teil schon bei über 90 Grad Öchsle. Beim Riesling, mit dem in Baden-Baden über die Hälfte der Weinberge bestockt ist, ist Zeidler auch guter Hoffnung, eine zufriedenstellende Menge ernten zu können. Für die kommende Woche sind die ersten Vorlesen angesetzt.
Die Reben hatten im Jahr 2012 einigen Stress zu verarbeiten, bilanzierte Roßwog. Der Januar weckte sie mit hohen Temperaturen aus dem Winterschlaf, aber Temperaturen bis minus 17 Grad im Februar und März beendeten diese Frühlingsgefühle mit einem Gefrierschock. Dann blieb es sehr trocken, bis Mitte Mai, aber die folgenden ergiebigen Regenfälle zogen die Blüte 14 Tage hin, was zu ungewöhnlich hohen Reifeunterschieden der Beeren innerhalb eines Trauben und schließlich zu unerwartet geringen Mengen geführt hat. Erst der August brachte mit seinem Wechsel aus hohen Temperaturen und reichlich Regen ideale Vegetationsbedingungen. Der September glänzte als Altweibersommer mit vielen sonnigen Tagen und frischen Nächten.
Winzergenossenschaften in Baden sehr gut am Markt unterwegs
Dank der passenden Ernte im Jahr 2011 sind die badischen Winzergenossenschaften weiterhin erfolgreich am Markt unterwegs. Im Kalenderjahr 2011 haben sie 95,8 Mio. Liter Wein und Sekt verkauft und sich damit einen Zuwachs von 2,8 Prozent erarbeitet. Auch in diesem Jahr hält der Aufwind an. Im 1. Halbjahr 2012 wurde mit 47,4 Mio. Liter 1,1 Prozent mehr Wein und Sekt abgesetzt.
Der wertmäßige Umsatz wurde im 1. Halbjahr sogar um 2,0 Prozent gesteigert – auf 128,9 Mio. Euro. Im Kalenderjahr 2011 setzten die badischen Winzergenossenschaften 264,8 Mio. Euro (+ 2,0 %) um. Genossenschafts-Präsident Gerhard Roßwog zeigte sich sehr zufrieden damit, dass trotz der Unsicherheiten über die Konjunkturentwicklung höhere Preise für badischen Wein durchgesetzt werden konnten. Dies schlägt sich in der Umsatzentwicklung nicht voll nieder, weil der Anteil von Weißweinen und Rosé-Weinen, die preisgünstiger sind als die Roten, mit dem Jahrgang 2011 größer geworden ist. „Solange wir in Deutschland eine gute Beschäftigungssituation haben, gehen wir von einer guten Nachfrage nach den Weinen unserer Genossenschaften aus“, zeigte sich Roßwog für die weitere Entwicklung zuversichtlich.
Durch den guten Verkauf seien die Weißweinbestände nach wie vor relativ knapp, ergänzte er. Deshalb würden die 2012er zum Teil noch in diesem Jahr an den Markt gebracht. Zuspitzen werde sich aufgrund der Hagelschäden die Situation vor allem beim Gutedel.
Die Macht der Marke
Für den Erfolg am Markt spielt eine starke Marke eine wesentliche Rolle, betont Thomas Goth, Geschäftsführer und stv. Vorstandsvorsitzender der Baden-Badener Winzergenossenschaft eG. Vor rund sechs Jahren hat sich die Winzergenossenschaft im Ortsteil Neuweier in Baden-Badener Winzergenossenschaft umbenannt. „Baden-Baden kennt jeder“, sagt Goth zu seinem Schachzug. „Das hat Türen geöffnet.“
In Baden-Baden gibt es heute fast kein Lokal mehr, das nicht mindestens ein Erzeugnis der Baden-Badener Winzergenossenschaft führt. Vor allem bei der Neukundengewinnung profitierte die Genossenschaft von ihrem neuen Namen, der mit einem hohen Qualitätsanspruch verbunden wird. Im Zuge dieser Entwicklung steigerte die Genossenschaft den Anteil des Direktverkaufes von einem eher durchschnittlichen Wert auf stolze 25 Prozent, hebt Goth hervor. Das korrespondiert damit, dass der Umsatzanteil von Sekt und Secco auf enorme 14 Prozent geklettert ist; Renner ist der Riesling trocken.
Auch der Export ist nur mit dem Rückenwind einer starken Marke denkbar. „Baden-Baden kennt man in Moskau oder Hongkong“, betont Goth. Im International Trade Center gibt es Baden-Badener Weine für Moskauer Gourmets zu Preisen zwischen 8,60 und 42 Euro. In diesem Jahr wurde die zweite Bestellung in die russische Metropole auf den Weg gebracht, auch wenn der Weg dorthin „mit 25.000 Stempeln“ gepflastert ist. In Hongkong sind die Baden-Badener auf der Weinmesse präsent und machen über ein Büro ein paar Tausender Umsatz. „Asien braucht Zeit und persönliches Engagement, aber Exporterfolge bringen auch eine höhere Reputation für das Geschäft in Deutschland“, weiß Thomas Goth. 35 Prozent des Umsatzes werden außerhalb Badens gemacht.
Das Geschäft mit der Gastronomie und den Endverbrauchern will Thomas Goth weiter forcieren. Dabei spielt der Internet-Auftritt, in den ein Shop mit umfänglichen Informationen integriert ist, eine wichtige Rolle. Bereits heute macht die WG rund 60.000 Euro Umsatz über das Internet, aber Goth ist überzeugt: „Da steckt noch viel Potenzial drin.“ Künftig werden deshalb auf jeder Flasche der Collection Baden-Baden und in jeder Anzeige ein QR-Code mit der Internet-Adresse hinterlegt. Auch ein Internet-Spiel (Augmented Reality) dient diesem Ziel. Das Eiswürfelspiel ist mit einem innovativen Produkt für junge Leute, dem X-Shuffle, einem aromatisierten Secco, verbunden.
„In die Strukturentwicklung ist Bewegung gekommen“
In Baden arbeiten aktuell 83 Winzergenossenschaften, darunter 40, die ihre Weine im eigenen Keller ausbauen. Das sind fünf weniger als vor einem Jahr, am 30. Juni 2011. Noch nicht eingetragen sind zwei weitere Fusionen des Jahres 2012, nämlich Zeller Abtsberg zu Gengenbacher Winzer eG und Baden-Baden-Varnhalt auf die Baden-Badener Winzergenossenschaft eG. „In die Strukturentwicklung bei den badischen Winzergenossenschaften ist Bewegung gekommen“, bilanzierte Roßwog, nachdem es viele Jahre lang kaum eine Fusion gegeben hatte.
„Wir fördern und begleiten den Strukturwandel bei unseren Winzergenossenschaften“, betonte der Genossenschafts-Präsident. Er werde angetrieben durch den Strukturwandel bei den Winzern. So haben im Kalenderjahr 2011 weitere 3,9 Prozent der Winzer, fast 600 an der Zahl, die weniger als einen Hektar bewirtschaftet haben, die Rebschere an den Nagel gehängt. „Ich habe das Gefühl, dass die Anstöße, die wir durch unsere Regionalkonferenzen im Jahr 2011 gegeben haben, Wirkung zeitigen.“ Die neue Kooperation der Hex vom Dasenstein mit den Oberkircher Winzern zeige, dass es dabei nicht nur um Fusion gehe, denn Fusion sei kein Patentrezept. Ganz wichtig ist Roßwog auch, dass die Badische Weinwerbung wieder geeint werden konnte.
Geschäftsführer Thomas Goth bestätigt aus Baden-Badener Sicht, dass ihm die Demografie Sorgen macht. Nebenerwerbswinzer, die aufgeben, finden immer seltener Genossenschaftsmitglieder, die weitere Flächen aufnehmen möchten. So werden Flächen verpachtet und verkauft oder gar gerodet und gehen der Genossenschaft verloren. Dabei sei die Baden-Badener Winzergenossenschaft eG nach der Fusion mit Varnhalt mit 156 Hektar Ertragsrebfläche, einer bärenstarken Marke und ihrem Riesling-Schwerpunkt bestens aufgestellt.
Ein Vierteljahrhundert im Rückblick: Roßwog zieht positive Qualitätsbilanz
„Die Weinqualität und das Preis-Genuss-Verhältnis unserer Weine haben sich ganz enorm verbessert.“ Dies stellte Genossenschafts-Präsident Ger-hard Roßwog, der zum Jahresende in den Ruhestand tritt, in einem Rückblick auf die Entwicklung der badischen Winzergenossenschaften im letzten Vierteljahrhundert heraus. Die Qualitätsinitiative der badischen Winzergenossenschaften umfasse alle Bereiche vom Anbau bis zur Kellerwirtschaft. „Mit dem erreichten Niveau können wir uns international sehen lassen“, betonte Roßwog. „Im Preis-Genuss-Verhältnis sind wir den entsprechenden Weinen aus dem Bordeaux oder dem Burgund, dem Piemont oder dem Chianti deutlich überlegen.“
Ein Meilenstein in dieser Entwicklung sei der Jahrgang 1990 gewesen, der vor allem hervorragende Spätburgunder hervorgebracht hatte, erinnert sich Roßwog. Mit diesen Spitzenqualitäten seien die Winzergenossenschaften in der Breite in die Erzeugung von Premiumweinen und in den Ausbau in den kleinen Eichenholzfässern, den Barriques, gestartet. „Bei der Erzeugung von Premiumweinen hatten und haben die Genossenschaften einen großen Vorteil“, betont Roßwog: „Sie können aus vielen Flächen selektieren.“
Im folgenden Jahrzehnt wurden die Erfahrungen mit der Erzeugung von Premiumweinen auf die gehobenen und die Basisqualitäten übertragen. In den 80ern sei es zum Beispiel gang und gäbe gewesen, vier Zentner Müller-Thurgau vom Ar zu holen. Heute reicht die Spanne auch bei den Basisqualitäten im Durchschnitt nur bis 140 Kilo. Bei Selektionsweinen von alten Reben werden zum Teil nur 40 Kilo vom Ar geerntet.
„Noch nie wurde im Weinberg so viel gearbeitet wie heute“, zieht Gerhard Roßwog Bilanz. Die Ertragsreduzierung im Weinberg stehe am Anfang der Qualitätsphilosophie. Dazu zähle der Anschnitt der Reben zum Anfang des Jahres und das Ausbrechen von Trieben und Traubenansätzen nach der Blüte.
Im Juli und August werden die Rebstöcke etwas entblättert, dann wird ein Teil der grünen Beeren weggeschnitten. „Das ist eine Arbeit, die für unsere Eltern noch undenkbar war.“ Beim Entblättern komme es darauf an, das Laub auf der sonnenabgewandten Seite zu entfernen, erzählt Roßwog. „Dadurch wird der Rebstock gut durchlüftet und die Trauben bleiben vor der direkten Sonneneinstrahlung geschützt. Das fördert die Aromenbildung.“
Spaziergänger im Weinberg verstehen manchmal nicht, warum im August grüne Trauben auf dem Boden liegen. In den Lagen, wo die Qualitätsweine heranwachsen, werden ganze Trauben abgeschnitten. Wo gezielt Spitzenweine erzeugt werden sollen, da werden die Trauben halbiert. „Das macht noch mehr Arbeit, bringt aber ein weiteres Plus an Qualität.“
Zusammen mit der Lese, die heute gestaffelt, selektiv und früh am Tag erfolgt, kommen pro Hektar Rebfläche 600 Stunden Arbeitszeit für den Winzer zusammen. Für die besonderen Qualitätsmaßnahmen für Spitzenweine kommen noch einmal 200 Stunden dazu. Und wer die Mühe auf sich nimmt, eine terrassierte Steillage zu pflegen, muss insgesamt über 2.000 Stunden einkalkulieren.
Alle Parzellen, die für die Erzeugung von Premiumweinen ausgewählt wurden, werden im Rahmen einer Bonitur überwacht. Sie gibt Auskunft über Beschaffenheit, Zustand und Pflege der Reben sowie über Reife und Gesundheit des Lesegutes. Allein für die Weinbergsbonitur werden je Hektar 2,5 Mann-Tage veranschlagt.
„Es geht um Qualität, die der Verbraucher schmecken kann“, betont Roßwog, vor allem um die „innere Qualität“. „Es geht um die Mineralstoffe, den Extrakt, um die Farbe und um feine Gerbstoffe.“ Hängen weniger Trauben am Rebstock, reichern sich diese Inhaltsstoffe besser an. „Das gibt die fülligen, stoffigen, ausbalancierten Weine, die gefragt sind.“
Der Genossenschafts-Präsident würdigte in diesem Zusammenhang auch, dass der Gesetzgeber bereits für das Jahr 2002 die Tröpfchen-Bewässerung der Weinberge zugelassen hat. Die Qualität der Trauben werde verbessert, wenn in Trockenphasen die Tröpfchen-Bewässerung für eine gleichmäßige Nährstoffzufuhr sorge. Das werde mit dem Klimawandel, zu dem langanhaltende Trockenphasen gehören, immer wichtiger.
Die Winzergenossenschaften haben die Qualitätsentwicklung im Weinberg durch ihre Auszahlungssysteme gefördert, unterstrich Roßwog. „Das Arbeiten an der Qualität muss belohnt werden.“ Die Traubengeldauszahlung an die Winzer wurde deshalb zunächst spürbar nach den erreichten Öchslewerten gestaffelt. Diese Entwicklung ist weitergegangen. „Inzwischen ist anerkannt, dass der Zuckergehalt der Trauben nicht der alleinige Maßstab für Qualität sein kann. Der Gesundheitszustand der Trauben, die Aromenaus¬bildung oder die Säure bestimmen ebenso über die Qualität des Weines.“ Dafür habe nicht zuletzt der Jahrgang 2003 mit seinen öchsle- und alkoholdominierten Weinen die Augen geöffnet. Einige Genossenschaften haben sogar Obergrenzen eingeführt, ab denen zusätzliche Öchslegrade nicht mehr bezahlt werden.
Im Keller wird auf die schonende Verarbeitung der Trauben und Moste geachtet. Dazu gehört die Ganztraubenpressung, die Lagerung auf der Feinhefe und eine temperaturgeführte Gärung, bei Rotweinen die Maischegärung. Weine, die im Holzfass reifen, lagern dort meist über zwölf Monate.
Die Winzergenossenschaften kommunizieren die erreichte Qualität heute auch anders, ergänzte Roßwog. „Der klassische Tag der offenen Tür ist schon längst passé.“ Heute werde der Weingenuss als Erlebnis inszeniert, durch vielfältige Formen von Weinproben, durch Kulturabende in den Genossenschaften, durch Sekt- und Weinfestivals oder durch Segway-Touren durch die Weinberge, wie in Baden-Baden.