Erwin Kuhn hat die Fusion der baden-württembergischen Genossenschaftsverbände im Land mit auf den Weg gebracht. Zum 31. März 2009 ging Kuhn nach über 15-jähriger Arbeit als Präsident des Württembergischen Genossenschaftsverbands in den Ruhestand.
Nach über 20 Jahren beim Genossenschaftsverband Hessen/Rheinland-Pfalz/Thüringen, unter anderem als Prüfungsdienstleiter, haben Sie 1994 das Amt des Präsidenten und Vorstandssprechers des Württembergischen Genossenschaftsverbands übernommen. Wie war es für Sie als Hesse nach Württemberg zu kommen?
Für mich war es mit 47 Jahren eine neue Herausforderung nach Württemberg zu kommen, und damit bin ich auch wieder in das Heimatland meines Vaters gezogen. Dass ich mich damals beim WGV als Präsident zur Wahl gestellt habe, habe ich nie bereut. In Württemberg war die Kultur ganz anders als in Hessen. Was mich sehr überrascht hat, war, dass es bei der Vorstellung bei Ministerien und befreundeten Verbänden keinen Gesprächspartner gab, der das GENO-Haus oder die genossenschaftliche Organisation nicht kannte. Dieses Wissen um die Organisation war erstaunlich und hat mir Türen geöffnet. Das Genossenschaftswesen in Württemberg wie auch in Baden oder Bayern ist viel stärker in der Gesellschaft verwurzelt als anderswo. Das spiegelt sich in der Bilanzsumme der Genossenschaften sowie in den Warenumsätzen, die im Süden genossenschaftlich organisiert abgewickelt werden. Im Vergleich zu Hessen ist der Wirtschaftsraum in Baden-Württemberg kleinteiliger, was die Genossenschaften belebt und die Nachfrage fördert.
Tatsächlich hatten es Genossenschaften zu Ihrer Amtszeit nicht leicht. Sie waren in einer Zeit voller Herausforderungen Präsident. Während zum Beispiel die Bilanzsumme der württembergischen Volksbanken und Raiffeisenbanken in dieser Zeit um 27 Prozent zulegte, ging die Anzahl der Banken um 60 Prozent zurück. Die Anzahl der Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften sank um 35 Prozent. 2009 konnte der Verband nur noch 15 Prozent seiner Kosten durch Verbandsbeiträge decken. Wie haben Sie es geschafft, dass sich der Verband in diesem Umfeld erneuert und sich an den Bedürfnissen der Mitglieder ausrichtet?
Ein Ziel meiner Arbeit lag darin, den Verband mitgliederorientiert zu führen. Fachlich stand unter anderem die Weiterentwicklung der Prüfungsmethoden und des Präventionsmechanismus im Vordergrund. Um als Ergebnis der Prüfung ein vertrauenswürdiges Urteil präsentieren zu können, musste insbesondere der Prüfungsansatz von der Einzelfallbetrachtung zur ganzheitlichen Unternehmensbetrachtung weiterentwickelt werden. Das Bonitätsbeurteilungssystem wurde zu Ratingsystemen umgewandelt. Diese Entwicklung qualifizierte auch die Steuerungssysteme der Volksbanken und Raiffeisenbanken weiter und half den Banken, die in Schieflage geraten waren. Um der zunehmenden Komplexität der Arbeitsabläufe Rechnung zu tragen, haben wir begonnen, eine Grundsatzabteilung aufzubauen. Hier wurde fachliche Kompetenz zum Nutzen der Mitglieder und Prüfer angesiedelt. Effizienzprogramme für die Durchführung der Prüfung wurden aufgesetzt, um die Wirtschaftlichkeit der Prüfung und des Verbands zu verbessern.
Was bewog Sie zu den Fusionsverhandlungen mit dem Genossenschaftsverband Bayern?
In der damaligen Zeit gab es viele Fusionen zu überregionalen Institutionen, beispielsweise die der GZB-Bank mit der SGZ-Bank - heute DZ-Bank- und der Rechenzentrale RWG mit der Fiducia. Wir wussten, dass sich das Genossenschaftswesen und seine Struktur in Deutschland verändern werden. In diesem Umfeld entstand die Vision eines Südverbands. Mir war klar, dass zuerst die Fusion Baden und Württemberg besser gewesen wäre, aber das war nicht möglich. Baden hatte zu dieser Zeit jede Fusion ausgeschlossen. Das hatte ich zu respektieren. Dann haben wir nach Alternativen gesucht und die Gespräche mit Bayern begonnen. Dabei wurde uns sofort aus der Politik eine nachhaltige Opposition signalisiert. Wir haben die Gespräche trotzdem weitergeführt, aber in einer Verbandsratssitzung, in der Erwin Teufel zu Gast war, gab es eine intensive Aussprache. Sie hat mir gezeigt, dass es für einen Südverband zu früh ist. Ich habe dann die Reißleine gezogen und die Gespräche beendet. Die Zeit ging weiter und dann öffnete sich der Korridor für eine Fusion mit Baden. Diese Chance haben wir genutzt. Auch die Fusionsgespräche mit Baden waren nicht einfach. Aber beide Seiten hatten die volle Unterstützung ihrer Gremien – das war das Wichtigste.
Was bedeutete die Fusion zum BWGV für Sie?
Das war ein Stück Erfüllung meiner Vorstellung. Ich sah, dass der Verband mit einem breiteren Fundament die Zukunft gestalten kann und hatte mir schon im Alter von 40 Jahren das Ziel gesetzt mit dem 63. Lebensjahr in Rente zu gehen.
Sie haben die Fusion noch mitgestaltet, aber sind dann mit Entstehung des BWGV in Rente gegangen. Tat es nicht weh, das Zusammenwachsen des Verbands nicht mehr gestalten zu können?
Ja, natürlich tut das weh. Das ist aber ein schöner Schmerz. Ich habe die Verantwortung der jüngeren Generation gegenüber, ihr den Weg freizumachen. Ich habe gesehen, dass der Verband seine Mitglieder voranbringen kann. Da konnte ich nicht anders als den Fusionsprozess voll zu unterstützen – mit allem was ich habe. Der Verbandstag 2008 war sozusagen mein letzter Auftritt als Präsident des WGV. Danach schaute ich von außen zu und konnte nicht mehr teilhaben. Jetzt genieße ich meine Welt in der Rente, mit mehr Freiräumen und mehr Zeit mich mit Themen zu beschäftigen, die nicht genossenschaftlicher oder ökonomischer Natur sind. Trotzdem lese ich intensiv Zeitschriften, die aus der Genossenschaftsorganisation kommen, um zu sehen, was dort passiert.