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Familiengenossenschaften im Trend

Waldorf-Kindertagesstätte in Gengenbach: Eine typische Familiengenossenschaft.
BWGV

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Veränderte Lebensentwürfe und Erwartungen an Familie und Beruf suchen nach innovativen Antworten auf gute Betreuung. Fortschreitende Alterung der Gesellschaft und der demografische Wandel verlangen nach Lösungen, die oft besser gemeinschaftlich bewältigt werden können. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) führte 2013 eine Umfrage zur Situation von Familien durch. Wenig überraschend war die Erkenntnis, dass die Familie weiterhin den Kernpunkt der Gesellschaft darstellt, sich dabei jedoch die Ansprüche an das familiäre Leben und die Lebenssituationen in den vergangenen Jahrzehnten weitreichend geändert haben.

Wandel des Familienbildes

Das Verständnis von Familie und dem, was in einer Familie geleistet wird, unterliegt einem tiefgreifenden Wandel. Familie wird heute viel enger als Beziehung zwischen Menschen in einer Haushaltsgemeinschaft definiert. Rollenbilder in Familien ändern sich und die Abgrenzungen zwischen den Wirkungsbereichen einzelner Familienmitglieder in Produktions- und Reproduktionssphären verlieren an Relevanz. Im Verlauf des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich vor allem die Größe der Familie radikal geändert. Familien werden kleiner. Während Familienhaushalte vorher nicht nur Kinder und Eltern umfassten, sondern auch Verwandte und teils auch Bedienstete, die zur Familie gezählt wurden und in dieser Kernaufgaben übernahmen, gibt es heute ein weitaus heterogenes Bild von Familienkonstellationen, wie etwa „Stieffamilien“, Alleinerziehende, nichteheliche Lebensgemeinschaften oder Wohngemeinschaften. Zu dieser Vielfalt des Familienbegriffs kommt eine weitere Lebensform gerade unter den älteren Menschen hinzu: die der Alleinlebenden. Manche wählen diese Lebensform bewusst, für andere scheint sie die einzige Option. Jeder Lebensentwurf und -umstand birgt seine individuellen Bedürfnisse in Bezug darauf, wie man die Herausforderungen des Alltags bewältigt.

Kinderbetreuung und Seniorenversorgung

  • Modell 1: Genossenschaftlich organisierte Kinderbetreuung
  • Modell 2: Genossenschaftlich organisierte betriebliche Kinderbetreuung
  • Modell 3: Häusliche Betreuung und Versorgung
  • Modell 4: Wohn- und Betreuungseinrichtungen für Senioren

Familiengenossenschaften in Baden-Württemberg

Waldorf-Kindertagesstätte in Gengenbach

Die Genossenschaft, die aus Eltern sowie ehemaligen Eltern und Erziehern besteht, ist für den Kindergarten nicht nur eigenverantwortlich in der Verwaltung und Finanzierung tätig. Die Eltern erarbeiten darüber hinaus gemeinschaftlich mit viel Engagement die Grundlage für die pädagogische Arbeit und helfen durch verschiedene Ämter im alltäglichen Ablauf der Kita. Diese intensive Einbindung der Eltern schafft eine persönliche Beziehung zu „ihrer“ Waldorf-Kindertagesstätte. Sie soll vor allem dem Ziel dienen, gemeinsam mit den pädagogischen Mitarbeitern den anvertrauten Kindern eine zeitgemäße und eine an den Bedürfnissen der Kinder angepasste Erziehung zu ermöglichen.

WoGA Pfullendorf eG – Wohnen und Gesundheit im Alter

Die WoGA in Pfullendorf ist die erste Genossenschaft für stationäre Pflege in Baden-Württemberg und die zweite in Deutschland. Das Pflegeheim in genossenschaftlicher Form ist vom Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg initiiert worden, einer Stiftung bürgerlichen Rechts, die zu den großen Dienstleistern für Senioren in Baden-Württemberg zählt. „Wir wollen den Menschen die Schwellenangst nehmen, die sie vor Pflegeheimen haben, vor Institutionen, die Regeln ausstrahlen und dadurch beengen“, betont Ingrid Hastedt, Vorstandsvorsitzende des Wohlfahrtswerks für Baden-Württemberg. Deshalb werden in Pfullendorf Pflege und Alltag strikt getrennt, die Bewohner sollen ein möglichst „normales“ Leben führen.

Genossenschaft zur betrieblichen Kinderbetreuung

Die Dienstleistungsgenossenschaft in der Metropolregion Rhein-Neckar (http://www.familiengenossenschaft.de) wurde 2006 von Tagesmüttern und Unternehmen gegründet. Sie bietet Mitarbeiterfamilien von Unternehmen in der Region flexible und qualitative Kinderbetreuung an. Außerdem zählen haushaltsnahe Dienste und die Betreuung von älteren und kranken Angehörigen zu den Leistungen der Familiengenossenschaft.

Bürgergenossenschaft Biberach

Die gemeinnützige Sozialgenossenschaft Bügergenossenschaft Biberach richtet sich an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Biberbach und das nahe Umland. Unter dem Motto der „Hilfe auf Gegenseitigkeit“ sollen unterschiedliche Menschen, Junge und Alte sowie Gesunde und Kranke, zusammengeführt werden, damit sie sich umeinander kümmern und solidarisch unterstützen. So werden Hilfs- und Begleit-Dienstleistungen, haushaltsnahe Dienstleistungen sowie Beratungshilfen für die Beteiligten ermöglicht.

Bandbreite von Familiengenossenschaften

Vieles, was die Familiengemeinschaft an Aufgaben einst übernahm – von Kinderbetreuung und -erziehung über Kranken- und Altenpflege – sind heute Arbeiten, die meist vom externen Dienstleistern übernommen werden. Die Kernaufgaben der modernen Familie bleiben also erhalten, sie müssen aber durch neue Arrangements erfüllt werden, die den Anforderungen an moderne Familienkonstellationen gerecht werden. Denn auch wenn sich ein Wandel des Familienleitbilds abzeichnet: Der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von persönlicher und professioneller Verwirklichung, ist größer denn je. Hier bietet sich gerade für die genossenschaftliche Idee eine große Bandbreite an Wirkungsmöglichkeiten. Die Änderung des Genossenschaftsrechts 2006 führte zudem dazu, dass Sozial- oder Familiengenossenschaften unter vereinfachten Bedingungen zu gründen sind. Kindertagesstätten, mobile Kranken- und Pflegedienste, haushaltsnahe Dienste oder altersgerechte Wohneinrichtungen sind Modelle, die in den vergangenen Jahren auch in Baden-Württemberg erprobt wurden, wie etwa die Waldorf-Kindertagesstätte in Gengenbach oder die WoGA Pfullendorf eG – Wohnen und Gesundheit im Alter.

Seniorengenossenschaften deutschlandweit erfolgreich

Gerade Seniorengenossenschaften zeigen, wie man mit einem bewährten Organisationsmodell neue Formen der gesellschaftlichen Teilhabe und Mitbestimmung von älteren Menschen erschließen kann. Sie bieten unter anderem eine wichtige Ergänzungsmöglichkeit zu vorhandenen Diensten. Mit ihren bedarfsorientierten und kostengünstigen Angeboten schließen sie auf unterschiedliche Weise Versorgungslücken und unterstützen ältere Menschen dabei, möglichst lange und selbstbestimmt in ihrem Zuhause leben können. Seniorengenossenschaften basieren auf der Grundlage von Selbsthilfe der Mitglieder, koordinieren beispielsweise ehrenamtliches Engagement und erbringen Leistungen, die für die Mitglieder anders nicht so leicht zu organisieren wären (zum Beispiel Fahrdienste, die Organisation gemeinsamer Ausflüge, Hilfen beim Einkauf etc.). Zudem hat sich die Rechtsform auch für genossenschaftliche Seniorenwohnanlagen oder der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger außerhalb Baden-Württembergs erfolgreich durchgesetzt. Im Bereich der Kinderbetreuung nehmen heute vor allem Unternehmen das Angebot von unternehmensnahen Kitaplätzen als Standortvorteil wahr, um qualifiziertes Fachpersonal für sich zu gewinnen. Es überrascht daher nicht, dass es im vergangenen Jahr einige Pilotprojekte in Deutschland gegeben hat, bei denen sich mehrere Unternehmen zu einer Kita-Genossenschaft zusammentaten, um ihren Mitarbeitern qualitativ hochwertige, bezahlbare und standortnahe Kinderbetreuung anzubieten.

Genossenschaften bieten Lösungsansätze

Die Entwicklungen im Bereich Betreuung und Pflege, haushaltsnahe Versorgung und altersgerechtes Wohnen bleiben weiterhin dynamisch. Um auf die Herausforderungen schrumpfender Versorgungsinfrastrukturen, veränderter demografischer Voraussetzungen und knapper kommunaler Haushaltskassen Antworten zu finden, wird vermehrt das Prinzip der Selbsthilfe und Eigeninitiative gefragt sein. Genossenschaften können bei der Ausgestaltung dieser neuen gesellschaftlichen Trends eine wesentliche Rolle spielen, praktikable Lösungsansätze bieten und gleichzeitig gemeinsinnstiftend wirken.

Vorteile der Rechtsform Genossenschaft

Der Vorteil der Rechtsform der Genossenschaft gegenüber anderen Unternehmensmodellen liegt darin, dass:

  • sie relativ leicht zu gründen ist
  • Ein- und Austritte relativ unkompliziert sind
  • jedes Mitglied in den Vorstand gewählt werden kann (keine Zulassung notwendig)
  • die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung besteht
  • die Genossenschaft eine eigene Rechtsperson ist, damit die einzelnen Mitglieder nicht haften, sondern für Verbindlichkeiten der Genossenschaft das Vermögen der Genossenschaft haftet
  • weitgehende Selbstbestimmung der Mitglieder herrscht
  • es einfache und steuerrechtlich unkomplizierte Möglichkeiten gibt, nicht finanziell vergütete Leistungen der entsprechenden Person gutzuschreiben
  • ein Jahresüberschuss als zweckgebundene Rücklage dienen kann
  • ein Gewinn als Rückvergütung an die Gesellschafter fließen kann, sofern die Genossenschaft nicht gemeinnützig ist
  • jedes Mitglied eine Stimme hat
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