Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der demografische Wandel und die geänderten Ansprüche an die Gestaltung der persönlichen Lebensumstände sowie der gestiegene Wunsch nach regionaler Partizipation bringen neue Herausforderungen für die Gestaltung der Angebote im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge mit sich. Die Politik wie auch die Bürger selbst sind hier gefordert, um die gewünschten wirtschaftlichen Leistungen und die sozialen Rahmenbedingungen auch in Zukunft bürgernah und in einem tragfähigen Rahmen sicherstellen zu können. Besonders ländliche Kommunen sind häufig in vielfältiger Weise betroffen, aber auch Städte, die aktiv ihre Quartiere weiterentwickeln wollen, können davon profitieren. In vielen Bereichen hat dabei die Kooperation mit anderen Akteuren an Bedeutung zugenommen.
„Die Sicherung örtlicher Infrastruktur – vor allem in ländlichen Gebieten – wird vermehrt zu einer Gemeinschaftsaufgabe. Genossenschaftliche Lösungen haben den großen Vorteil, dass sie sich sehr gut für die unterschiedlichsten Einsatzmöglichkeiten eignen und zugleich die Bürger vor Ort aktiv mit einbinden und damit die Akzeptanz wie auch die Erfolgsaussichten von Projekten erhöhen“, erläuterte Verbandsdirektorin Monika van Beek. Nicht zuletzt gilt die eingetragene Genossenschaft (eG) als die stabilste und mit Abstand insolvenzsicherste Rechtsform. Außerdem bleibt die Wertschöpfung in der jeweiligen Region erhalten und wird sogar weiter ausgebaut.
Staatsrätin Erler plädiert für Genossenschaftsidee
„Gerade um die Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen Projekten einzubinden und somit mehr Nähe und Akzeptanz zu schaffen, eignen sich Genossenschaften ganz hervorragend. Denn es ist deren Grundidee, in Gemeinschaft das zu schaffen, was der einzelne nicht zu leisten vermag. Und wir können mit Stolz sagen, dass die Form der Genossenschaft tief in Baden-Württemberg verwurzelt ist – und es auch weiter sein soll. Darum wollen wir gezielt auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen und zur Partizipation ermuntern“, sagt Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung.
Die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaften (eG) verfügt über Eigenschaften, die sie sehr flexibel und praxisorientiert auf Umbrüche und neue Herausforderungen reagieren lässt, was vor dem Hintergrund der sich rasch ändernden Bedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunftsfähigkeit von entscheidender Bedeutung ist. Die Bandbreite der unterschiedlichen Betätigungsfelder erstreckt sich über verschiedene Bereiche der (erweiterten) Daseinsvorsorge, von der Sicherung der ärztlichen Versorgung über die Förderung eines attraktiven Personennahverkehrs bis hin zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die wohnortnahe und familienfreundliche Infrastruktur nimmt hierbei eine Schlüsselfunktion ein. Im Fokus stehen Aspekte wie Kinderbetreuung, Pflege älterer oder hilfsbedürftiger Menschen, eine attraktive Nahversorgung, Gasthäuser, kulturelle Angebote sowie eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr.
Nachhaltigkeit, Ökologie und soziale Belange
Die genossenschaftlichen Neugründungen in Baden-Württemberg lassen in den vergangenen fünfzehn Jahren einen klaren Trend erkennen. Bei einem Großteil der genossenschaftlichen Projekte handelt es sich um Neugründungen mit einem speziellen Blick auf die Aspekte Nachhaltigkeit, Ökologie und soziale Belange. Das Spektrum erstreckt sich von Energiegenossenschaften und Nahwärmeanlagen über Dorfläden, Pflegeeinrichtungen und Wohngemeinschaften bis hin zu Hallenbädern. Darüber hinaus nimmt auch die Umnutzung leerstehender Gebäude eine immer bedeutender werdende Rolle ein. Nicht zuletzt ist die Nutzung der Chancen der Digitalisierung ein Thema der Zukunft, das von genossenschaftlichen Initiativen aktiv aufgegriffen wird.
Unter dem Stichwort „WohnenPLUS“ engagiert sich der BWGV aktiv im Bereich Wohnen verbunden mit Dienstleistungen, im besten Falle unter Einbeziehung der örtlichen Volksbank oder Raiffeisenbank zur Sicherstellung einer nachhaltigen und transparenten Finanzierung der Projekte. Eine wichtige Schlüsselfunktion nimmt die Etablierung und Aufrechterhaltung einer wohnortnahen und bedarfsgerechten Infrastruktur ein, die den Erfordernissen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entspricht und den Wünschen der Anwohner entgegenkommt.
Fachvorträge und Best-Practice-Beispiele
Die genossenschaftliche Idee wurde im Beitrag von Prof. Dr. Reiner Doluschitz, Leiter der Forschungsstelle für Genossenschaftswesen an der Universität Hohenheim, aus der wissenschaftlichen Perspektive beleuchtet. Darüber hinaus konnten die Teilnehmer einem Fachvortrag von Steffen Jäger, Erster Beigeordneter im Gemeindetag Baden-Württemberg, sowie von zwei Mitgliedsgenossenschaften des Verbandes folgen.
Der Genossenschaftsladen im Löwen eG aus Tübingen berichtete, dass der Laden ökonomisch stabil aufgestellt sei und hob dabei die positiven Effekte der umfangreichen Beratungsleistungen des Verbands hervor. Auch die Bürgerenergie Ostfildern eG erwähnte den regen Austausch mit dem BWGV.
Lebendige Podiumsdiskussion
Im Rahmen der Podiumsdiskussion kam die Sprache auf explizite Vorteile der Gründung einer Initiative in der Rechts- und Unternehmensform eingetragene Genossenschaft (eG). Hier betonte Steffen Jäger, dass in dieser Organisationsform ein perfektes Nebeneinander von werteorientiertem und ökonomischem Handeln vorzufinden sei. Neben der wirtschaftlichen Tragfähigkeit sind Aspekte wie der Sinnhaftigkeit des eigenen Handels, Heimatverbundenheit oder das Prinzip der Selbsthilfe von entscheidender Bedeutung. Ergänzend führte Professor Doluschitz an, dass der Demokratiegedanke, der einfache Ein- und Austritt sowie die Gleichbehandlung wichtige Werte und Prinzipien darstellen würden. Nun gelte es die Bekanntheit dieser attraktiven Rechts- und Unternehmensform zu stärken, so Staatsrätin Erler.
Veranstaltungsreihe in 2019
Weitere Schwerpunktthemen der kommenden Veranstaltungen der „Reihe Bürgergenossenschaften“ sind „Ländlicher Raum“, „Bürgersozialgenossenschaften“, „WohnenPLUS“ und „Mobilität“. Zu den Organisatoren der Veranstaltungsreihe gehören neben dem BWGV die SPES – Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen und die Initiative K-Punkt – Ländliche Entwicklung im Kloster Heiligkreuztal. Projektpartner sind der Gemeindetag und der Städtetag Baden-Württemberg, der Landkreistag Baden-Württemberg, das Gemeindenetzwerk Bürgerengagement und Ehrenamt Baden-Württemberg, die Allianz für Beteiligung, das Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung an der Evangelischen Hochschule Freiburg (ZZE) und die Akademie Ländlicher Raum Baden-Württemberg.