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„Die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen ist ein Edelstein“ – Interview mit Universitätsrektor Professor Dabbert

Universität Hohenheim Forschungsstelle Genossenschaftswesen
S. Hofschlaeger / pixelio.de

Professor Dr. Stephan Dabbert, Rektor der Universität Hohenheim, spricht im GENOGraph-Interview über die Bedeutung von Genossenschaften im Allgemeinen und den Funktionen sowie Leistungen der Hohenheimer Forschungsstelle für Genossenschaftswesen im Besonderen.

Herr Professor Dr. Dabbert, in diesem Jahr feiert die Genossenschaftsorganisation den 200. Geburtstag des Pioniers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, die Universität Hohenheim ihr 200-Jahre-Jubiläum und das Landwirtschaftliche Hauptfest fand zum 100. Mal statt. Die beiden letztgenannten Jubilare können auf denselben Ursprung zurückblicken.

Entstanden in Notzeiten mit Hunger, Krieg und Missernten nach einer Naturkatastrophe sollten beide – Hauptfest und Universität – der Landwirtschaft wieder auf die Beine helfen. Der Ansatz von Raiffeisen basiert ebenfalls auf den Notlagen seiner Zeit. Das sind doch interessante Parallelen, oder?

Prof. Dr. Dabbert, Universität Hohenheim
Prof. Dr. Stephan Dabbert, Rektor der Universität Hohenheim: „Die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen ist eine unserer aktivsten Forschungsstellen.“

Sie haben recht: Der Raiffeisen‘sche Grundgedanke und Gründungsauftrag von Universität Hohenheim und landwirtschaftlichem Hauptfest liegen tatsächlich inhaltlich und zeitlich sehr nahe beieinander. „Was den Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“ – so lässt sich der zentrale Gedanken der Genossenschaften auf den Punkt bringen. Genossenschaften versorgen kleinere Betriebe mit Betriebsmitteln, die sie sich alleine nicht leisten können, schaffen Verkaufsgemeinschaften und ermöglichen so Marktzugänge jenseits der Möglichkeiten des Einzelbetriebs.

Gleichzeitig bilden sie eine Absicherung zum Beispiel gegen Ernteausfälle oder – noch zu Gründungszeiten – individuelles Leid und Hunger. Deshalb wundert es nicht, dass der Genossenschaftsgedanke in Zeiten der Not entstand. Zur gleichen Zeit entstand vor 200 Jahren die Universität Hohenheim mit dem Auftrag, künftigen Notzeiten durch verbesserte Methoden und bessere Ausbildung der Landwirte entgegenzuwirken. Die Erfolge von beidem – genossenschaftlicher Gemeinschaftsarbeit und verbesserter Technik und Ausbildung – präsentiert das Landwirtschaftliche Hauptfest, das auch als Wissensbörse dient, Anerkennung vermittelt und durch Produktprämierung zur Leistung anspornt.

Als Rektor hat es mich deshalb auch besonders gefreut, dass wir die Tagung „200 Jahre Friedrich Wilhelm Raiffeisen“ und die Verleihung des GENO-Wissenschaftspreises im Jubiläumsjahr und als Teil des Jubiläumsjahrs zum 200. Geburtstag der Universität Hohenheim veranstalten durften.

Welche Funktionen hat die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen an der Universität Hohenheim?

Die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen ist ein Edelstein, der in allen drei Tätigkeitsfeldern der Universität Hohenheim leuchtet: Forschung, Lehre und Wissenstransfer. Als die Forschungsstelle vor über 40 Jahren gemeinsam von BWGV und Universität Hohenheim aus der Taufe gehoben wurde, war es die Idee, ein Bindeglied zwischen universitärer Lehre und genossenschaftlicher Praxis zu schaffen. Dabei sollen junge Nachwuchswissenschaftler und Graduierte speziell in genossenschaftlichen Fragen aus- und weitergebildet werden. Gleichzeitig generieren wir so neues Wissen und treiben die Forschung zu aktuellen Fragen voran. So können wir aktiv zu Lösungen beitragen und haben gleichzeitig die Gewähr, dass sie auf kürzeste Weise ihren Weg in die Praxis finden.

»Bindeglied zwischen universitärer Lehre und genossenschaftlicher Praxis«

In gut 40 Jahren entstand so eine Vielzahl wertvoller Abschlussarbeiten, die Studierende im Dialog mit und für Genossenschaften anfertigten. Viele der Diplomanden, Master-Absolventen und Doktoranden, die wir ausgebildet haben, finden wir heute als Mitarbeiter im Genossenschaftsverbund wieder. Für uns sind diese Alumni nicht nur Botschafter der Universität, sie sind vor allem auch Feedback-Geber und Bindeglied. Davon profitieren wir in besonders hohem Maße.

Hat die Forschungsstelle unter Leitung von Prof. Dr. Doluschitz eine noch stärkere Vernetzungsfunktion als bisher schon?

Die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen ist eine unserer aktivsten Forschungsstellen. Das liegt einerseits an der hervorragenden Unterstützung und dem großen Interesse, das der BWGV der Forschungsstelle über Jahrzehnte entgegengebracht hat. Es liegt aber auch an einer sehr guten Kontinuität in dem Engagement, mit dem die jeweiligen Leiter die Forschungsstelle betrieben haben: Angefangen vom wissenschaftlichen Gründer Prof. Dr. Röhm, der der Universität Hohenheim das Projekt damals mit visionärer Weitsicht antrug, über seinen Nachfolger Prof. Dr. Großkopf, der die Vernetzung weiter vorantrieb, bis zu ihrem heutigen Leiter, Prof. Dr. Doluschitz. Letzterer ist natürlich auch insofern ein besonderer Glücksfall, als dass ich von ihm weiß, dass der Genossenschaftsgedanke seinen persönlichen Idealvorstellungen sehr nahe kommt.

Genossenschaften sind mitgliedergetragene Organisationen, die sich der Selbsthilfe verschrieben haben, Hilfe von außen ablehnen und den Solidar- und Freiwilligkeitsgedanken in besonderem Maße verfolgen. Von Prof. Dr. Doluschitz weiß ich, dass er diese Dinge auch im privaten Leben verfolgt.

Hinzu kommt, dass wir mit Prof. Dr. Doluschitz und dem BWGV-Verbandspräsidenten Dr. Roman Glaser ein kongeniales Duo haben. Verstärkt wird diese Achse durch den Vorstandssprecher der ZG Raiffeisen eG Karlsruhe, Dr. Ewald Glaser. Prof. Dr. Doluschitz und Dr. Ewald Glaser kennen sich aus Studienzeiten. Dr. Roman und Dr. Ewald Glaser wurden beide in der Forschungsstelle promoviert. Wer sich die Statistiken über Forschungsarbeiten und Absolventenzahlen betrachtet, kommt nicht umhin zu bemerken, dass die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen seit Beginn der Zusammenarbeit dieses Trios noch einmal aufgeblüht ist und auch für die kommenden Jahre Großes erwarten lässt.

Wie bewerten Sie die Verbindung zwischen Forschungsstelle und dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband, der weit über 300 ländliche Genossenschaften zu seinen Mitgliedern zählt, hinsichtlich der Partnerschaft für Studierende und Absolventen?

»Für den BWGV fungiert die Forschungsstelle als Kaderschmiede«

Als ausgesprochen harmonisch. Für den BWGV fungiert die Forschungsstelle als Kaderschmiede und die Universität Hohenheim ist dankbar, dass ihre Absolventen auf dem genossenschaftlichen Arbeitsmarkt so gut vermittelt werden können. Vorbildlich ist, dass die gute Zusammenarbeit bereits während des Studiums beginnt: So erhält die Universität Hohenheim durch den BWGV Themen für Studien und Abschlussarbeiten bis hin zu Dissertationen. In der Forschung fungiert der BWGV als wertvoller Ideengeber und Partner für Forschungsarbeiten. Das schafft ein enges und dauerhaft tragfähiges Netzwerk.

Welche Perspektiven und Herausforderungen der weiteren Zusammenarbeit dieser Partner sehen Sie?

Aktuell stellen wir in Landwirtschaft und Agribusiness einen sehr dynamischen Strukturwandel hin zu größeren Einheiten fest. Auf diese Entwicklung müssen wir Antworten finden, um den Genossenschaftsgedanken weiter in die Zukunft zu tragen.

Bislang fungieren Genossenschaften vor allem auch als Mittler, indem sie Betriebsmittel stellen, Waren abnehmen, diese bündeln und auf den Markt bringen. Das gilt es im Auge zu behalten, denn wenn sich Genossenschaften auf diese Rolle als intermediäre Mittler beschränken, könnten sie leicht obsolet werden.

»Ländliche Genossenschaften müssen als Berater, Service-Provider und Unterstützer der Landwirtschaft agieren«

Neben der reinen Warenlieferung müssen Genossenschaften zunehmend als Berater, Service-Provider und Unterstützer der Landwirtschaft auftreten. Hier bietet die Digitalisierung als enorm willkommenes Hilfsinstrument große Chancen, um diese Form der Kommunikation/Beratung und Servicelieferung effizienter zu gestalten und zu optimieren.

An der Universität Hohenheim haben wir auch deshalb dem Gesellschaftstrend der Digitalisierung großen Raum eingeräumt. So trägt das universitäre Strategiepapier für die kommenden fünf Jahre – der sogenannte Struktur- und Entwicklungsplan – den Titel Bioökonomie und Digitalisierung. Und ich bin sicher, dass die Forschungsstelle dank der hervorragenden Zusammenarbeit mit dem BWGV auch dieses Thema in vorbildlicher Weise aufgreifen und entscheidende Antworten auf heute noch offene Fragen liefern wird.

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