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Konfliktmanagement in Bürger-Energiegenossenschaften

Forscherteam der Hochschule in Nürtingen-Geislingen untersucht Konfliktmanagement in Bürger-Energiegenossenschaften.
HfWU Nürtingen-Geislingen

Bürger-Energiegenossenschaften haben in Deutschland in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt. Inzwischen gibt es über 900 (2014) solcher Genossenschaften, allein in Baden-Württemberg sind es mehr als 140. Geschäftsgegenstand ist in den meisten Fällen die Stromerzeugung mittels Photovoltaik-Anlagen, aber auch Nahwärme wird genossenschaftlich produziert. Erste Genossenschaften machen sich an die Direktvermarktung des erzeugten Stroms oder denken über Windkraft, Contracting und E-Mobilität als Geschäftsfeld nach.

Unterschiedliche Motive und externe Herausforderungen als Konflikttreiber

In Bürger-Energiegenossenschaften finden sich Bürger zusammen, die gemeinsam Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien umsetzen wollen. Zu Beginn steht meist ein konkretes Projekt, wie beispielsweise die Errichtung einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach einer Schule oder die Nahwärmeversorgung eines Orts durch eine Biogasanlage. Die Mitglieder verfolgen dieses Projekt zwar gemeinsam, doch oft aus unterschiedlichen Motiven. Steht bei einigen der Klimaschutz an erster Stelle, geht es bei anderen eher um eine preiswerte Wärmeversorgung, eine risikoarme und nachhaltige Rendite auf das eingezahlte Kapital, regionale Wertschöpfung oder autarke Energieversorgung. Solange die ersten Projekte alle diese Ziele zugleich erfüllen, ist sich der Vielfalt dieser Motive kaum jemand bewusst. Erst wenn die Mitglieder sich entscheiden müssen, welches Ziel vorrangig verfolgt werden soll, treten diese Zielkonflikte an die Oberfläche. So mögen Mitglieder mit starken Motiven im Naturschutz anfangs zwar eine Photovoltaik-Anlage unterstützen, beim Einstieg in die Windkraft sehen sie ihre Ziele aber möglicherweise als gefährdet an.

Zielkonflikte in Bürger-Energiegenossenschaften

Verschiedene externe Einflüsse im vergangenen Jahr haben dazu beigetragen, dass die Mitglieder neu über die Zukunft ihrer Genossenschaft nachdenken müssen. Das EEG 2014 hat die Einspeisevergütungen für Photovoltaik-Anlagen weiter abgeschmolzen und drängt die Erzeuger stärker in Richtung einer echten Vermarktung der Energie. Das KAGB hatte zwischenzeitlich eine Minderheitsbeteiligung von Genossenschaften an größeren Projekten in Frage gestellt. Für die Bürger-Energiegenossenschaften hieß das: Sie müssen sich mit Projekten beschäftigen, die auf neue Erzeugungsarten setzen und größer, risikoreicher und gegebenenfalls weniger ertragreich sind als bisher. Hier können nun Zielkonflikte auftreten: zum Beispiel Risikobegrenzung versus Verzinsung, Wirtschaftlichkeit versus Umweltschutz oder Wachstum versus Konzentration auf die Region. Bei konstruktiver Handhabung können Konflikte für die Bürger-Energiegenossenschaften durchaus produktiv sein. Nehmen die Mitglieder jedoch wahr, dass sie ihre Ziele in der Genossenschaft nicht mehr erreichen können, so sind die Austrittsbarrieren niedrig und die Existenz des Unternehmens kann gefährdet sein.

Hilfestellung bei Konflikten

Ein Forscherteam der HfWU Nürtingen-Geislingen untersucht deshalb gemeinsam mit Forschern der Alanus Hochschule Bonn in einem vom Umweltministerium des Landes geförderten Projekt Konflikte in Bürger-Energiegenossenschaften. Ziel ist es, den Genossenschaften Hilfen an die Hand zu geben, mit denen Konflikte rechtzeitig erkannt und konstruktiv gehandhabt werden können. In der ersten Phase des Projekts waren die Forscher zu Gast auf Generalversammlungen von 15 Bürger-Energiegenossenschaften und haben beobachtet, welche Themen diskutiert werden. Anschließend wurden bislang 37 ausführliche Interviews geführt. Auch wenn dies keine repräsentative Erhebung ist, haben sich die folgenden Themen als besonders vorrangig herausgestellt.

Rendite und Investitionen

Viele Bürger-Energiegenossenschaften schütten nur geringe oder zum Teil gar keine Dividenden aus. In den beobachteten Generalversammlungen war das häufig ein Diskussionsthema, jedoch hielt sich offene Kritik stärker in Maßen als erwartet. Oft verlangten die Mitglieder, dass der Vorstand das eingezahlte Kapital zügig in Projekte investiert, der Vorstand war aber nicht in jedem Fall erfolgreich damit, neue Projekte mit vertretbaren Renditen und Risiken zu akquirieren und musste sich zum Teil rechtfertigen. Zum Teil wurde die Rechtsform der Genossenschaft auch als „zu teuer“ kritisiert. Austritte von Mitgliedern aus Renditegründen waren allerdings bisher nur wenige zu beobachten.

Neue Projektstrategien

Viele Bürger-Energiegenossenschaften erwägen neuartige Projekte. Diese basieren zum Teil auf anderen Erzeugungsarten als bisher (z.B. Wind statt Photovoltaik), aber auch auf grundsätzlich anderen Geschäftsmodellen (z.B. Direktvermarktung statt Einspeisung). Hier treten nun unterschiedliche Ziele klar zu Tage. Zum Teil sprechen sich Mitglieder aus Naturschutzgründen gegen Windkraftprojekte aus oder fürchten, dass die Bürger-Energiegenossenschaft Projektrealisierungen dieser Dimension nicht leisten kann. Andere lehnen ein Engagement außerhalb der Region ab oder sehen in möglichen Kooperationen zu große Einschränkungen der eigenen Mitsprachemöglichkeiten.

Arbeitsverteilung im Vorstand und Mitgliederengagement

In den meisten Bürger-Energiegenossenschaften arbeitet der Vorstand ehrenamtlich und gelangt zum Teil jetzt schon an die Grenze der Belastbarkeit. Verstärkt wird diese Problematik durch den Anpassungsdruck von außen: Um zu wachsen, sind neuartige Projekte nötig, die oft noch höhere Anforderungen an Kompetenzen und zeitliche Ressourcen mit sich bringen. Konflikte treten vor allem auf, wenn sich innerhalb des Vorstands nicht alle Mitglieder gleichermaßen engagieren und einzelne Vorstandsmitglieder stark überlastet werden. Häufig äußern Vorstände den Wunsch, dass sich auch Basismitglieder noch stärker engagieren. Dies ist auch in Hinblick auf das Heranziehen künftiger Nachfolger in den Gremien wichtig. Die Mitglieder hemmt hingegen die Wahrnehmung des hohen Arbeitsaufwands, der notwendigen Expertise oder der Verantwortungsübernahme. Die Professionalisierung der Vorstände scheint deshalb eines der zentralen Themen der nächsten Monate zu sein.

Kommunikation und Mitbestimmung

Der Vorstand wird von der Generalversammlung gewählt und beauftragt, die Geschäftstätigkeit im Sinne der Bürger-Energiegenossenschaften auszuüben. Höchstes Entscheidungsgremium bleibt jedoch die Generalversammlung, die einmal jährlich einberufen wird. Die Mitglieder verfolgen den Bericht der Vorstandsaktivitäten darin sehr aufmerksam und beteiligen sich meist aktiv an Diskussionen. Wo Vorstände ihre Entscheidungsbefugnisse ausweiten möchten, nicht genügend Transparenz üben oder anregen, das Forum der Generalversammlung zu ändern, treten kritische Nachfragen und Widerstände auf. Für die ehrenamtlich praktizierenden Vorstände gilt es hier, pragmatische Lösungen zu finden, die angemessene Abstimmung und Kommunikation sowie leistbare Organisation und Arbeitsbewältigung gleichermaßen erfüllen.

Neben diesen Konfliktthemen geht es auch um Rollenkonflikte (Vorstand ist als Unternehmer gleichzeitig Lieferant der Bürger-Energiegenossenschaft) oder persönliche Differenzen.

Wichtig ist jedoch zu erkennen, dass Konflikte nicht per se negativ sein müssen. Sie können die Bürger-Energiegenossenschaften sogar voranbringen. Entscheidend ist, wie sie gehandhabt werden.

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