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Zukunft der Bürgerenergie – kritische Lücken für die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle

Bürgerenergiegenossenschaften
BWGV-Archiv

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In den rund 1.000 Bürgerenergiegenossenschaften in Deutschland engagieren sich Bürger, um den Bau und Betrieb von Erneuerbaren-Energien-Anlagen genossenschaftlich zu finanzieren und zu organisieren. Damit bringen sie die Energiewende in allen Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität) voran. Die Vorteile einer genossenschaftlich organisierten Energiewende liegen klar auf der Hand: Bürgerenergie gilt als „Fundament für Akzeptanz, regionale Wertschöpfung und Identifikation“. Das klassische, einfache und risikoarme Geschäftsmodell der Bürgerenergiegenossenschaften (Bau und Betrieb von Photovoltaikanlagen und Einspeisung des Stroms auf Basis des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes) wird allerdings immer unattraktiver: Der Gesetzgeber verlangt eine zunehmende Konkurrenzfähigkeit erneuerbarer Energien und hat daher unter anderem Einspeisevergütungen reduziert und setzt verstärkt auf Ausschreibungsverfahren. Daher suchen viele Genossenschaften nun nach neuen Geschäftsmodellen und Investitionsmöglichkeiten. Unklar ist allerdings, ob sie für diese auch die notwendigen Voraussetzungen mitbringen.

Die Studie

Die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) und die Leuphana Universität Lüneburg haben gemeinsam mit drei genossenschaftlichen Regionalverbänden (Baden-Württemberg, Bayern, Verband der Regionen) sowie der Bürgerwerke eG in Heidelberg in einer bundesweiten Online-Umfrage Vorstände und Aufsichtsräte von Bürgerenergiegenossenschaften befragt. Kern der Untersuchung waren deren Qualifikationen und Netzwerke. Hierfür wurden zunächst in Experteninterviews und durch Literaturrecherche elf einschlägige Anforderungsbereiche beziehungsweise Kompetenzen für das Management identifiziert:

  • technisches Know-how/Grundverständnis
  • betriebswirtschaftliches Know-how
  • rechtliches Know-how
  • Projektentwicklung und -management
  • Vertrieb
  • Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
  • Mitarbeitermanagement/Personalwesen/Führung
  • Strategie und Geschäftsplanung
  • Genossenschaftswesen
  • steuerliches Know-how
  • erneuerbare Energie

Für jeden dieser Anforderungsbereiche wurde pro Vorstandsmitglied (Person) ein individueller Index, basierend auf den unterschiedlichen Bildungs- und Erwerbshistorien, aber auch auf den Erfahrungen aus den Tätigkeiten für die Genossenschaft, kalkuliert. Diese individuellen Werte können wiederum auf Ebene des Gesamtvorstands (Gremium) aggregiert werden. Neben den Qualifikationen der Vorstände und Aufsichtsräte wurden auch unterstützende Kontakte in jedem der elf Anforderungsbereiche abgefragt, die mögliche Lücken schließen oder kompensieren können.

Insgesamt haben sich 187 Vorstände und 100 Aufsichtsräte aus 125 unterschiedlichen Genossenschaften beteiligt. Damit deckt die Umfrage etwa 12 Prozent der Energiegenossenschaften in Deutschland sowie zirka 6,6 Prozent ihrer Vorstände ab.

Männlich, überdurchschnittlich gebildet, etwa 56 Jahre alt

Die vorliegende Studie erlaubt erstmalig eine demographische Typisierung der Mitglieder von Vorständen und Aufsichtsräten sowie deren Arbeit und Rolle in der Genossenschaft:

  • 94 Prozent der Vorstände sind männlich (respektive 90 Prozent der Aufsichtsräte).
  • Im Schnitt sind Vorstände 56, Aufsichtsräte 57 Jahre alt.
  • Etwa zwei Drittel haben einen Hochschulabschluss. Bei den Fachrichtungen überwiegen Ingenieurswissenschaften sowie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
  • Vorstände und Aufsichtsräte sind überdurchschnittlich stark in Parteien und Vereinen engagiert (zirka 29 Prozent sind beispielsweise Mitglied in einer Partei).
  • Das Amt in der Genossenschaft wird zumeist ehrenamtlich ausgeübt (75 Prozent der Vorstände, 98 Prozent der Aufsichtsräte).
  • Die Dauer der Mitgliedschaft in der Genossenschaft und die Dauer der Vorstands- beziehungsweise Aufsichtsratsposition liegen häufig sehr nahe beieinander, das heißt, das Amt wird vermutlich häufig seit Gründung ausgeübt.
  • Im Schnitt investieren Vorstände acht Stunden pro Woche in die Arbeit für die Genossenschaft, Aufsichtsräte drei Stunden.

Stärken in den Bereichen Betriebswirtschaft sowie Projektentwicklung und -management

Betrachtet man die Qualifikationen nach den oben genannten Anforderungsbereichen beziehungsweise Kompetenzen (siehe auch das abgebildete Spinnen-Diagramm), so sind die Vorstände besonders stark in den Bereichen Betriebswirtschaft sowie bei Projektentwicklung und -management. Aber auch die Bereiche Technik, Strategie und Geschäftsplanung sowie Personalwesen werden durch die Kompetenzprofile der Vorstände gut abgedeckt.

Bürgerenergiegenossenschaften
Durchschnittlicher Humankapital-Score in den elf Anforderungsbereichen aller Vorstände in der Umfrage.

 

Lücken in den Bereichen Vertrieb sowie Marketing und Öffentlichkeitsarbeit

Schwachpunkte in den Kompetenzprofilen der Vorstände zeigen sich hingegen in den Bereichen Steuern und Genossenschaftswesen. Da Genossenschaften in diesen Bereichen häufig auf externe Unterstützung angewiesen beziehungsweise sogar dazu verpflichtet sind (beispielsweise durch Verbände oder Steuerberater), sind diese Lücken weniger bedeutsam. Von deutlich höherer Relevanz sind hingegen die Lücken in den Bereichen Vertrieb sowie Marketing und Öffentlichkeitsarbeit – insbesondere im Hinblick auf zukünftige Geschäftsmodelle. Auch die Aufsichtsräte und die Netzwerke der Vorstände können diese Lücken nicht kompensieren, weil sie genau in denselben Kompetenzbereichen Schwächen haben. Analog zu den festgestellten Lücken zählen die beiden Arbeitsbereiche Vertrieb sowie Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zu den unbeliebtesten bei den befragten Vorständen.

Neue Geschäftsmodelle: herausfordernd

In knapp der Hälfte der befragten Genossenschaften wird eine Änderung oder Ergänzung des aktuellen Geschäftsmodells geplant. In den Fokus rückt dabei vor allem der Vertrieb von Energie und Dienstleistungen, wie zum Beispiel Mieterstrommodelle, Contracting, aber auch (Elektro-) Mobilitäts-Konzepte. Diese anvisierten Geschäftsmodelle erfordern insbesondere Know-how in den Bereichen Marketing und Vertrieb – Anforderungen und Expertise passen hier also nicht mehr zwingend zusammen. Diese Diskrepanz schlägt sich auch in der zurückhaltenden Einschätzung der Qualifikationen in diesen Anforderungsbereichen durch die Vorstände selbst nieder. Insgesamt betrachtet sehen sich Vorstände und Aufsichtsräte den neuen Geschäftsmodellen aber gewachsen.

Fazit und Ausblick

Die Bürgerenergiegenossenschaften in Deutschland leisten einen wichtigen Beitrag zur Energiewende. Aufgrund geänderter politischer Rahmenbedingungen wird es in Zukunft immer wichtiger, neben bestehenden Geschäftsfeldern auch neue Modelle zu entwickeln und aufzubauen. Diese Geschäftsmodelle sind häufig komplexer und erfordern andere Kompetenzen als bisher. Vorstände und Aufsichtsräte sollten in diesem Prozess vorhandene Stärken und Potentiale nutzen, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten zur Stärkung der Know-how-Basis erkennen. So könnten das Wissen und die Kompetenzen der Mitglieder verstärkt mobilisiert werden, beispielsweise durch Beiräte oder Projektgruppen – Potenziale, die aktuell noch zu selten abgerufen werden. Darüber hinaus stehen weitere Möglichkeiten zur Verfügung: gezielte Trainings und Fortbildungen, personelle Erweiterung oder geänderte Besetzung des Vorstands, Kooperationen zwischen Genossenschaften und mit anderen Organisationen oder die gezielte Beauftragung externer Spezialisten und Dienstleister. Letztlich geht es darum, das Fortbestehen des Erfolgsmodells Bürgerenergie in einer Post-Einspeisevergütungs-Ära sicherzustellen.

Die Ergebnisse der Studie sind hier verfügbar:

https://bit.ly/2ly3pYd.

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