Wahlen in Europa, Donald Trump im Weißen Haus, die Zinswende in den USA: Zu Jahresbeginn war die Sorgenliste vieler Anleger lang. Ein gutes halbes Jahr später ist Beruhigung eingetreten. Bleibt es bei den freundlichen Aussichten? Und welche Perspektiven gibt es für Anleger in den nächsten Monaten? Die Geno-Graph-Redaktion fragt nach bei Jens Wilhelm, Vorstandsmitglied von Union Investment.
Herr Wilhelm, drei Viertel des Jahres 2017 sind bereits wieder Geschichte, und DAX und S&P 500 haben zwischenzeitlich neue Allzeithochs markiert. Damit war nicht unbedingt zu rechnen. Was sind die Ursachen für das freundliche Marktumfeld der vergangenen Monate?
Die Ursachen waren, kurz gesagt, die anziehende Konjunktur, sinkende Politikrisiken und verbesserte Unternehmensgewinne. Das globale Wachstum hat sich weiter synchronisiert. In den Jahren zuvor hatten wir immer irgendwo eine wirtschaftliche Schwächephase oder sogar Krise zu verarbeiten. Das ist dieses Jahr anders. Zurzeit befinden sich alle wichtigen Wirtschaftsräume im Aufwind. Auf Jahresbasis ist nach unseren Prognosen ein globales Wirtschaftswachstum von 3 bis 3,5 Prozent zu erwarten.
Bleibt uns denn diese Stabilität der Märkte auch in den kommenden Monaten erhalten?
Ja, denn die Auftriebskräfte wirken nach wie vor. Die Kapitalmärkte haben sozusagen fast die ‚Reiseflughöhe‘ erreicht. Ich erwarte keine größeren Turbulenzen. Wesentliches Standbein ist nach wie vor das anhaltend positive Konjunkturumfeld, auch wenn sich der Wachstumszyklus gerade in den USA schon in einer reifen Phase befindet. Aber er ist eben auch noch nicht zu Ende. Erfreulich ist auch, dass wir uns zurzeit um China keine großen Sorgen machen müssen und sogar die japanische Volkswirtschaft wächst seit acht Quartalen in Folge.
Welche Rolle spielt dabei der „Trump-Effekt“?
Der Trump-Effekt hat vor allem zu Jahresbeginn in Erwartung fiskalischer Impulse eine Rolle gespielt. Inzwischen ist allerdings Ernüchterung eingekehrt, denn es ist nicht klar, welche seiner vollmundigen Ankündigungen am Ende überhaupt realisiert werden. Für das laufende Jahr rechnen wir nicht mehr mit einem entscheidenden Wachstumsstimulus. Das muss aber nicht automatisch ein Hemmnis sein, denn die US-Wirtschaft ist äußerst robust und benötigt zurzeit keine zusätzliche Unterstützung.
In der Vergangenheit ging Wachstum ja immer mit anziehender Inflation einher. Steht uns also eine höhere Teuerung ins Haus?
Das ist eine der zentralen Fragen, weil davon der zukünftige Kurs der Geldpolitik abhängt. Die Teuerung sollte, nach zuletzt schwächeren Datenpunkten, wieder moderat anziehen, zunächst in den Vereinigten Staaten. In den USA herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Je länger dieser Zustand andauert, desto eher dürften die Löhne und damit irgendwann auch die Preise steigen. Sorgen über eine sprunghafte Ausweitung der Teuerung halten wir aber für unbegründet. Dazu ist der Inflationsdruck durch Lohnentwicklung und Rohstoffpreise noch zu verhalten, insbesondere in Europa.
Das klingt danach, als würde alles beim Alten bleiben, oder?
Nicht ganz, denn in der Vergangenheit hat uns und den Zentralbanken ja das Deflationsgespenst Angst gemacht, also die Sorge vor kontinuierlich sinkenden Preisen mit negativen Effekten für das Wachstum. Diese Zeit ist erstmal vorbei und das ist gut so. Nun stellt sich die Frage, wieviel Inflationsdruck aufkommen kann und ob die Notenbanken aus ihrer ultralockeren Geldpolitik aussteigen.
Was glauben Sie, welchen Kurs die Zentralbanken vor diesem Hintergrund in den nächsten Monaten einschlagen werden?
Die Zentralbanken werden die Gelegenheit nutzen, um die Geldpolitik ein Stück weit zu normalisieren. Die Märkte werden sich also perspektivisch auf weniger Unterstützung von den Notenbanken einstellen müssen. In den USA rechnen wir mit einer Zinserhöhung im Dezember und drei weiteren Schritten 2018.
Und was macht die Europäische Zentralbank?
Der Spielraum der EZB ist deutlich enger gesteckt. Dennoch stehen auch hier die Zeichen auf Veränderung. Noch in diesem Jahr dürfte EZB-Chef Mario Draghi die Verringerung der monatlichen Anleihekäufe ankündigen, zum Jahreswechsel sollte dann die Umsetzung erfolgen. Am negativen Einlagenzins dürfte die Notenbank aber festhalten und auch eine echte Leitzinsanhebung wie in den USA erwarten wir nicht.
Es bleibt bei einem sanften Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik. Stabiles Wachstum, etwas höhere Inflation, straffere Geldpolitik – das hört sich nach einem eher schwierigen Umfeld für Renten an…
Das ist in der Tat so. Vor allem bei den „sicheren Häfen“ dürften die Renditen weiter ansteigen, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. Bis Mitte 2018 erwarten wir ein Niveau von etwa 2,6 Prozent bei zehnjährigen US-Treasuries und 0,9 Prozent bei deutschen Bundesanleihen gleicher Laufzeit. Das sind zwar nur moderate Anstiege. Aber es macht sichere Anleihen zu einem unattraktiven Investment. Es gibt allerdings auch auf der Rentenseite noch aussichtsreiche Alternativen.
Welche wären das?
Es ist nach wie vor ein gutes Umfeld für Anleihen mit Renditeaufschlag, wie Unternehmenspapiere, die vom guten wirtschaftlichen Umfeld profitieren. Wir rechnen außerdem damit, dass im nächsten Jahr die Zahl der Neuemissionen bei „klassischen“ Corporate Bonds zurückgehen dürfte. Dadurch werden die negativen Effekte aus dem reduzierten Ankaufprogramm der EZB kompensiert. Auch Nachranganleihen bleiben interessant.
Blicken wir auf die Aktienmärkte. Auch wenn wir zumindest in Europa von den Rekordhochs inzwischen wieder etwas zurückgekommen sind: Ist denn ein Einstieg „in Gipfelnähe“ aus Ihrer Sicht noch sinnvoll?
Durchaus. In den vergangenen Jahren waren die Kursanstiege bei Aktien vor allem auf eine Ausweitung der Bewertung zurückzuführen. Hier ist das Potenzial mittlerweile weitgehend ausgeschöpft. Aber diese Lücke wird gefüllt von steigenden Unternehmensgewinnen, die wiederum auf die gute Konjunkturlage zurückzuführen sind. Die Treiber für die Aktienmärkte wechseln also, aber es geht weiter aufwärts.
Welche Region ist auf der Aktienseite Ihr Favorit für die kommenden Monate?
Ganz klar: Europa. Auf unserer Seite des Atlantiks sind die Bewertungen noch günstiger als in den USA, außerdem ist der Aufschwung hier noch nicht ganz so weit fortgeschritten. Wichtig für deutsche Anleger ist dabei festzuhalten, dass Europa nicht am Rhein aufhört. Gerade auch der französische oder spanische Aktienmarkt bieten attraktive Investmentchancen.