Börse ist Bewegung. Das gilt immer, trifft aber besonders auf 2018 zu: Starke Schwankungen bei den Anleiherenditen, ein kräftiges Auf und Ab bei den Aktienkursen und ein deutlich anziehender Ölpreis – am Kapitalmarkt wächst die Unsicherheit. Die Geno-Graph-Redaktion sprach mit Jens Wilhelm, bei Union Investment für das Portfoliomanagement zuständiger Vorstand, zu den Aussichten für das restliche Jahr.
Herr Wilhelm, die wirtschaftliche Lage ist nach wie vor gut, dennoch gibt es viele Fragezeichen. Was erwarten Sie für den weiteren Verlauf des Jahres?
Wir kommen aus einer Phase des langanhaltenden, über alle Weltregionen relativ gleichmäßig verteilten Aufschwungs. Das ändert sich gerade. Nach vorne wird es wirtschaftlich schwieriger. Die ersten Wolken sind am Horizont sichtbar. Grund dafür sind vor allem die gewachsenen Gefahren für den Welthandel. Der um sich greifende Protektionismus führt dazu, dass die Unternehmen vorsichtiger werden – beispielsweise weil sie sich in Erwartung einer weiteren Verschärfung mit Investitionen zurückhalten. Auch wenn die eigentlichen Schutzmaßnahmen bislang gar nicht so drastisch sind, ist die Wirkung nicht zu unterschätzen: Der Welthandel wird nämlich gebremst, und damit ein wesentlicher Wachstumstreiber. Im Ergebnis verlangsamt sich das globale Konjunkturtempo.
Wie sieht das für einzelne Länder beziehungsweise Regionen genau aus?
Diese Entwicklung trifft nicht alle Regionen gleich stark, sondern hängt von der Einbindung einer Volkswirtschaft in den Welthandel ab. Die Gewinner der Globalisierung sind die Verlierer des Protektionismus. Das gilt vor allem für uns in Europa und die Schwellenländer, während die USA mit ihrem großen nationalen Heimatmarkt weniger stark betroffen sind. In den Vereinigten Staaten kommt noch hinzu, dass die Steuerreform von Präsident Trump der Konjunktur eine „zweite Luft“ verleiht und das Wachstum stützt. Hier scheint sogar eine Überhitzung möglich. Unter dem Strich nehmen damit die regionalen Wachstumsunterschiede wieder zu. In Europa trüben daneben auch politische Risiken die Perspektiven ein. Vor allem die Lage in Italien hat das Potenzial, die Kapitalmärkte im zweiten Halbjahr zu verunsichern. Wirtschaftlich ist Italien zwar kein Krisenkandidat, politisch ist das Land aber unberechenbar geworden. In Rom haben zwei populistische Parteien eine Koalition der Merkwürdigkeiten gebildet. Dennoch: Bislang hat Italien noch immer den Weg zurück zur Vernunft gefunden. Vorsicht, aber kein überzogener Aktionismus ist daher aus Investorensicht angebracht.
Was werden aus Ihrer Sicht die Notenbanken unternehmen?
Für die Kapitalmärkte ist es tatsächlich von entscheidender Bedeutung, wie die Notenbanken auf diese Entwicklungen reagieren. Der Richtungswechsel ist vollzogen, die Zeit der ultralockeren Geldpolitik geht zu Ende. Aber dieser Prozess läuft sehr, sehr langsam ab – zumal die konjunkturellen Fragezeichen eher zunehmen und mittelfristig den Straffungsdruck auf die Notenbanken verringern. Wir sind uns sicher, dass die Währungshüter in diesem Umfeld mit Leitzinsanhebungen sehr bedacht umgehen werden. Konkret erwarten wir für die entwickelten Volkswirtschaften nur behutsame Straffungen. In den USA rechnen wir 2018 noch mit zwei weiteren Leitzinsanhebungen. Für die Europäische Zentralbank sind Zinsschritte bis weit ins Jahr 2019 kein Thema. Damit können Konjunktur und Kapitalmärkte noch gut leben.
Welche Entwicklung erwarten Sie an den Rentenmärkten?
Wir gehen nicht von einem scharfen Anstieg der Renditen aus. Zwar weist der langfristige Trend bei den Renditen nach oben. Aber wir werden so schnell keine Rückkehr auf historische Niveaus sehen. Die Renditeanstiege für den Rest des Jahres sollten nur noch moderat ausfallen. Wir rechnen zum Jahresende mit 0,5 Prozent bei zehnjährigen Bundesanleihen und 3,2 Prozent bei laufzeitengleichen US-Treasuries. In anderen Teilen des Rentenmarkts werden jedoch die Unwägbarkeiten zunehmen, denn in den vergangenen Jahren waren Anleihen mit Renditeaufschlag, sogenannte Spread-Produkte, sehr attraktiv. Dieses Bild hat sich ein Stück weit gewandelt. Gerade europäische Unternehmensanleihen sind anfälliger geworden, unter anderem durch den absehbaren Rückzug der EZB als Käuferin.
Wie sieht die Entwicklung bei den Emerging Markets aus?
Bei den Schwellenländern raten wir zu einem überlegten Vorgehen. Die spätzyklische Konjunkturphase und steigende Rohstoffpreise sprechen eigentlich für die Schwellenländer. Gleichzeitig nimmt aber der Protektionismus zu und die Weltwirtschaft verliert an Dynamik. Beides trifft über die Vorleistungsketten die Emerging Markets besonders hart, vor allem in Asien. In Summe bedeutet das: Es gibt noch Chancen, aber man muss genauer hinschauen.
Sollte man auch bei Aktien und Rohstoffen Vorsicht walten lassen?
Hier bleiben wir insgesamt optimistisch, trotz gewachsener Herausforderungen. Die Unternehmen sind noch in Topform. Bei vielen Konzernen sprudeln die Gewinne, gerade in den USA. Auch wenn Aktien nicht mehr günstig sind und das Umfeld schwieriger wird, bleibt die Anlageklasse bis auf weiteres attraktiv. Auch Rohstoffe sind in spätzyklischen Konjunkturphasen – wie wir derzeit eine haben – weiter aussichtsreich. Insgesamt gehen wir von einem weiter guten, aber volatilen Börsenjahr 2018 aus und erwarten mittelfristig eine Konjunkturabkühlung, aber keine Rezession. Damit gibt es nach wie vor Chancen an den Kapitalmärkten, gerade für aktives Management. Denn: Nehmen die Unterschiede zwischen Asset-Klassen, Regionen, Branchen und Unternehmen zu, lässt sich das für den Anlageerfolg nutzen.