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Die eingetragene Genossenschaft – eine besondere Rechts-und Unternehmensform im Aufwind

Genossenschaftsidee - Gründer
Gunter Endres

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Unabhängig von den wichtigen Anpassungen an die Erfordernisse der Zeit – genannt werden können hier beispielhaft der demographische Wandel, die Digitalisierung sowie der Strukturwandel in der Landwirtschaft – zeichnen sich die Genossenschaften seit jeher durch ihre Orientierung an den Belangen und Bedürfnissen ihrer Mitglieder aus. Durch den Strukturwandel und einem oftmals damit verbundenen Wandel der unternehmerischen und individuellen Bedürfnisse erfolgt eine Abnahme der Neugründungen in einigen klassischen Betätigungsfeldern von Genossenschaften. Im Gegenzug entstehen genossenschaftliche Konstruktionen in völlig neuen, innovativen Wirtschaftsbereichen. Genannt werden können hier unter anderem Datengenossenschaften und Plattformgenossenschaften, Quartiersgenossenschaften oder Ärztegenossenschaften. 

Dabei ist die ursprüngliche Zielsetzung der Gründerväter, die gemeinschaftliche Lösung wirtschaftlicher oder sozialer Herausforderungen aus eigenem Antrieb (Selbsthilfe) noch heute aktuell. Ein besonderer Vorteil diesem Kontext ist die darstellbare Zusammenarbeit aller Akteure unter Wahrung der rechtlichen Eigenständigkeit der einzelnen Unternehmen. Die eingetragene Genossenschaft kann die Antwort auf anonyme oder monopolähnliche Strukturen im wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Umfeld sein. 

Tradition und Wandel verknüpft

Die Zukunftsfähigkeit der Genossenschaft als eigenständige Rechts- und Unternehmensform liegt in Ihrer besonderen Governancestruktur und ihren spezifischen Merkmalen – wie unter anderem Erfüllung des Förderzwecks, Bedeutung der Mitgliedschaft sowie Selbsthilfe – begründet. Mit ihren charakteristischen Merkmalen wie unter anderem Nachhaltigkeit, Glaubwürdigkeit, Transparenz und Identifikation ist die Genossenschaft eine Kooperation, die Tradition und Wandel verbindet. 

Gewisse Veränderungen der genossenschaftlichen Identität sind nötig, um sich den wandelnden rechtlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Veränderungen anzupassen. Ein modernisiertes Genossenschaftskonzept, das zugleich Nachhaltigkeitsaspekte integriert, schafft Potenziale, die im Genossenschaftswesen zu mehr Effizienz, zu erfolgreicher Differenzierung und vor allem zu einem Vertrauensvorsprung und nicht zuletzt einer engen Mitgliederbeziehung (Stichwort langfristige Kundenbindung) beitragen können. Nach Brundtland sollen die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen nicht zu Lasten der zukünftigen Generationen befriedigt und Ressourcen nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden, in dem sie sich sie sich erneuern können. Genossenschaften können in dieser Hinsicht auf eine mehr als hundertjährige Entwicklung zurückblicken. Als Selbsthilfeorganisationen stellen sie auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse ihrer Mitglieder dar, die generationenübergreifend weiterentwickelt werden. 

Nachhaltigkeit ist systemimmanent

Genossenschaftliche Entwicklung zukunftsfähig zu machen bedeutet, die Belange der gegenwärtigen Mitglieder zu befriedigen, ohne die Fähigkeit der eG zu gefährden, die Bedürfnisse und Wünsche zukünftiger Mitglieder erfüllen zu können. In diesem Sinn ist das essenzielle Thema der Nachhaltigkeit bei Genossenschaften systemimmanent. Nachhaltigkeit hat sich zu einem wichtigen gesellschaftspolitischen Thema entwickelt und diese Bedeutung wird, auch hinsichtlich politischer Regelungen, weiter zunehmen. 

Genossenschaftliche Unternehmen können Beiträge leisten, die über den Nutzen klassischer marktwirtschaftlicher Erfolgskennzahlen hinausgehen. Bemerkenswert dabei ist, dass Studien belegen: Bemühungen von Unternehmen, die auf die Erzielung positiver externer Effekte ausgerichtet sind,können auch überaus positive Auswirkungen auf den finanziellen Erfolg des Unternehmens erwirken. Beide Welten gehen quasi eine zukunftsträchtige Symbiose ein. 

Die Förderung der Mitglieder ist die zentrale Aufgabe der Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft (eG) und im Paragraph 1 des Genossenschaftsgesetzes fest verankert. Zugleich erzielen genossenschaftliche Unternehmen oftmals eben solche für die Gesellschaft positiven Effekte. So stellt sich die Frage, was zeichnet die Rechtsform aus? Was sind ihre rechtlichen Rahmenbedingungen und welche weiteren Besonderheiten charakterisieren diese durch Werte und Prinzipien geprägte, kooperative Unternehmensform? Und was genau steht hinter dem genossenschaftlichen Förderauftrag? Einige dieser besonderen Merkmale werden im Folgenden betrachtet. 

Insolvenzfestigkeit durch Pflichtprüfung

Essenziell für die Funktionsfähigkeit der Genossenschaften und einer der Gründe für die geringe Insolvenzquote dieser Rechtsform ist die genossenschaftliche Pflichtprüfung. Trotz keinerlei Vorgaben zu Stamm- oder Grundkapital und einem relativ einfach ausgestalteten Ein- und Austrittsprozess weisen Genossenschaften die niedrigste Insolvenzquote aller Rechtsformen auf. Ursache dafür ist unter anderem die genossenschaftliche Pflichtprüfung. Diese für jede eingetragenen Genossenschaft verpflichtende Vorgabe zur Prüfung durch einen Verband beinhaltet die Prüfung der wirtschaftlichen Kennzahlen sowie der Erfüllung des Förderzwecks. 

Dem Ziel der wirtschaftlichen Tragfähigkeit kommt auch die starke Mitgliederbindung zugute, denn die Mitglieder einer eG sind zugleich deren Eigentümer und daher an einem erfolgreichen und gemäß des Förderauftrags zweckgerichteten Vorgehen der Unternehmung interessiert. Der Mitgliederbindung wird zudem durch weitere systemimmanente Merkmale der eG Rechnung getragen. Als Konsequenz des Demokratieprinzips („one man one vote“) als urdemokratisches Element hat jedes Mitglied eine Stimme, völlig unabhängig von seiner Kapitaleinlage. So werden die Interessen aller Mitglieder gewahrt und zugleich ein Schutz vor Spekulationen gewährleistet. Die regionale Verankerung ist die Grundlage für eine Verbundenheit der Genossenschaft mit den Menschen und Einrichtungen vor Ort, was zu einem verantwortungsvolleren Verhalten beitragen kann. Und nicht zuletzt erzeugt unter anderem die Verpflichtung zur Ablegung von Rechenschaftsberichten vor der Mitgliederversammlung die in Genossenschaften herrschende Transparenz.

Mitgliederförderung steht über allem

Die Mitgliedschaft nimmt in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft somit eine herausragende Stellung ein. Basierend auf der Mitgliederförderung ist die Genossenschaft ein Instrument der gemeinsamen Selbsthilfe: Genossenschaftsmitglieder sorgen eigenverantwortlich für ihr erfolgreiches Fortbestehen, können dabei jedoch auf die Unterstützung der eigenen Mitglieder vertrauen und zudem von Synergieeffekte des gesamten genossenschaftlichen Verbunds profitieren. „Was den Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Dieses Zitat von Friedrich Wilhelm Raiffeisen zeigt die Bedeutung der gemeinschaftlichen Selbsthilfe auf, die dem Einzelnen, unter Wahrung der eigenen Selbstständigkeit, Möglichkeiten eröffnet, die alleine nicht umsetzbar wären. Das Genossenschaftsgesetz wurde im Laufe der Jahre bereits mehrfach verändert, um es an die sich stetig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Ein Beispiel unserer Zeit sind die allgemein beobachtbaren Fusionstendenzen, um Größenwachstum zu generieren. Moderne Genossenschaften müssen diesem Trend oftmals gerecht werden, um von den sogenannten Economies of Scale profitieren und dem Wettbewerbsdruck standhalten zu können.

Neben rechtlichen Vorgaben und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit als wesentliche Voraussetzung stellen auch die genossenschaftlichen Werte und Prinzipien ein essenzielles Charakteristikum dieser Rechts- und Unternehmensform dar. Seit geraumer Zeit lässt sich in der genossenschaftlichen Praxis eine veränderte Wertestruktur feststellen. Einigen genossenschaftlichen Werten kommt heutzutage nur noch eine geringe Bedeutung zu, andere hingegen besitzen noch einen enormen Stellenwert. Der bereits erwähnte Förderzweck ist auch heute noch Wesensprinzip und Alleinstellungsmerkmal der eG, was auch dadurch begründet ist, dass dieser Grundsatz im Genossenschaftsgesetz festgeschrieben ist: Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften), erwerben die Rechte einer „eingetragenen Genossenschaft“ nach Maßgabe dieses Gesetzes (§ 1 GenG Wesen der Genossenschaft). Der Förderzweck ist individuell gestaltbar, die Operationalisierung des Förderauftrages hat vielfältige Facetten – von der reinen Dividendenzahlung auf das Geschäftsguthaben bis hin zu Rückvergütungen oder Exklusivvorteilen – und wird in der Satzung festgeschrieben.

Neben der Umsetzung der Werte und Prinzipien stellt auch die Kommunikation derselben einen wichtigen Beitrag dar. Die Vermittlung der genossenschaftlichen Leitbilder sowie der Grundsätze der Geschäftsführung leistet einen essenziellen Beitrag zur langfristigen Mitglieder- und Kundenbindung und somit zur wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit der eingetragenen Genossenschaften. Dieses Ziel hat sich auch der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband auf die Fahnen geschrieben.

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