Die Genossenschaften erarbeiten Strategien gegen den Fackräftemangel. Die Volksbank Schwarzwald Baar Hegau hat beispielsweise mit der Ü40-Ausbildung ein Modell gefunden, um Azubi-Stellen zu besetzen.
Seit 1. September 2014 ist Kathleen Schlenker Auszubildende bei der Volksbank und wird Finanzassistentin. Für die 38-Jährige ist es die Rückfahrkarte in die Arbeitswelt, für die Volksbank ist es die Chance, eine lebenserfahrene, hochmotivierte und ausbildungsreife Mitarbeiterin langfristig an das Unternehmen zu binden. Schon jetzt ist klar: Das Modell hat Zukunft.
Noch vor wenigen Monaten war der Alltag für Kathleen Schlenker ein gänzlich anderer. Ihr Leben bestand aus Kinder versorgen, Essen kochen, Haushalt machen – und Bewerbungen schreiben. Voller Begeisterung erzählt die temperamentvolle Dauchingerin von ihrem neuen Lebensabschnitt. Sie wird Finanzassistentin. „Ich hab‘ einfach meine Chance genutzt“, sagt sie, die ein Jahr arbeitssuchend war und in dieser Zeit 80 Bewerbungen geschrieben hat. Alle ohne Erfolg. „Wer stellt schon eine Mutter von drei Kindern ein, die in ihrem Beruf als Diätassistentin von 1995 bis 1998 gearbeitet hat und dann in der Firma des Mannes tätig war?“ Sie ärgert sich immer noch. Das ist ihr anzumerken. Denn auch, wenn sie keinen kaufmännischen Abschluss besitzt, hat sie doch – wie man so schön sagt – den Laden geschmissen. „Ich habe den gesamten kaufmännischen Bereich abgedeckt.“ 2012 verkaufte ihr Mann jedoch die Firma. Kathleen Schlenker arbeitete noch ein weiteres Jahr in dem Betrieb. Dann wurde sie betriebsbedingt gekündigt und stellte schnell fest, dass es für sie schwer wird auf dem Arbeitsmarkt.
Vollzeit-Azubi mit 38 Jahren
„Ein Unding“, findet Personalleiter Dr. Hans-Christof Gierschner und Astrid Hermanutz von
der Volksbank Schwarzwald Baar Hegau dazu. Die Ausbildungsleiterin erfuhr von der Bundesagentur für Arbeit in Villingen-Schwenningen von Kathleen Schlenker. Die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, Sandra Husseck, hatte mit Astrid Hermanutz im Vorfeld schon über die Ü40-Ausbildunggesprochen und schlug ihr die 38-Jährige vor, die im Laufe der Ausbildung die Altersgrenze erreichen würde. Drei Telefonate, ein Beratungs- und ein Bewerbungsgespräch später unterschrieb Kathleen Schlenker den Ausbildungsvertrag. Aufgrund ihrer Vorkenntnisse absolviert sie die verkürzte zweijährige Ausbildung zur Finanzassistentin.
Mit Kindern und Mann hatte sie im Vorfeld gesprochen, die Familie steht hinter ihr. „Ohne die Unterstützung der Familie geht es nicht, das ist klar.“ Lernorte und Lernzeiten wurden geschaffen, Aufgaben verteilt. Hermanutz und Gierschner: „Wir haben uns bewusst dafür entschieden eine Ü40-Ausbildung für Frauen anzubieten, die am Arbeitsmarkt noch einmal durchstarten wollen, aber aufgrund längerer Kinderpausen weniger Chancen haben. Wir möchten hier die Möglichkeit geben, mit einer fundierten Ausbildung in der Volksbank eine Karriere starten zu können.“
Ein großes Potenzial im Kampf gegen den Fachkräftemangel
Die Volksbank Schwarzwald Baar Hegau sieht in dieser Personengruppe ein großes Potenzial. Ältere Azubis sind ausbildungsreif und leistungsbereit, sie sind motiviert, interessiert, zuverlässig – und sie wissen ganz genau, was sie wollen. „Schon in der Einführungswoche unserer 19 Azubis hat sich gezeigt, dass unsere Erwartungen übertroffen werden. Es war so toll zu sehen, wie sich durch die Initiative von Frau Schlenker ein Team gebildet hat. Der Altersunterschied hat überhaupt keine Rolle gespielt“, sagt Astrid Hermanutz. „Auch die Kunden stehen unserer Auszubildenden mit dem etwas Mehr an Lebenserfahrung durchweg positiv gegenüber.“
Eine weitere Auszubildende, die am Ü40-Programm teilnimmt, ist schon gefunden. „Denn“, so beide Personaler der Volksbank Schwarzwald Baar Hegau abschließend, „den Fachkräftemangel gibt es auch bei uns in der Region. Da wir eine hochqualifizierte Ausbildung anbieten, freuen wir uns, wenn unser Nachwuchs – egal, ob jünger oder älter – die Chance wahrnimmt und sich im Anschluss an die Ausbildung für uns als Arbeitgeber entscheidet.“
Die Autorin des Artikels ist Tanja Frank, Leiterin Unternehmenskommunikation der Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau.