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Oikocredit: Kleinkredite für Frauen in Indien

Petra Pfeiffer, Mitglied des Vorstands des Oikocredit Förderkreises Baden-Württemberg engagiert sich für indische Frauengruppen
Oikocredit

Indien ist so vielfältig wie widersprüchlich. Frauen in leuchtenden Saris, heilige Kühe im dichten Verkehrsgedränge und futuristische Wolkenkratzer prägen das Alltagsbild genauso wie Slumsiedlungen ohne fließend Wasser und bittere Armut. Auf diese ambivalenten Bilder trafen auch die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der internationalen Genossenschaft Oikocredit. Sie sind im Februar 2015 zu einer Studienreise nach Indien aufgebrochen. Ihr Ansinnen: aus erster Hand zu erfahren, wie ihre Geldanlage das Leben von Korbflechterinnen, Marktfrauen oder Kleinbauern in Indien verändert – in dem Land, in dem Oikocredit seinen allerersten Kredit vergeben hatte.

Oikocredit – 40 Jahre Entwicklungsfinanzierung

Die 43-jährige Ludwigsburgerin und Bankkauffrau Petra Pfeiffer war Teil der Reisegruppe. In ihrer Freizeit engagiert sie sich im Vorstand des Oikocredit Förderkreises Baden-Württemberg: „Mikrofinanz hat mich schon immer fasziniert. So bin ich auch zu Oikocredit gekommen“, erinnert sich Pfeiffer. Denn Oikocredit sorgt seit 40 Jahren dafür, dass das Kapital ihrer Anleger dort ankommt, wo es dringend benötigt wird. Beispielsweise in Indien: Über 80 Millionen Euro sind derzeit als Darlehen und Kapitalbeteiligungen an sozial orientierte Unternehmen verliehen. Darunter ist auch die Mikrofinanzorganisation Annapurna. Annapurna Microfinance wurde vor fünf Jahren von einer lokalen Entwicklungsorganisation gegründet, um Kredite an Frauen zu vergeben. Kredit und Beratung sollen sie unterstützen, ein kleines Einkommen für ihre Familien zu erwirtschaften. Wie das geht, sah Petra Pfeiffer im Dorf Radra Charanpur im ostindischen Bundesstaat Odisha. Dort wohnen einige äußerst geschäftstüchtige Kundinnen des Mikrofinanzinstituts. Sie betreiben Fischhandel und Garküchen, stellen Milchprodukte her und züchten Pilze.

Frauen schließen sich zu Solidargruppen zusammen

„Annapurna vergibt Mikrokredite nur an Frauengruppen. Was ich mir in meiner Ludwigsburger Nachbarschaft eher schwierig vorstelle, war in Radra Charanpur kein Problem“, erzählt die Oikocredit-Engagierte. Die Frauen hatten sich nämlich schon vor langem zusammengeschlossen, als Mitarbeiterinnen für die Schulkantine im Dorf gesucht wurden. Auf die Reisegruppe wirkten sie wie eine eingeschworene Gemeinschaft. Doch auch beim Geschäftlichen schienen sie sich einig. „Das meiste Geld investieren wir in den Ausbau unserer Geschäfte und in die Bildung unserer Kinder“, so die Vorsitzende der Gruppe. Die anwesenden Frauen bestätigten das. Dafür hatten sie zunächst das staatliche Spar- und Kreditprogramm bei der lokalen Bank ausprobiert. Doch die Zinsen waren hoch und die Kreditbeträge klein. Dann entdeckten sie das Mikrokreditprogramm von Annapurna.

Soziale Probleme und gesellschaftliche Herausforderungen

Die Schere zwischen Arm und Reich ist eines der gravierendsten Probleme Indiens. In der größten Demokratie der Welt müssen fast die Hälfte der 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen. Ein Viertel der Bevölkerung hungert – vor allem in ländlichen Regionen. Kinderarbeit zur Aufbesserung des Familieneinkommens ist vielerorts die Konsequenz. Auf der Suche nach einem besseren Leben wandern viele Menschen auch in die Städte und fristen dort oft ihr Dasein unter katastrophalen Bedingungen. 600 Millionen Menschen haben derzeit keine ausreichende Sanitärversorgung und kein sauberes Trinkwasser – 50 Prozent der Bevölkerung müssen ihre Bedürfnisse im Freien verrichten – die Folgen für die Gesundheit, insbesondere von Kindern, und die Gefährdung von Mädchen und Frauen liegen auf der Hand. Deshalb bietet eine der über 70 indischen Partnerorganisationen von Oikocredit ausschließlich Kredite für den Bau von Toiletten und Wasseranschlüssen an.

Mikrokredite mit großer Wirkung

Im Bundesstaat Tamil Nadu, im Südosten Indiens, zeigt die knapp 50-jährige Susila der Reisegruppe stolz ihre neue Toilette samt Duschraum. Das erleichtert den Alltag der Familie ungemein. Denn bisher mussten sie ihre Notdurft auf einem Feld erledigen, das rund einen Kilometer außerhalb lag – morgens und abends in der Dunkelheit. Doch „was tust du, wenn du Schmetterlinge im Bauch hast, dann kannst du nicht bis abends warten“, erklärt Susila und deutet so ihre Scham an, am helllichten Tag ihre Bedürfnisse zu verrichten, während Leute am Feld vorbeigehen. „Erst als ich eines Nachts auf dem Feld eine Schlange entdeckte, habe ich über den Bau einer Toilette nachgedacht“, erzählt sie weiter.

Kredite für Sanitäranlagen

Mit Hilfe eines Kredits von Guardian, einem Partner von Oikocredit, ließ sich die Familie 2012 die sanitären Einrichtungen von einem lokalen Handwerker bauen. Umgerechnet 860 Euro mussten sie dafür bezahlen. Drei Viertel waren Ersparnisse, ein Viertel kreditfinanziert. Wichtig bei der Arbeit von Guardian ist, dass nicht nur Kredite vergeben werden. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klären in Workshops über den Zusammenhang von Fäkalien und Krankheiten auf“, berichtet die Reisegruppe. Durch sauberes Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen gebe es weniger Infektionskrankheiten. Das spart hohe Arztkosten. Susila konnte ihr Projekt nur realisieren, weil sie Mitglied einer Frauengruppe in ihrem Viertel ist. Sie bürgen füreinander und springen im Notfall für ein Mitglied ein, das ihre wöchentliche Rate nicht zurückzahlen kann. Laut Susila ist das jedoch noch nie passiert. Kredite für Sanitäranlagen können nur Frauen beantragen, in deren Familien ein sicheres Einkommen erwirtschaftet wird, sei es durch den Ehemann, einen Sohn oder über die Kreditnehmerin selbst. Seit ihrer Gründung hat Guardian 55.000 Haushalten zu sanitären Einrichtungen verholfen.

100 Millionen Euro aus Baden-Württemberg

Das alternative Anlagemodell Oikocredit wird auch im „Ländle“ unterstützt. Im Januar hat das Kapital von über 6.500 Anlegern aus Baden-Württemberg erstmals die 100 Millionen Euro-Marke überschritten - ein schönes Geschenk zum 40-jährigen Bestehen der ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft. So kann Oikocredit auch weiterhin einen Beitrag leisten, Arbeitsplätze zu schaffen, kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fördern und Kleinunternehmerinnen Zugang zu Krediten und Sparmöglichkeiten zu bieten – kurz gesagt, die Lebensbedingungen von Menschen mit geringem Einkommen zu verbessern.

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