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Weinherbst in Württemberg: Gute Qualitäten bei starken Ertragsrückgängen

Weinherbst Württemberg
BWGV

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Die feucht-warme Witterung der letzten Wochen hat die Lese-Dynamik auf der Zielgeraden nochmals deutlich beschleunigt. Dementsprechend ist die Hauptlese in den württembergischen Weinbergen mittlerweile fast überall abgeschlossen. Das Fazit der 31 württembergischen Weingärtnergenossenschaften: Es lagern gute Qualitäten in den Kellern. Dies kompensiert die Enttäuschung über eine deutlich geringere Erntemenge als ursprünglich erwartet. „Die Weingärtnergenossenschaften haben sich in einem witterungsbedingt ungemein herausfordernden Jahr gut behauptet und schauen auf einen soliden Weinjahrgang 2024“, betont Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), und erklärt: „Die heißen und sonnenreichen Spätsommerwochen kamen zum richtigen Zeitpunkt, ließen die Mostgewichte schnell ansteigen und haben zu einer sehr guten Aromareife der Trauben geführt. Aufgrund der guten Wasserverfügbarkeit in diesem Jahr haben sich die Reben gut entwickelt.“ Anlässlich der Pressekonferenz zum Weinherbst in Württemberg in den Räumlichkeiten der Weinmanufaktur Stuttgart eG macht Theileis deutlich: „Verbraucherinnen und Verbraucher können sich auf hochwertige württembergische Genossenschaftsweine freuen.“ 

Teils starke regionale Frostschäden

Deutliche Einbußen haben die württembergischen Weingärtnerinnen und Weingärtner dagegen beim Ertrag zu verkraften: Der BWGV rechnet zum jetzigen Zeitpunkt mit einer gegenüber den Vorjahren um 25 bis 30 Prozent geringeren genossenschaftlichen Erntemenge. Theileis: „Die Spätfröste in der zweiten Aprilhälfte haben starke Spuren hinterlassen. Die 64 Millionen beziehungsweise 73 Millionen Liter der Jahre 2023 und 2022 werden wir weit verfehlen. Auch im Mehrjahresvergleich wird es eine unterdurchschnittliche Erntemenge.“ 

Mindestens die Hälfte der Anbaufläche wurde teilweise oder komplett durch den Frost geschädigt, wobei die regionalen Unterschiede sehr stark sind. Besonders stark betroffen von den Frostnächten zwischen dem 21. und 24. April waren Anlagen im Enz-, Tauber- und Jagsttal, im Weinsberger Tal und in den Löwensteiner Bergen. Über das ganze Anbaugebiet hinweg sind insbesondere bei den weißen Rebsorten massive Ertragseinbußen zu beklagen. Auffällig ist, dass auch ansonsten eher weniger frostanfällige Höhen- und Waldrandlagen in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Der niederschlagsreiche Winter und das warme Frühjahr haben zu einem sehr frühen Austrieb geführt. Dies hat die Frostanfälligkeit erhöht“, erklärt Theileis. Rebanlagen, die nicht vom Frost betroffen waren, zeigten einen raschen und positiven Vegetationsverlauf. 

Das niederschlagreichste Jahr seit Wetteraufzeichnung stellte alle Weingärtner in Bezug auf den Pflanzenschutz vor große Herausforderungen. „Der Infektionsdruck für Rebenperonospora (falscher Mehltau) war hoch. Dies sorgte für einen immensen Mehraufwand im Weinberg – doch die Weingärtnerinnen und Weingärtner haben großartige Arbeit geleistet und die Reben gesund erhalten“, betont der BWGV-Präsident. Mit viel zusätzlicher Handarbeit durch kulturtechnische Maßnahmen, fachlichen Austausch und Einbeziehung wichtiger Prognosemodelle haben die Weingärtner die Kraftanstrengung gemeistert. Theileis: „Das Weinjahr 2024 zeigt erneut: Der Grundstein für exzellente Qualität im Glas wird mit guter Arbeit im Weinberg gelegt.“ 

Die durchschnittlichen Mostgewichte sehen bei den Hauptsorten wie folgt aus: Riesling 77 Grad Oechsle, Schwarzriesling 81 Grad Oechsle, Spät-burgunder 84 Grad Oechsle, Trollinger 70 Grad Oechsle und Lemberger 81 Grad Oechsle. 

Weingärtnergenossenschaften: Rückgänge bei Absatz und Umsatz 

In einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld verzeichnen die württembergischen Weingärtnergenossenschaften Rückgänge beim Absatz und beim Umsatz. Der Absatz im ersten Halbjahr 2024 lag mit 23,1 Millionen Liter Wein und Sekt rund drei Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Und auch der Umsatz von Januar bis Juni 2024 war mit rund 76,5 Millionen Euro um 6,6 Prozent rückläufig. Im Gesamtjahr 2023 haben die württembergischen Weingärtnergenossenschaften 52,9 Millionen Liter Wein und Sekt verkauft (Vorjahr: 65,2 Millionen Euro). Der Umsatz sank deutlich um 25 Prozent auf 176,8 Millionen Euro.

WZG: Weinkonsum weiter rückläufig

Zum rückläufigen Weinabsatz trägt auch eine sich weiter verschlechternde Verbraucherstimmung in Deutschland bei, wie die Württembergische Weingärtner-Zentralgenossenschaft (WZG) betont. „Wirtschaftliche Rezession, Inflationsängste, globale Krisen, Krieg in der Ukraine und Nahost – es sind viele Faktoren, die sich letztendlich in einer zunehmenden Konsumzurückhaltung äußern. Dies gilt ganz generell für den Konsum, aber insbesondere in der Genusskategorie Wein“, erklärt Uwe Kämpfer, Vorstand Marketing und Vertrieb der WZG, und ergänzt: „Diese Entwicklung ist gerade im Lebensmitteleinzelhandel besonders deutlich“. 

So setzten sich im ersten Halbjahr 2024 gemäß des „Nielsen IQ Homescan Panels“ die Rückgänge bei den Weinkäufen fort: Von Januar bis Juni wurden in Deutschland laut Marktforschung 3,9 Prozent weniger Wein gekauft als im Vorjahreszeitraum, bei deutschen Weinen betrug der Rückgang sogar 4,8 Prozent. Der Umsatz reduzierte sich im ersten Halbjahr allerdings nur um 0,9 Prozent für Wein gesamt, beziehungsweise 5 Prozent für deutschen Wein. 

„Wie in den Jahren zuvor ist die Ursache für den deutlichen mengenmäßigen Rückgang vor allem die gesunkene Käuferreichweite“, erklärt Kämpfer. Die Anzahl Wein kaufender Haushalte sank in den ersten sechs Monaten des Jahres auf 42,8 Prozent deutlich gegenüber 45 Prozent im Vorjahreszeitraum. Ein Trend der im ersten Halbjahr kontinuierlich schneller voranschritt. Weine aus dem Ausland waren hierbei etwas mehr betroffen als deutsche Weine.

Und auch in der mengen- und wertmäßigen Weinmarkt-Entwicklung sind die Unterschiede zwischen deutschem und ausländischem Wein geringer geworden: Während im Jahr zuvor ausschließlich deutsche Weine Verluste erzielten, betrifft die Kaufzurückhaltung nun ausländische Weine gleichermaßen. Mengenmäßige Gewinner bei den ausländischen Weinen sind wie im Vorjahr die Weine aus Spanien (+0,9%), Italien (+1,8%) und vor allem Frankreich (+3,4%). Klarer Verlierer waren wie im Vorjahr die Weine der Neuen Welt, die sich in der Menge um 30,9 Prozent reduzierten. Im Wert war die Entwicklung ähnlich: Spanien (+2,3%), Italien (+7,3%) und Frankreich (+0,7%) konnten ihre Marktanteile vor allem auf Kosten der Neuen Welt (-26,4%) ausbauen. Deutscher Wein hat sich sowohl mengen- als auch wertmäßig in den ersten sechs Monaten dieses Jahres noch etwas schwächer als ausländischer Wein entwickelt: Der Marktanteilsverlust in der Menge beträgt 0,4 Prozent und im Wert 1,5 Prozent. 

Prekäre wirtschaftliche Situation

„Unterm Strich ist die wirtschaftliche Situation für viele Betriebe prekär“, macht Theileis deutlich. „Die Produktionskosten sind für die Weinbaubetriebe im Jahr 2023 um rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. In Verbindung mit einem inflationären globalen Wettbewerb sowie tendenziell rückläufigen Käuferschichten entzieht dies der Branche immer mehr die wirtschaftliche Tragfähigkeit. Es ist dramatisch“, so der BWGV-Präsident.

Theileis mahnt: „Die heimischen Weingärtnerfamilien und Betriebe können nicht alleine alles schultern. Auch Handel und Verbraucher haben es in der Hand, wie sich die regionale Weinwirtschaft weiterentwickelt.“ Dabei sieht der BWGV-Präsident nicht zuletzt den Lebensmitteleinzelhandel in der Verantwortung, partnerschaftlich zu agieren und die Betriebe vor Ort bei den Preisverhandlungen und der Zusammenstellung des Sortiments nicht gegen internationale Konkurrenz auszuspielen. „Unsere Genossenschaftsweine müssen sich vor der internationalen Konkurrenz nicht verstecken – im Gegenteil. Die Verbraucherinnen und Verbraucher schätzen eine gute Auswahl regionaler Genossenschaftsweine. Dies muss sich im Regal widerspiegeln.“ Zumal die Weingärtnergenossenschaften mit Produktinnovationen auch auf neue Kundenwünsche reagieren. So haben immer mehr Genossenschaften alkoholreduzierte und alkoholfreie Weine und Sekte im Angebot. Theileis: „Dies ist ein echter Zukunftsmarkt.“ 

Beim Thema Nachhaltigkeit sind die württembergischen Genossenschaften mit der aktuellen Markteinführung einer 0,75 Liter-Mehrweg-Flasche im Fachhandel und Lebensmitteleinzelhandel bundesweit in einer Vorreiterrolle. Darüber hinaus hebt Theileis die Bedeutung der Genossenschaften für die regionale Wertschöpfung und den ländlichen Raum hervor. 

Mit 7.598 Hektar werden rund zwei Drittel der Rebflächen in Württemberg von Weingärtnergenossenschaften und deren Mitglieder bewirtschaftet. Von den 31 Weingärtnergenossenschaften bauen 15 ihre Weine im eigenen Keller aus. Dazu kommt noch die WZG. Die Zahl der Mitarbeitenden liegt bei 706.  „Neben der Weinproduktion stehen unsere Genossenschaften auch für die Pflege und den Erhalt unserer einzigartigen Kulturlandschaft, was wiederum auf Lebensqualität sowie den Tourismus im Land einzahlt“, stellt der BWGV-Präsident heraus und ergänzt: „Auch viele Tourismusevents werden von der Weinbranche getragen. Weingärtnergenossenschaften sind wichtige Akteure im Tourismus.“

Wettbewerbsnachteil darf sich nicht verschärfen

Mit Unverständnis reagiert der BWGV auf die jüngsten Aussagen des Bundesarbeitsministers, den Mindestlohn ab dem Jahr 2026 auf rund 15 Euro zu erhöhen. „Gerade im handarbeitsintensiven Bereich der Sonderkulturen ist der Mindestlohn ein entscheidender Faktor. Der BWGV und die Genossenschaften stehen für faire und gute Löhne für ausgebildete Fachkräfte und damit auch zum Mindestlohn. Doch die Betriebe müssen auch ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern und somit Saisonkräften aus dem EU-Ausland den erhöhten Stundensatz bezahlen“, macht Theileis deutlich. In Deutschland und Baden-Württemberg seien die Genossenschaften ohnehin mit im europäischen Vergleich hohen Steuern, teurer Energie und hohen Lohnkosten belastet. Theileis: „Dieser Wettbewerbsnachteil darf sich nicht weiter verschärfen. Sonst drohen gerade auch im Weinbau Betriebsaufgaben.“ Er verweist auf exportorientierte Nachbarländer wie Spanien mit einem Mindestlohn von 6,87 Euro, oder Italien, wo überhaupt kein Mindestlohn existiert. Theileis plädiert: „Die Politik muss für ungelernte Kräfte eine angepasste Regelung finden und die Betriebe entlasten.“ 

Echter Bürokratieabbau ist notwendig

Die Grenze der Belastbarkeit sieht der BWGV auch bei der Bürokratie und den Dokumentationspflichten erreicht: Mit Blick auf die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vergangene Woche vorgestellten Maßnahmen zum Bürokratieabbau sagt Theileis: „Dies ist richtig und wichtig. Aber zu einer echten Reduktion gehört, mehr Bürokratie abzubauen als neue aufzubauen. Das One-in-two-out-Prinzip muss konsequent umgesetzt werden. Laut Statistischem Bundesamt sind im Zeitraum zwischen 2014 und 2023 insgesamt 208 neue bundesrechtliche Vorgaben für die Agrarbranche eingeführt wurden – davon allein 125 neue Informationspflichten. Im selben Zeitraum wurden jedoch nur 22 Vorgaben abgebaut und 35 vereinfacht.“ Als Negativbeispiel für die Weinbranche in Baden-Württemberg nennt er die von Landratsamt zu Landratsamt unterschiedlichen Antragsstellungen und Gebührensätze, wenn es um die Genehmigung einer Erhöhung der Wochenarbeitsstunden während der Lese geht. „Wir übernehmen dies als Dienstleistung für unsere Mitglieder und sehen daher die enormen lokalen Unterschiede.“ 

Pflanzenschutz ist existenziell

Positiv bewertet Theileis die Entwicklung bei den bundespolitischen Plänen zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes durch das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“: „Es ist gut, dass die auf europäischer Ebene bereits durchgefallenen Pläne zu starren Reduktionszielen und pauschalen Verboten nicht national durchgesetzt werden sollen. Dies hätte verheerende Folgen gerade für Steillagen und unsere einzigartigen Kulturlandschaften gehabt.“ Die angestrebte engere Kooperation von Landwirtschaft und Naturschutz sowie der Fokus auf wissenschaftsbasierten und wirtschaftlich tragfähigen Konzepten unter Einsatz der digitalen und technischen Möglichkeiten sei der richtige Weg. „Dies muss nun aber auch so umgesetzt werden. Gerade das witterungsbedingt extrem herausfordernde Jahr 2024 hat deutlich vor Augen geführt, wie existenziell Pflanzenschutz ist“, unterstreicht Theileis.

Weinmanufaktur Stuttgart: starke Ausrichtung auf Qualität und nachhaltiges Wirtschaften

Intensive Arbeit im Weinberg sind die Weingärtnerinnen und Weingärtner der Weinmanufaktur Stuttgart eG gewohnt. Schließlich hat es sich die Genossenschaft auf die Fahnen geschrieben, komplett ohne Herbizide zu arbeiten, was ganz allgemein schon mehr mechanische Unterstockarbeit erfordert. „In diesem Jahr war die Arbeit für unsere rund 30 Weingärtnerfa-milien witterungsbedingt noch aufwändiger“, betont Saskia Wörthwein, Geschäftsführerin und Vorstandssprecherin der Weinmanufaktur Stuttgart. Die Arbeit habe sich aber gelohnt: „Wir sind mit der Qualität zufrieden und freuen uns über im Vergleich zu den Vorjahren etwas leichtere Weine mit moderatem Alkoholgehalt“, so Wörthwein. Einbußen hat die Weingärtnergenossenschaft beim Ertrag: Auch Rebanlagen der Weinmanufaktur haben Frostschäden erlitten, vor allem beim Chardonnay, den weißen Burgundersorten und beim Lemberger.

Mit rund 90 Hektar Anbaufläche gehört die Weingärtnergenossenschaft in Untertürkheim zu den kleinsten Genossenschaften in Deutschland – und mit ihrem Geburtsjahr 1887 zu den ältesten. Traditionell ist Trollinger die Hauptrebsorte, gefolgt von Riesling sowie Spätburgunder und Lemberger. Seit einigen Jahren ergänzen auch internationale Weinsorten das ohnehin vielfältiges Angebot der Weinmanufaktur. „Interregional“ nennt Wörthwein die die Strategie, internationale Sorten regional zu etablieren. Cabernet Franc machte 2008 den Anfang, gefolgt von Merlot, Syrah, Viognier. „Aufgrund unserer kleinen Gesamtanbaufläche gehen wir bei Neuaufnahmen in den Weinbergen ebenso wie bei Innovationen wie etwa alkoholfreien Produkten sehr behutsam vor. Wir wollen möglichst genau einschätzen können, ob es auch eine Nachfrage bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt“, erklärt Wörthwein. 

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