Die Freude über die gute Qualität kompensiert die Enttäuschung über eine geringere Erntemenge: Die 71 badischen Winzergenossenschaften haben sich in einem witterungsbedingt ungemein herausfordernden Jahr gut behauptet und bringen einen soliden Weinjahrgang 2024 in den Keller. „Die heißen und sonnenreichen Spätsommerwochen kamen zum richtigen Zeitpunkt, ließen das Mostgewicht schnell ansteigen und haben zu einer sehr guten Aromareife der Trauben geführt. Aufgrund der guten Wasserverfügbarkeit in diesem Jahr haben sich die Reben gut entwickelt“, betont Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), anlässlich der Pressekonferenz zum Weinherbst in Baden. „Verbraucherinnen und Verbraucher können sich auf hochwertige badische Genossenschaftsweine freuen,“ erklärt Theileis in den Räumlichkeiten der Alde Gott Winzer Schwarzwald eG in Sasbachwalden.
Regionale Frostschäden
Einbußen haben die badischen Winzerinnen und Winzer dagegen beim Ertrag zu verkraften: Der BWGV rechnet zum jetzigen Zeitpunkt mit einer gegenüber den Vorjahren um 15 bis 20 Prozent geringeren genossenschaftlichen Lesemenge. Theileis: „Die Spätfröste in der zweiten Aprilhälfte haben starke Spuren hinterlassen. Die 95 Millionen beziehungsweise 90 Millionen Liter der Jahre 2023 und 2022 werden wir weit verfehlen. Auch im Mehrjahresvergleich wird es eine unterdurchschnittliche Erntemenge.“ Bei den Schäden zeigt sich ein sehr heterogenes Bild im gesamten Anbaugebiet Baden. Von den Frostnächten zwischen dem 21. und 24. April waren Anlagen in der Ortenau und Teilen Nordbadens, in Tauberfranken und dem Kraichgau teils mit markanten Schäden betroffen. Die südlichen Bereiche, wie beispielsweise der Kaiserstuhl und das Markgräflerland, blieben weitestgehend verschont. „Der niederschlagsreiche Winter und das warme Frühjahr haben zu einem sehr frühen Austrieb geführt. Dies hat die Frostanfälligkeit erhöht“, erklärt Theileis. Manche Betriebe haben Ausfälle von bis zu 80 Prozent zu beklagen. Rebanlagen, die nicht vom Frost betroffen waren, zeigten einen raschen und positiven Vegetationsverlauf.
Das niederschlagreichste Jahr seit Wetteraufzeichnung stellte alle Winzer in Bezug auf den Pflanzenschutz vor große Herausforderungen. „Der Infektionsdruck für Rebenperonospora (falscher Mehltau) war hoch. Dies sorgte für einen immensen Mehraufwand im Weinberg – doch die Winzerinnen und Winzer haben großartige Arbeit geleistet und so die Reben gesund erhalten“, betont der BWGV-Präsident. Mit viel zusätzlicher Handarbeit durch kulturtechnische Maßnahmen, fachlichem Austausch und Einbeziehung wichtiger Prognosemodelle haben die Winzer diese Kraftanstrengung gemeistert. Theileis: „Das Weinjahr 2024 zeigt erneut: Der Grundstein für exzellente Qualität im Glas wird mit guter Arbeit im Weinberg gelegt.“ Für die noch ausstehenden Erntetage hoffen die Winzerinnen und Winzer auf goldene Herbsttage mit wenig Niederschlägen, moderaten Temperaturen und viel Sonne.
Gute Mostgewichte
Die Lese der frühen Sorten hat in den badischen Winzergenossenschaften dieses Jahr Anfang September begonnen, die Hauptlese startete vergangene Woche. „Je nachdem wie sich die Wetterlage entwickelt, gehen wir davon aus, dass die Lese bis Anfang Oktober größtenteils abgeschlossen sein wird. Je nach Witterung könnte sich durch größere Niederschlagsmengen die Dynamik erhöhen, und es wird schneller gehen“, macht Theileis deutlich. Die durchschnittlichen Mostgewichte sind gut: Müller-Thurgau liegt aktuell bei durchschnittlich 80 Grad Oechsle, Weißburgunder und Grauburgunder zwischen 88 und 90 Grad Oechsle. Die Spätburgunder liegen im Schnitt bei rund 92 Grad Oechsle.
Badische Winzergenossenschaften: Stabiler Absatz und Umsatz
In einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld haben sich die badischen Winzergenossenschaften gut behauptet, Absatz und Umsatz blieben stabil. Theileis: „Die badischen Genossenschaftsweine sind eine starke Marke mit hoher Bekanntheit. Dies wirkt sich positiv aus.“ Der Absatz im ersten Halbjahr 2024 lag mit 38,4 Millionen Liter Wein und Sekt auf dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Und auch der Umsatz von Januar bis Juni 2024 war mit rund 126,2 Millionen Euro nahezu identisch. Im Gesamtjahr 2023 haben die badischen Winzergenossenschaften 77,8 Millionen Liter Wein und Sekt verkauft (Vorjahr: 79,2 Millionen Euro). Der Umsatz sank um knapp vier Millionen Euro auf 245,2 Millionen Euro. „Nach deutlichen Absatz- und Umsatzrückgängen im Jahr zuvor hat sich die Lage für unsere Genossenschaften etwas stabilisiert“, betont Theileis.
Prekäre wirtschaftliche Situation
Dies dürfe aber nicht davon ablenken, dass die wirtschaftliche Situation für viele Betriebe prekär sei. „Die Produktionskosten sind für die Weinbaubetriebe im Jahr 2023 um rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. In Verbindung mit einem inflationären globalen Wettbewerb sowie tendenziell rückläufigen Käuferschichten entzieht dies der Branche immer mehr die wirtschaftliche Tragfähigkeit. Es ist dramatisch“, so der BWGV-Präsident. Allein im ersten Halbjahr 2024 ist der gesamte Weinabsatz deutscher Weine im Einzelhandel um zehn Prozent gesunken, wie es die Geisenheimer Absatzanalyse ausweist.
Theileis mahnt: „Die heimischen Winzerfamilien und Betriebe können nicht alleine alles schultern. Auch Handel und Verbraucher haben es in der Hand, wie sich die regionale Weinwirtschaft weiterentwickelt.“ Dabei sieht der BWGV-Präsident nicht zuletzt den Lebensmitteleinzelhandel in der Verantwortung, partnerschaftlich zu agieren und die Betriebe vor Ort bei den Preisverhandlungen und der Zusammenstellung des Sortiments nicht gegen internationale Konkurrenz auszuspielen. „Unsere Genossenschaftsweine müssen sich vor der internationalen Konkurrenz nicht verstecken – im Gegenteil. Die Verbraucherinnen und Verbraucher schätzen eine gute Auswahl regionaler Genossenschaftsweine. Dies muss sich im Regal widerspiegeln.“ Zumal die Winzergenossenschaften mit Produktinnovationen auch auf neue Kundenwünsche reagieren. So haben immer mehr Genossenschaften alkoholreduzierte und alkoholfreie Weine und Sekte im Angebot. Theileis: „Dies ist ein echter Zukunftsmarkt.“ Darüber hinaus hebt Theileis die Bedeutung der Genossenschaften für die regionale Wertschöpfung und den ländlichen Raum hervor.
Wettbewerbsnachteil darf sich nicht verschärfen
Mit Unverständnis reagiert der BWGV auf die jüngsten Aussagen des Bundesarbeitsministers, den Mindestlohn ab dem Jahr 2026 auf rund 15 Euro zu erhöhen. „Gerade im handarbeitsintensiven Bereich der Sonderkulturen ist der Mindestlohn ein entscheidender Faktor. Der BWGV und die Genossenschaften stehen für faire und gute Löhne für ausgebildete Fachkräfte und damit auch zum Mindestlohn. Doch die Betriebe müssen auch ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern und somit Saisonkräften aus dem EU-Ausland den erhöhten Stundensatz bezahlen“, macht Theileis deutlich. In Deutschland und Baden-Württemberg seien die Genossenschaften ohnehin mit im europäischen Vergleich hohen Steuern, teurer Energie und hohen Lohnkosten belastet. Theileis: „Dieser Wettbewerbsnachteil darf sich nicht weiter verschärfen. Sonst drohen gerade auch im Weinbau Betriebsaufgaben.“ Er verweist auf exportorientierte Nachbarländer wie Spanien mit einem Mindestlohn von 6,87 Euro, oder Italien, wo überhaupt kein Mindestlohn existiert. Theileis plädiert: „Die Politik muss für ungelernte Kräfte eine angepasste Regelung finden und die Betriebe entlasten.“
Echter Bürokratieabbau ist notwendig
Die Grenze der Belastbarkeit sieht der BWGV auch bei der Bürokratie und den Dokumentationspflichten erreicht: Mit Blick auf die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vergangene Woche vorgestellten Maßnahmen zum Bürokratieabbau sagt Theileis: „Dies ist richtig und wichtig. Aber zu einer echten Reduktion gehört, mehr Bürokratie abzubauen als neue aufzubauen. Das One-in-two-out-Prinzip muss konsequent umgesetzt werden. Laut Statistischem Bundesamt sind im Zeitraum zwischen 2014 und 2023 insgesamt 208 neue bundesrechtliche Vorgaben für die Agrarbranche eingeführt wurden – davon allein 125 neue Informationspflichten. Im selben Zeitraum wurden jedoch nur 22 Vorgaben abgebaut und 35 vereinfacht.“ Als Negativbeispiel für die Weinbranche in Baden-Württemberg nennt er die von Landratsamt zu Landratsamt unterschiedlichen Antragsstellungen und Gebührensätze, wenn es um die Genehmigung einer Erhöhung der Wochenarbeitsstunden während der Lese geht. „Wir übernehmen dies als Dienstleistung für unsere Mitglieder und sehen daher die enormen lokalen Unterschiede.“
Pflanzenschutz ist existenziell
Positiv bewertet Theileis die Entwicklung bei den bundespolitischen Plänen zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes durch das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“: „Es ist gut, dass die auf europäischer Ebene bereits durchgefallenen Pläne zu starren Reduktionszielen und pauschalen Verboten nicht national durchgesetzt werden sollen. Dies hätte verheerende Folgen gerade für Steillagen und unsere einzigartigen Kulturlandschaften gehabt.“ Die angestrebte engere Kooperation von Landwirtschaft und Naturschutz sowie der Fokus auf wissenschaftsbasierten und wirtschaftlich tragfähigen Konzepten unter Einsatz der digitalen und technischen Möglichkeiten sei der richtige Weg. „Dies muss nun aber auch so umgesetzt werden. Gerade das witterungsbedingt extrem herausfordernde Jahr 2024 hat deutlich vor Augen geführt, wie existenziell Pflanzenschutz ist“, unterstreicht Theileis.
Zwei Drittel des badischen Weins werden von den Winzergenossenschaften erzeugt. Sie bewirtschaften insgesamt 9.777 Hektar und beschäftigen rund 950 Mitarbeitende. „Neben der Weinproduktion stehen unsere Genossenschaften auch für die Pflege und den Erhalt unserer einzigartigen Kulturlandschaft, was wiederum auf Lebensqualität sowie den Tourismus im Land einzahlt“, stellt der BWGV-Präsident heraus und ergänzt: „Auch viele Tourismusevents werden von der Weinbranche getragen. Winzergenossenschaften sind wichtige Akteure im Tourismus.“
Alde Gott: 220 Winzerinnen und Winzer bewirtschaften 250 Hektar
Mitten in der Lese befindet sich die Gastgeber-Genossenschaft der diesjährigen BWGV-Pressekonferenz zum badischen Weinherbst 2024: Bei der Alde Gott Winzer Schwarzwald eG in Sasbachwalden hat in dieser Woche die Hauptlese gestartet. Geschäftsführer Günter Lehmann erwartet angesichts der schönen Traubenqualität einen guten Weinjahrgang 2024: „Die Witterung zur Reifephase seit Anfang August war optimal, sodass wir hervorragende Qualität in den Keller bekommen. Unsere rund 220 Winzerinnen und Winzer haben klasse Arbeit geleistet.“ Dabei habe die extrem regenreiche erste Jahreshälfte die Arbeit sehr herausfordernd gemacht – so sei etwa eine Befahrung mit dem Schlepper mancherorts nicht möglich gewesen. Beim Ertrag sieht Lehmann eine um fünf bis zehn Prozent geringere Lesemenge als in den Vorjahren. „Wir haben Einbußen aufgrund der Frostereignisse.“
Auf rund 250 Hektar Anbaufläche dominiert beim Alde Gott der Spätburgunder, der etwas mehr als die Hälfte des Ertrags ausmacht. Zweitwichtigste Rebsorte ist Riesling, gefolgt von Grauburgunder und Müller-Thurgau. Die Genossenschaftswinzerinnen und -winzer setzen aber auch bereits auf robuste PIWI-Sorten: Souvignier Gris und Muscaris werden angebaut. „Mittelfristig wollen wir auf etwa fünf Prozent unserer Flächen PIWI-Sorten anbauen“, erklärt Lehmann. Innovativ zeigt sich die Winzergenossenschaft auch im Bereich von alkoholfreien Produkten. Unter der Marke „Scheinheilig“ gibt es einen alkoholfreien Weiß- und Rotwein, und ab diesem Jahr wird das Sortiment um einen alkoholfreien Secco erweitert.