Nachhaltigkeit hat für die Menschen in Baden-Württemberg einen hohen Stellenwert, nur wenige verbinden das Thema aber mit ihrer Geldanlage. Woran das liegt hat der genossenschaftliche Fondsanbieter Union Investment, Frankfurt, gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut rheingold, Köln, unter die Lupe genommen. Die Geno-Graph-Redaktion hat mit dem Vorstandsvorsitzenden von Union Investment, Hans Joachim Reinke, über die Erkenntnisse aus der Studie gesprochen.
Herr Reinke, warum werden Geldanlage und Nachhaltigkeit bislang überwiegend als getrennte Welten wahrgenommen?
Vorab kurz die Zahlen dazu: Unsere Befragung hat herausgefunden, dass zwei Drittel der Baden-Württemberger Nachhaltigkeit wichtig ist, deutschlandweit sind es übrigens etwa gleich viele. Doch nur ein Zehntel der insgesamt Befragten berücksichtigt bereits heute Nachhaltigkeit als ein entscheidendes Auswahlkriterium bei der Geldanlage. Nun zu den Gründen: Wir glauben, dass dies auch an der sehr unterschiedlichen Motivation liegt, die jeweils dahintersteht.
Während die Befragten in Bezug auf Finanzanlagen meist selbstbezogene Motive wie die Sicherung des eigenen Vermögens nennen, stehen beim Thema Nachhaltigkeit die Auswirkungen des eigenen Handelns auf Umwelt und Gesellschaft im Vordergrund. Das spontane Verständnis von Nachhaltigkeit ist vor allem durch ökologische Aspekte geprägt, deutlich stärker als durch soziale Faktoren oder eine verantwortungsvolle Unternehmensführung. Bei Finanzanlagen dominieren nach wie vor klassische Sparziele wie der Wunsch nach Rendite und Sicherheit in Verbindung mit den Anlagemotiven Vermögensaufbau und Altersvorsorge.
Wie steht es um das Wissen der Menschen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen?
Wenig verbreitet ist bislang das Wissen, dass sich mit der eigenen Geldanlage ein Wandel der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit fördern lässt. Dabei will auch die Europäische Union (EU) die Finanzmärkte nutzen, um eine nachhaltigere Ausrichtung der Unternehmen voranzutreiben. Allerdings glauben nur 14 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg, mit ihren Investitionen Einfluss auf das Management und die Geschäftspraktiken von Unternehmen ausüben zu können.
Wen sehen die Befragten Ihrer Studie in der Pflicht, das Thema Nachhaltigkeit weiter zu forcieren?
Bei der Förderung der Nachhaltigkeit sehen die Befragten in Baden-Württemberg vor allem Industrieunternehmen und die Politik in der Pflicht, ebenso sich selbst als Verbraucherinnen und Verbraucher. Deutlich weniger relevant erscheinen ihnen hierbei Finanzdienstleister. Vielen ist anscheinend häufig nicht bekannt, dass die Geldanlage Bestandteil ihrer Nachhaltigkeitsbestrebungen sein kann. So sehen die Baden-Württemberger bei der Nachhaltigkeitsförderung im Branchenvergleich zwar dringenden Handlungsbedarf in den Bereichen Energie, Industrieproduktion sowie Verkehr und Transport, jedoch am wenigsten bei Finanzdienstleistungen mit nur 36 Prozent der Nennungen. Vielen Menschen ist offenbar nicht bewusst, dass auch die Finanzbranche zur nachhaltigen Transformation beitragen muss. Denn diese kann nur im Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelingen. Ökonomie braucht Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeit Finanzierung. Dabei kommt es darauf an, den regulatorischen Rahmen so zu gestalten, dass eine Breitenwirkung erzeugt werden kann.
Die Ergebnisse der Befragung scheinen somit auf den ersten Blick nicht auf ein großes Potenzial nachhaltiger Geldanlagen im deutschen Markt hinzudeuten.
Nur auf den ersten Blick, denn das Bild wandelt sich erheblich, nachdem die Befragten nähere Informationen zu nachhaltigen Finanzanlagen erhalten haben. Auf dieser Grundlage ist fast die Hälfte der Befragten in Baden-Württemberg der Ansicht, dass sich Finanzanlagen und Nachhaltigkeit gut verbinden lassen. 40 Prozent der informierten Befragten in Baden-Württemberg geben nun an, dass sie bei der Auswahl von Finanzanlagen auf Nachhaltigkeit achten wollen. Von ihnen sind sogar 47 Prozent zur Überzeugung gelangt, Nachhaltigkeit durch Kapitalanlagen fördern zu können. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als bundesweit, wo 41 Prozent der Befragten sich entsprechend äußerten.
Was verstehen die Befragten unter Nachhaltigkeit?
Auch bei dieser Frage sorgen Informationen für ein differenzierteres Nachhaltigkeitsverständnis bei den Menschen in Baden-Württemberg. Neben ökologischen Aspekten wie dem Klima- und Umweltschutz sehen die Befragten nun auch soziale und faire Produktionsbedingungen sowie eine verantwortliche Unternehmensführung als Bestandteile der Nachhaltigkeit. Dieser im Rahmen der Studie festgestellte Wandel der Einstellung zu nachhaltigen Geldanlagen durch mehr Informationen unterstreicht den hohen Beratungsbedarf der Anleger bei diesem Thema. Die Beratung ist für eine breite Akzeptanz und Verbreitung nachhaltiger Finanzanlagen entscheidend. Durch die jetzt ab August in der Anlageberatung verpflichtende Nachhaltigkeitspräferenzabfrage werden sich mehr Menschen mit nachhaltigen Geldanlagen auseinandersetzen und erkennen, dass Nachhaltigkeit weit mehr ist als Ökologie.
Was könnte noch dazu beitragen, dass Sparerinnen und Sparer die Themen Nachhaltigkeit und Finanzen zusammenbringen?
Die Vereinbarkeit von Finanzanlagen und Nachhaltigkeit sollte sich Sparerinnen und Sparern auch dadurch gut vermitteln lassen, dass nachhaltige Aspekte schon häufig Teil ihres Wohlstandsbegriffs sind. Auf die Frage, was aus Sicht der Baden-Württemberger alles zu Wohlstand beziehungsweise einem guten Lebensstandard gehöre, nannten die Befragten neben materiellen Aspekten wie der Freiheit von finanziellen Sorgen meist auch nachhaltige Aspekte wie den sozialen Frieden und soziale Gerechtigkeit sowie eine intakte Natur. Dagegen beinhaltet Wohlstand nur für 11 Prozent den Besitz von Luxusgütern wie teuren Autos, Uhren oder Schmuck. Ihren Wohlstand sehen wiederum gut sechs von zehn Menschen in Baden-Württemberg durch den Klimawandel gefährdet. Knapp die Hälfte der Baden-Württemberger ist überzeugt, dass das Streben nach Nachhaltigkeit den Wohlstand fördern kann. Gegenteiliger Ansicht sind 26 Prozent, die in der Nachhaltigkeit eine Gefahr für den Wohlstand sehen.
Infos zur Studie
Für die Studie wurden 3500 Privatpersonen ab 18 Jahren in Deutschland befragt, die Geldanlagen (Aktien, Fonds, ETF, Zertifikate) besitzen oder in den nächsten zwölf Monaten zu erwerben planen, mit einem Haushaltsnettoeinkommen ab 1.500 Euro. Die Befragung durch das rheingold Institut erfolgte vom 4. Quartal 2021 bis Ende des ersten Quartals 2022. Die Validität der Ergebnisse wurde anlässlich des Krieges in der Ukraine durch eine ergänzende Nachbefragung im März 2022 geprüft und bestätigt. Die Studie ist in dieser Gruppe bevölkerungsrepräsentativ.