Der ländliche Raum ist eine der entscheidenden Stärken Baden-Württembergs. Unser Bundesland profitiert bis heute von seiner dezentralen Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur. Viele kleine und mittelständische Unternehmen haben sich angesiedelt, darunter zahlreiche Familienbetriebe, die in ihrem Segment häufig auf dem Weltmarkt führend sind. Diese sogenannten Hidden Champions sorgen für Wertschöpfung und sind attraktive Arbeitgeber und sorgen mit für „Leben auf dem Land“. Und nicht zu vergessen: Lebensmittel werden auf dem Land erzeugt.
Demografischer Wandel und Abwanderungstendenzen
Der ländliche Raum steht aber vor Herausforderungen. Da sind zu nennen der demografischen Wandel und die Abwanderung junger Menschen in die Ballungsgebiete. Oder auch die unzureichende Versorgung von Wirtschaft und Bevölkerung mit leistungsfähigen Internet-Leitungskapazitäten. Stichwort Breitband-Versorgung. Ende November 2016 hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ein eigenständiges Bundesministerium für ländliche Räume gefordert. „Die drohende Spaltung zwischen urbanen und ländlichen Regionen wird das zentrale Thema der nächsten Jahre“, so Schmidt. Diese Aussage verdeutlicht: Nachhaltige Lösungen sind gefragt, damit die Menschen auch in Zukunft gut und gerne auf dem and leben. „Es fehlt an Rahmenbedingungen, die den ländlichen Raum wieder attraktiv gestalten. Für viele Menschen bieten diese Regionen keine Bleibeperspektive“, sagt Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds ZGV in Berlin anlässlich einer aktuellen ZGV-Konjunkturumfrage. Welche Lösungen müssen gefunden werden, um Breitband- und Energieversorgung, Ärzteversorgung, Pflegedienstleistungen, Nahversorgung oder Mobilitätsangebote sicherzustellen, auch und gerade in siedlungsschwächeren Regionen? Welche Antworten gibt es auf den Instandhaltungs- und Modernisierungsrückstau? Wie gelingt es Kommunen, auch in Zeiten von leeren Haushaltskassen kreative Lösungen zu entwickeln und gleichermaßen auch dem wachsenden Anspruch der Bürger nach mehr Partizipation gerecht zu werden?
Genossenschaften als Antwort auf Infrastrukturfragen
Eine der Antworten auf die Fragen lautet: Genossenschaften. Sie können hier wichtige Funktionen übernehmen – in vielfältiger Weise. Das beweisen sie Tag für Tag. Es seien genannt: Ärztegenossenschaften als Instrument gegen Ärztemangel, Internet-Breitbandausbau in genossenschaftlicher Regie, genossenschaftliche Potenziale in der Mobilität, Energieversorgung und -effizienz durch Bürgergenossenschaften, Nahversorgung mittels Dorfläden und -gaststätten. Mehr als jeder dritte Einwohner Baden-Württembergs ist Mitglied in mindestens einer der aktuell 830 baden-württembergischen Genossenschaften. In einer Zeit, in der zu Recht mehr Transparenz und Mitbestimmungsmöglichkeiten gefordert werden, ist dies ein ungemein hohes Gut – und ein Beispiel dafür, wie fortschrittlich der Genossenschaftsgedanke ist, der den Wesenskern der Transparenz und Demokratie von Beginn an in sich trägt. Zukunft und Herkunft gehen eine ideale Verbindung ein. Dass die UNESCO diese besondere Charakteristik auch so sieht und die Genossenschaftsidee jüngst mit dem Status des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit versehen hat, ist eine tolle Bestätigung. Die Leistungsfähigkeit der Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft drückt sich auch in den seit einigen Jahren anhaltenden Gründungen von Genossenschaften aus: Allein in Baden-Württemberg sind in den zurückliegenden zehn Jahren unter dem Dach des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands rund 250 neue Genossenschaften entstanden. Die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft (eG) wird dabei insbesondere von neuen Branchen und Zukunftsmärkten genutzt. Zahlreiche Neugründungen im Bereich regenerativer Energien, innerhalb des Pflege- und Gesundheitssektors, im Bildungsbereich oder zur Sicherstellung einer lebendigen Dorfstruktur sind gelebtes Zeichen dafür, wie sehr die Genossenschaft auf die Zukunft ausgerichtet ist.
Zusammenspiel von Bürgern, Kommune und Wirtschaft
Die Genossenschaften verfügen über Eigenschaften, die sie sehr flexibel und praxisorientiert auf Umbrüche und neue Herausforderungen reagieren lassen. Angesichts teils rascher Veränderungszyklen in Wirtschaft und Gesellschaft ist dies heute und in der Zukunft von entscheidender Bedeutung. Es gibt allerdings noch viele ungenutzte Potenziale, in denen das Mitwirkungspotenzial von Bürgern und lokalen Unternehmern für den Erhalt oder den Ausbau von Infrastrukturen nicht voll ausgeschöpft wird. Manchmal liegen genossenschaftliche Lösungen näher als gedacht, aber es fehlt der entscheidende Anstoß, die zündende Idee oder die treibende Person vor Ort. Letztlich ist das Zusammenspiel von Bürgern, Kommune und der Wirtschaft vor Ort ausschlaggebend, gemeinsame Probleme erfolgreich zu lösen. Genossenschaften bieten hier den Rahmen, gemeinsam mehr zu erreichen.
Schlaglichter auf genossenschaftliche Lösungen
Was baden-württembergische Genossenschaften im ländlichen Raum bewirken, ist schlaglichtartig in den nachfolgenden Beiträgen beschrieben. Traditionell stark sind die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Auch sie betrifft die Digitalisierung in ihrer Betriebsführung. Die Digitalisierung fordert den genossenschaftlichen Agrarhandel heraus und verändert die Rolle der genossenschaftlichen Unternehmen im ländlichen Raum. Innovation und Nachhaltigkeit sind zwei Merkmale des ländlichen Raums. Dies verdeutlicht der jährlich ausgeschriebene Landwirtschaftspreis für Unternehmerische Innovation, kurz LUI. Der ländliche Raum ist auch Träger der Energiewende, wie ein Praxisbeispiel aus dem Bereich Windenergie beschreibt. Ein neues Förderprogramm für den ländlichen Raum zur Finanzierung von Investitionen bietet interessante Möglichkeiten. Niedrige Agrarpreise und der Strukturwandel in der Landwirtschaft machen den Landwirten in Baden-Württemberg zu schaffen. Auf den VR-Agrartagen erhielten sie Tipps und Hintergrundinformationen zur Liquiditätsplanung und zur Vorbereitung auf Finanzierungsgespräche.