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Kooperatives Handeln versus Individualisierungstrend

Herausforderungen Genossenschaften
BWGV

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Gerade die junge Generation, die mit digitalen Medien und Möglichkeiten aufgewachsen ist, kann aufgrund der ständigen Verfügbarkeit von Alternativen zunehmend schlechter von den Vorzügen einer starken Gemeinschaft in der Genossenschaft überzeugt werden. Auch aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs untereinander ist zu beobachten, dass man sich gegenseitig nichts gönnt, sprich, die Individualisierungsbestrebungen stehen dem kooperativen Handeln zum Wohle aller Beteiligten massiv im Wege. Klassische und bei erfolgreichen Genossenschaften nach wie vor gültige Argumente, wie zum Beispiel die Planungssicherheit aufgrund auskömmlicher Konditionen bei Bezug oder Absatz, werden zugunsten kurzfristiger Optimierungen nicht mehr in dem Maße wertgeschätzt. Wenn Genossenschaften nun aber die jungen Mitglieder fehlen, die aufgrund des Strukturwandels meist auch für größere Einheiten stehen, dann wird die Geschäftsbasis zahlreicher Genossenschaften zunehmend kleiner und damit mittelfristig auch weniger auskömmlich.

Junges Wachstum gegen älteres Status-quo-Denken

Der Blick in die Gremien vieler Genossenschaften zeigt, dass die Altersstruktur einen großen Schwerpunkt bei älteren Mitgliedern hat. Für die Zukunftsfähigkeit der genossenschaftlichen Geschäftsmodelle, die langfristig angelegt sind, ist dies keine ideale Ausgangssituation. Geschäftsmodelle müssen von Zeit zu Zeit an die aktuellen Anforderungen der Mitgliedschaft angepasst werden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Anforderungen häufig: Während die Betriebe junger Mitglieder häufig im Wachstum sind, sind die Betriebe älterer Mitglieder, besonders die ohne Nachfolger, eher auf Halten des Status quo ausgerichtet. Dies hat natürlich Auswirkung auf die nötige Unterstützungsleistung durch die Genossenschaft und damit auch der Rolle, die der Genossenschaft zugesprochen wird. Junge Mitglieder in wachsenden Betrieben drängen daher oft stärker auf die Nutzung von Opportunitäten, auch wenn diese ein gewisses Risiko bedeuten und Investitionen verursachen. Ältere Mitglieder in auslaufenden Betrieben hingegen scheuen diesen Schritt oft und halten am Bestehenden fest. Damit sich genossenschaftliche Geschäftsmodelle weiterentwickeln, ist also Veränderung nötig. Allerdings setzt diese nur durch aktives Handeln ein, daher ist das Engagement der jungen Mitglieder in den Gremien der Genossenschaften so immens wichtig.

Auch beim Blick auf neue kooperative Ansätze, sei es in der Gemeinwohl-Ökonomie oder bei Start-ups, scheint das genossenschaftliche Modell bei jungen Gründern nicht erste Wahl zu sein. Die Share-Economy wird als neuer, den individuellen Besitz nicht in den Fokus stellenden Ansatz und in vielen Bereichen als hoch innovativ dargestellt. Viele der Ansätze sind allerdings entweder kleinteilig und für sich betrachtet kaum wirtschaftlich zu betreiben, beispielsweise in der Nachbarschaftshilfe oder bei der Erzeugung lokaler Lebensmittel. In solchen Ansätzen stehen das Gemeinschaftsgefühl und die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns häufig im Fokus.

Andere Ansätze, wie beispielsweise Plattformen für Tausch, Mobilität, Urlaub etc. haben nur auf den ersten Blick einen kooperativen Ansatz. Hinter den jeweiligen Geschäftsmodellen stehen häufig kommerzielle Plattformen, die ihre Rendite aus der Datenverwertung ziehen oder ihre Wirtschaftlichkeit erst noch beweisen müssen. Viele Investoren haben sich in der Hoffnung auf eine entsprechende Rendite in den zahlreichen, zum Teil disruptiven Geschäftsmodellen engagiert. Am Kern von kooperativen Ansätzen, wie sie bei Genossenschaften zu finden sind, gehen diese Geschäftsmodelle häufig vorbei, weil eben nicht der betroffene Nutzer Initiator ist, sondern eine Gemeinschaft aus Gründern und Investoren.

Idee des schnellen Gelds nicht genossenschaftskonform

Bei Start-ups ist mit Blick auf erfolgreich am Aktienmarkt platzierte, globale Gründungen aus der Digitalbranche des Silicon Valley der Fokus in der Wahrnehmung möglicherweise zu sehr auf die wirtschaftliche Verwertung der Geschäftsidee gerichtet. Die Idee des schnellen Gelds aus der Verwertung der Erfindung eines neuen digitalen Geschäftsmodells für Gründer und Investoren verträgt sich mit dem klassischen genossenschaftlichen Geschäftsmodell, Betroffene zu Beteiligten zu machen, erstmal nicht. Beispielhaft ist hier der disruptive Ansatz des Fahrdienstvermittlers Uber zu nennen, der sich direkt gegen die Geschäftsmodelle genossenschaftlicher Taxizentralen und deren Mitglieder richtet.

Möglicherweise stehen auch die gewachsenen genossenschaftlichen Strukturen und Begrifflichkeiten einem größeren Erfolg der Rechts- und Unternehmensform im Weg. Gründung und administrativer Aufwand der Genossenschaft im laufenden Betrieb werden vermehrt als unnötig komplex betrachtet. Pflichtmitgliedschaft und Prüfungspflicht werden als verzichtbare Belastung erachtet, die in anderen Rechtsformen nicht erforderlich sind. Hier hat die genossenschaftliche Organisation akuten Handlungsbedarf, da Alternativen verfügbar sind und das genossenschaftliche Modell daher Gefahr läuft, überholt zu werden und sich so selbst abzuschaffen droht.

Nachwuchspflege wurde vernachlässigt

Allein den Zeitgeist für den zunehmenden Schwund an genossenschaftlichem Bewusstsein in die Verantwortung zu nehmen, wäre zu kurz gegriffen. Selbstkritisch muss festgestellt werden, dass sich die genossenschaftliche Organisation in der Vergangenheit nur parziell um die Pflege des Nachwuchses gekümmert hat. Zu selbstverständlich wurde die „gute Idee“ Raiffeisens und Schulze-Delitzschs als in der Gesellschaft verwurzelt angenommen. Tatsächlich ist es für Jugendliche aber gar nicht so einfach, sich in Schule und Ausbildung einen objektiven Eindruck über genossenschaftliches Wirtschaften zu verschaffen.

In Lehr- und Studienplänen sind genossenschaftliche Theorien und Themen oftmals kein Gegenstand mehr. So gelingt es Schülern und Studierenden auch auf betriebswirtschaftlich oder landwirtschaftlich orientierten Bildungswegen viel zu häufig, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erhalten, ohne mit dem Genossenschaftswesen in Berührung gekommen zu sein. Dies ist bedauerlich, aber das alleinige Beklagen dieses Umstandes wird der Idee Raiffeisens nicht gerecht. Genossenschaften und ihre Verbände sind gut beraten, wenn sie sich das genossenschaftliche Prinzip der Selbsthilfe zu Eigen machen und die notwendigen Mittel für Maßnahmen aufbringen, die die Attraktivität des Genossenschaftswesens aufrechterhalten und genossenschaftliches Bewusstsein fördern.

Genossenschaftliches Wirtschaften in Schülergenossenschaften

Ein gelungenes Beispiel dafür, wie genossenschaftliches Denken und Handeln in den Schulalltag transferiert und integriert werden kann, sind Schülergenossenschaften. In solchen schließen sich Schüler zusammen, um gemeinsam eine Geschäftsidee zu verwirklichen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt: Die mittlerweile 22 Schülergenossenschaften im Land kümmern sich u.a. um die Pausenverpflegung für ihre Mitschüler, bieten IT-Services an oder bauen sich ihr eigenes Modelabel auf. In ihrem Tun erhalten die jungen Genossenschaftsgründer Unterstützung sowohl von ihren Lehrern als auch von einer Partnergenossenschaft vor Ort.

Landwirtschaftsschüler das Genossenschaftliche näher bringen

Um die Führungskräfte in landwirtschaftlichen Betrieben von morgen für die genossenschaftliche Idee zu begeistern und diese langfristig an ihre Unternehmen zu binden, hält der BWGV seit 2012 Schulungen zum Genossenschaftswesen in Fachschulklassen für Landbau und Weinbau ab. Das Ziel, jeden Fachschüler einer weinbaulichen oder landwirtschaftlichen Fachschule in Baden-Württemberg im Rahmen seiner Ausbildung mit diesem Angebot zu erreichen, wurde erstmals im Raiffeisenjahr 2018 erreicht.

Genossenschaftlicher Austausch digital gestaltet

Im Zeitalter der Digitalisierung haben Facebook und Co, insbesondere bei jüngeren Generationen, eine nicht zu unterschätzende Relevanz im Aufbau und in der Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen. Wer oder was nicht in den sozialen Netzwerken präsent ist, findet in der Wahrnehmung von Jugendlichen kaum statt. Der BWGV zeigt mit seinem Projekt „Generation Geno“ in den sozialen Netzwerken Flagge für die ländlichen Warenund Dienstleistungsgenossenschaften. Basis des Projekts ist ein Weblog, die Internetseite www.generation-geno.de, und eine Facebook-Seite. Genossenschaftliche Themen, Veranstaltungen und Fortbildungsangebote finden hier eine Plattform mit klar umrissener Zielgruppe: die junge Generation der Landwirte und Winzer.

Fazit und Ausblick

Die Erfahrungen in Sachen Jugendarbeit und Jungmitgliederförderung zeigen, dass es durchaus noch junge, genossenschaftsbegeisterte Menschen gibt, die mit frischen Ideen und Tatendrang an einer ernsthaften Weiterentwicklung von Genossenschaften interessiert sind. Diese gilt es zu fördern, aber auch zu fordern, um das Genossenschaftswesen zukunftsfähig aufzustellen. Denn Genossenschaften leben von den Menschen, die hinter ihnen stehen. Die Verbände können nur Impulse dafür geben, wie dies auch bei den Genossenschaften vor Ort gelingen kann. Erfreulicherweise erkennen immer mehr Genossenschaften die Problematik und zeigen sich hierin aktiv. Eine zentrale Herausforderung, die sich sowohl Verbänden als auch Genossenschaften stellt, ist, wie die Anliegen der „Generation Geno“ in den Geschäftsbetrieb und den genossenschaftlichen Alltag integriert werden können.

Denn es besteht durchaus die Gefahr, junge Menschen zu frustrieren, wenn ihre Worte zwar gehört werden, Taten aber ausbleiben. Ein Weg, dem entgegenzuwirken, ist sicherlich, den Austausch mit den Jungmitgliedern zu institutionalisieren und diese frühzeitig in Verantwortung zu bringen. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang der Aufbau von Jungmitgliedergruppen. Diese können in Genossenschaften wie klassische Beiräte agieren, besonders lebhaft sind sie aber, wenn ihnen eine Aufgabe mit direktem Kontakt zum Markt übertragen wird. Bei Winzer- und Weingärtnergenossenschaften, wo sich Jungmitgliedergruppen besonders durchgesetzt haben, kann dies zum Beispiel über einen gemeinschaftlichen Weinausbau gelingen. Aber auch die genossenschaftliche Verbändelandschaft sollte sich Gedanken machen, wie der Kontakt zu Jungmitgliedern weiter intensiviert werden kann. Die Etablierung von Jugendbeiräten könnte beispielsweise auch hier frischen Wind in die Verbandsarbeit bringen und ein weiteres Signal dahingehend setzen, wie wichtig dieses Thema für die Zukunft des Genossenschaftswesens ist.

Herausforderungen Genossenschaften
Die jüngste Schülergenossenschaft in Baden-Württemberg: Die MeitnerWear eSG in Remseck am Neckar (Kreis Ludwigsburg) wurde Ende Januar 2019 von Schülern des Lise-Meitner-Gymnasiums gegründet. Im Bild Vorstand und Aufsichtsrat der eSG. Partnergenossenschaft ist die Volksbank Remseck eG.

 

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