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Industrie 4.0 ändert Jobinhalte und Ausbildung

Ausbildungssituation Meister und Auszubildender
Karl-Heinz Laube/PIXELIO www.pixelio.de

Alles wird anders als zuvor. Die meistgenutzte Vokabel in diesem Zusammenhang: Disruption, was so viel heißt wie vollständige Verdrängung. Die Digitalisierung ist zweifellos ein Treiber dieses Phänomens und stellt Unternehmen, Führungskräfte, Mitarbeiter und das Schulwesen vor Herausforderungen.

Die Einführung neuer Technologien – meist mit dem Begriff Digitalisierung tituliert – im Rahmen von Industrie 4.0 wird eine schrittweise Anpassung von Qualifikationsanforderungen und Ausbildungsinhalten zur Folge haben. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) bei knapp 2.800 Ausbildungsbetrieben hervor.

Hälfte der Befragten: Folgen jetzt noch nicht klar

„Die Welt der Berufe bleibt im Kern stabil“, sagt Georg Fichtner, Präsident der IHK Region Stuttgart und Federführer Ausbildung im BWIHK. Über die Hälfte der befragten Unternehmen (51,5 Prozent) glaubt, dass sich die Folgen für die Ausbildung und Qualifikation erst noch zeigen würden. Fast ein Drittel (32,9 Prozent) rechnet fest mit neuen Anforderungen an die Beschäftigten. Bei größeren Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern erwartet dies über die Hälfte (52,6 Prozent). Etwa jedes fünfte Unternehmen (20,4 Prozent) sieht sogar einen Bedarf, bestehende Ausbildungsberufe zu ändern. „Wir müssen eigentlich von Wirtschaft 4.0 sprechen, denn viele Betriebe halten auch in Verwaltung und IT-Services eine Änderung bei den Qualifikationsanforderungen für nötig“, so Fichtner.

Die befragten Betriebe sehen Änderungsbedarf mehr bei kaufmännischen als bei technischen Berufen. Betroffen seien vor allem Berufe wie Industriekaufmann/-frau, Fachinformatiker/-in, Kaufmann/-frau für Büromanagement, Kaufmann/-frau im Einzelhandel und Industriemechaniker/-in.

Die Vierte Industrielle Revolution

Die Vierte Industrielle Revolution ist der Überbegriff für die gesamte digitale Transformation aus wirtschaftlicher Perspektive. Im engeren Sinne handelt es sich um die nahtlose Vernetzung von Menschen, Produkten und Maschinen im Rahmen industrieller Prozesse – vom Entwurf bis zur Produktion in der Smart Factory. Ein Beispiel: Die Nürnberger Datev eG hat neulich eine digitale Schnittstelle in den Echtbetrieb genommen.

Damit steht eine systemübergreifende Anbindung an die Steuerberater allen Nutzern bestimmter Cloud-basierter Anwendungen zur Verfügung. Sie können darüber ihre Belegdaten nun einfach und bequem in die Datev-Systeme ihrer Steuerberater übermitteln. Eine elegante Art der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen mit ihren Steuerberatern. Die ersten drei Industriellen Revolutionen: Die Mechanisierung ganzer Fertigungsabschnitte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (mechanischer Webstuhl; Dampfmaschine) wird als Beginn der Ersten Industriellen Revolution angesehen.

Der französische Soziologe Georges Friedmann sprach 1936 erstmals von einer Zweiten Industriellen Revolution. Er datierte sie auf die Jahrzehnte um 1900 und identifizierte als deren Charakteristika die intensivierte Mechanisierung, den weitverbreiteten Gebrauch von Elektrizität und die Massenproduktion von Gütern. Die mikroelektronische Revolution seit Mitte der 1970er-Jahre wird als technologischer Kern einer neuen, Dritten Industriellen Revolution angesehen. Kundige Beobachter meinen, dass Industrie 4.0 eine neue, vernetzte und intelligente Ära in der Fertigung einläutet.

Unternehmensberatungen gehen davon aus, dass bereits in fünf Jahren 80 Prozent der Industrieunternehmen ihre Wertschöpfungskette digitalisiert haben werden. Für das Technologieland Baden-Württemberg ist diese erwartete Entwicklung von herausragender Bedeutung. Industrie 4.0 biete die unausweichliche, grundlegende Infrastruktur für eine digitalisierte Wirtschaft, heißt es.

Fachübergreifende Kompetenzen immer wichtiger

Hohe Investitionen, neue digitalisierte Unternehmensprozesse in Produktion, Vertrieb und Service sowie veränderte Qualifikationsanforderung und Ausbildungsinhalte sind laut Fichtner eine große Herausforderungen für viele Unternehmen. Der IHK-Präsident weist darauf hin, dass fachübergreifende Kompetenzen nach Ansicht der befragten Betriebe immer wichtiger werden. Dies gelte sowohl für die Ausbildung als auch für die Weiterbildung. Gefragt seien IT-Kompetenzen, logisches und analytisches Denken sowie strukturiertes Arbeiten, Prozess- und Selbstmanagement.

Digitalisierung wälzt Schulalltag um

Digitalisierung beginnt in der Schule. Sie eröffnet im Bildungsbereich enorme Möglichkeiten. So könnten künftig Klassenarbeiten, Tests, Schulbücher und auch Schulnoten der Vergangenheit angehören, wenn die Chancen der Informationstechnologien sinnvoll genutzt werden. Dazu gilt es junge Leute dort abzuholen, wo sie ohnehin sind: in der digitalen Welt. Selbstlernende Computerprogramme, die treffsichere Erfolgsprognosen für Schüler und Studenten hervorbringen, werden ebenso wie sprechende Vokabelbücher, Schulaufgaben, die von den Schülern lernen, Strategiespiele, die Geschichte erlebbar machen, oder interaktive Mathematikbücher, die komplizierte Inhalte spielend vermitteln können, zu alltäglichen Arbeitsmitteln in Schulen und Hochschulen, ebenso wie in Fortund Weiterbildungseinrichtungen. Die Programme sind dabei so angelegt, dass sie aus einer Vielfalt individueller Interaktionen Gesetzmäßigkeiten erkennen, welche Stärken und Schwächen der Lernende hat. Jede Facette einer individuellen Persönlichkeit wird aufgenommen, ihre Potenziale in neuen Verbindungen miteinander kombiniert und ihre zukünftige Entwicklung bestmöglich gefördert. Der Einheitslehrplan für alle hat somit ausgedient.

Szenarien für die Zukunft der Arbeit

Ein interessantes Szenario für die Zukunft der Arbeit vor dem Hintergrund der Umwälzungen, die die Digitalisierung hervorruft, entwirft Franz Kühmayer. Der studierte Physiker und Informatiker ist Inhaber einer Beratungsgesellschaft in Wien und Trendforscher. Seine Trend-Theorien entwickelt er aus Führungskräfte-Sicht und sind zu facettenreich, um sie an dieser Stelle umfassend darstellen zu können.

Zusammenfassend lassen sich drei Trends herauslesen:

1. Mehr Mut wagen.

Mut sei die wichtigste Voraussetzung für eine offene Unternehmenskultur. Dazu gehören laut Kühmayer Rahmenbedingungen und Anreize wie echte Vorbilder, mehr Fehlertoleranz und vor allem ein umfassendes Verständnis von Innovation und Innovationssystemen. „Es ist hoch an der Zeit für Führungskräfte, ein Klima zu schaffen, in dem die Zukunft wieder spannend und nicht bedrohlich wirkt“, sagt der Trendforscher.

2. Ermöglichen statt steuern.

Unternehmen würden künftig nicht mehr geführt, indem hoch an der Spitze ein Kapitän und seine Brücken-Crew den Blick in die Zukunft richten und das Ruder fest in der Hand haben. Stattdessen können – ja müssen – Führungskräfte organisatorisch und inhaltlich Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Mitarbeiter selbst organisieren können, so Kühmayer. „Leadership bedeutet ermöglichen.“

3. Re-Organisation von Arbeit.

Kühmayer nennt es Antiwork. Dieser Begriff beschreibt eine moralische Alternative zu unserer gegenwärtigen „Job-Obsession“ und stellt das Prinzip der Arbeit von Grund auf in Frage. Antiwork ist für den Unternehmensberater Kühmayer das moralische Konzept auf Basis von sozialem Engagement und Volunteering. Antiwork enstehe dort, wo Tätigkeit und Muße, Engagement und Talent ineinander übergehen, wo Arbeit Kontemplation werde und sich von den Gesetzen des Geldes verabschiede. Das Prinzip der selbstbestimmten Arbeit lasse Menschen Verantwortung übernehmen, aber auch darüber nachdenken, wer sie sein wollen. So wird Arbeit laut Kühmayer wieder zu einer ganzheitlichen Tätigkeit.

Unternehmen richten sich neu aus

Deutlich über ein Drittel der Unternehmen richtet die Aus- und Weiterbildung bereits konkret auf neue digitale Herausforderungen aus, ergibt die Studie des BWIHK für das Technologieland Baden-Württemberg. Dabei verlassen sich große Unternehmen ab 500 Mitarbeitern weniger als kleinere darauf, dass die Mitarbeiter bereits bei der Einstellung die erforderlichen Kenntnisse mitbringen. Etwa jedes vierte Unternehmen (24,4 Prozent) will künftig auch ihre Lehr- und Lernmethoden anpassen. Bei den großen Betrieben ist es über die Hälfte. Als Beispiele werden Online- Seminare, interne Schulungen oder Unterstützung beim selbstorganisierten Lernen genannt.

 

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