Baden-Württemberg ist Genossenschaftsland – mehr als jeder dritte Einwohner ist Mitglied einer Genossenschaft. Auch in Reutlingen gibt es Genossenschaften: von der bereits 1861 gegründeten Volksbank Reutlingen bis hin zu einigen interessanten Neugründungen in jüngerer Zeit. Keine Frage, diese Unternehmensform ist auch im Jahr des 200. Geburtstags von Friedrich Wilhelm Raiffeisen aktuell. Es bot sich an, Raiffeisen mit einem ganz besonderen Abend zu würdigen, der nicht nur zurückblickte, sondern auch der aktuellen Bedeutung der Genossenschaft Rechnung trug. Zahlreiche Zuhörer hatten den Weg zum „14. Reutlinger Gespräch Wirtschaft – Kirche“ im Foyer der Volksbank gefunden, das die Bank zusammen mit dem Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in Deutschland e.V. sowie der Prälatur Reutlingen veranstaltete.
Vertreter lokaler Genossenschaften diskutierten im Rahmen eines Podiumsgesprächs die Besonderheiten und Qualitäten dieser Wirtschaftsform, während der Vorstandsvorsitzende der Volksbank Reutlingen, Josef Schuler, die historische Person Raiffeisens beleuchtete. Monika van Beek, Vorstandsmitglied des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, widmete sich dem Menschen Raiffeisen und seiner starken Idee in Vergangenheit und Gegenwart. Schuler fand in seinem Rückblick sogar eine frühe regionale Vorform der Genossenschaften vor Ort: den Betzinger Vorschussverein. „Raiffeisens Werk ist nicht nur geblieben, sondern lebendiger denn je“, bilanzierte Schuler. Van Beek führte Beispiele auf, in denen der Grundgedanke der Hilfe zur Selbsthilfe heute zum Tragen kommt – oder kommen könnte. Als Beispiele nannte sie die Nachfolgeregelungen in Handwerksbetrieben oder die Lösung des Ärztemangels auf dem Land durch genossenschaftliche Modelle.
Drei Genossenschafts-Beispiele aus der jüngeren Zeit waren mit der Bioenergie Bittelbronn, dem Reichenecker Dorfladen sowie dem Genossenschaftskino Kamino auf dem Podium vertreten. Das Kamino schreibt seit der Gründung vor fünf Jahren an seiner Erfolgsgeschichte und zählt heute mehr als 800 Mitglieder. Im „rebellischen“ Dorf Bittelbronn hat eine Straßensanierung den Anlass gegeben, eine Biogasanlage als Nahwärmenetz zu installieren. Mit 300 Mitgliedern ist die Hälfte aller Einwohner dabei. Nach dem Verlust sämtlicher Infrastrukturen war vielen Reicheneckern klar, dass der kleine Ort stirbt, wenn sie sich nicht engagieren. Im Dorfladen bringen sich heute 40 ehrenamtliche Helfer ein.