Andreas Ens ist Vorstand der Kooperative Neuland in Paraguay, ist aber auch regelmäßig in Deutschland. Bereits im Jahr 2012 besuchte er den BWGV und einige der Mitgliedsgenossenschaften. Zum Internationalen Jahr der Genossenschaften gibt er im Interview aktuelle spannende Einblicke in nachhaltige Landwirtschaft und genossenschaftliches Leben in Südamerika.
Herr Ens, was macht die Genossenschaft Neuland aus und was hat sie geprägt?
Die Siedlung Neuland wurde von deutschstämmigen Siedlern nach dem Zweiten Weltkrieg im westlichen Paraguay, dem Chaco, mit tropischem Klima, Savannen und Krüppelwald, angelegt. Die assoziative Wirtschaft wurde 1951 durch die Gründung einer Genossenschaft formalisiert und hat sich seitdem ununterbrochen weiterentwickelt.
Wer waren die ersten Siedler und welche Herausforderungen mussten sie bewältigen?
Die Siedlung bestand zunächst zum großen Teil aus Frauen und ihren Kindern, die aus der heutigen Ukraine während des Rückzugs der Wehrmacht die Sowjetunion verließen und Deutschland kurz vor Kriegsende erreicht hatten. Die Solidarität und die gegenseitige Unterstützung unter den Siedlern war keine Option, sondern existenzielle Überlebensstrategie für alle Mitglieder. Man half sich untereinander beim Hausbau, dem Zähmen der unbändigen Ochsen als Zugtiere, dem Brunnengraben und bei allen Tätigkeiten, die das Überleben sicherten.
Warum blieben nicht alle Siedler in Neuland?
Die gelungene Flucht aus der Sowjetunion und der überstandene Krieg, die Ruhe in Paraguay und die friedlichen indigenen Mitbewohner stimmten die Siedler dankbar. Allerdings waren die Lebensumstände schwierig und viele Siedler zogen während des Wirtschaftswunders nach Deutschland oder nach Kanada. Von anfänglich rund 2.250 Siedlern schrumpfte die deutschstämmige Bevölkerung in den siebziger Jahren unter 1.000. Heute leben im Gebiet der Kolonie Neuland 5.300 Indigene, circa 2.000 Lateinparaguayer und knapp 2.000 Siedler europäischen Ursprungs. Die gemeinsame schwierige Geschichte, die kulturelle Homogenität, die Stellung als Minderheit und die historisch gewachsene Fähigkeit zur autonomen Verwaltung erkenne ich heute als besondere Stärken der Genossenschaft beziehungsweise ihrer Mitglieder.
Welche wirtschaftlichen Schwerpunkte hat die Genossenschaft heute?
In Paraguay sind die ländlichen Genossenschaften heute in der Regel in mehreren Bereichen als Mehrzweckgenossenschaften tätig. Die Genossenschaft Neuland hat eine Spar- und Kreditabteilung, die ausschließlich mit Mitgliedern arbeitet, und zugleich mehrere Sparten für den Bezug und Absatz der Primärprodukte der Mitglieder und anderer Kunden und Lieferanten. In unserem Fall ist das hauptsächlich Rindfleisch, aber auch Erzeugnisse aus dem Ackerbau wie Soja, Chia und Sesam. Besonders in der Rindfleischproduktion wurde in den letzten zwanzig Jahren viel investiert.
Was genau wurde hier umgesetzt?
Vor allem wurde ein moderner Schlachthof aufgebaut, der im Tagesdurchschnitt fast 700 Rinder schlachtet und verarbeitet. Damit haben wir einen landesweiten Marktanteil von acht bis neun Prozent. Ebenfalls wurde viel in Rindergenetik und schonende Weidewirtschaft investiert.
Gibt es Kooperationen mit anderen Genossenschaften?
Ja, für Forschungsprojekte haben wir mit unseren Kollegen der benachbarten Genossenschaften Chortitzer und Fernheim eine Stiftung, die Ideagro, gegründet. Allianzen unter den Agrargenossenschaften reichen von gemeinsamen Finanzgeschäften über Brennstoff- und Betriebsmittelimporte bis hin zu Kooperationen bei Forschungsprojekten und der Lobbyarbeit.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der einheimischen Bevölkerung?
Die Stellung als deutschstämmige Minderheit erfordert von uns eine besondere Sensibilität gegenüber der unmittelbaren Nachbarschaft und der gesamten paraguayischen Gesellschaft. Von uns wird erwartet, dass wir Bedürfnisse von öffentlichem Interesse decken oder zumindest in die Hand nehmen, wie Strom- und Wasserversorgung sowie Bildung, aber besonders auch die Unterstützung für die indigene und die Landbevölkerung.
Dabei ist die Versorgung unserer eigenen Mitglieder, die einen Großteil ihrer wirtschaftlichen Existenz und ihrer sozialen Sicherheit der Genossenschaft und dem parallel geführten Verein der Kolonie Neuland anvertrauen, schon eine bedeutende Herausforderung.
Welche Herausforderungen und Zukunftsthemen sehen Sie für die Genossenschaft?
Die aktuellen und zukünftigen Aufgaben könnennur erfüllt werden, wenn wir gegenüber neuen Produktionsmethoden aufgeschlossen sind und diese von den Mitgliedern in ihre Wirtschaft transferiert werden. Gleichzeitig müssen wir ein ausgeglichenes soziales Umfeld schaffen.
Um diese übergeordneten Ziele zu erreichen, wird es verantwortungsbewusste und fachlich hervorragend vorbereitete Personen benötigen. Dafür ist uns die Kooperation mit dem DGRV und anderen deutschen Bildungsinstitutionen besonders hilfreich gewesen – nicht zuletzt mir selbst, durch eine dreimonatige Hospitation beim BWGV, für die ich sehr dankbar bin.