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Ein Energie-Experte zieht Bilanz und blickt nach vorn – Hubert Rinklin im Interview

Hubert Rinklin, Albwerk Geislingen, vor PV-Modulen
Albwerk Geislingen

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Herr Rinklin, was fällt Ihnen spontan zu dem Begriffspaar „Energie + Zukunft“ ein?

Ohne Energie wird es für die Menschen keine gute Zukunft geben. Die Energieversorgung muss sich aber in der Zukunft noch mehr an der Vermeidung von CO2-Emissionen, an der Energieeffizienz und an der Nachhaltigkeit orientieren. Die künftige Energieversorgung wird somit dezentraler und regenerativer werden.

Sie sind zum 30. Juni 2023 aus allen Gremien im BWGV ausgeschieden. In absehbarer Zeit verlassen Sie den Vorstand der Alb-Elektrizitätswerke. Welchen Rat können Sie jungen Vorständen von (Energie-) Genossenschaften geben, den Sie auch schon zu Beginn Ihrer Vorstandstätigkeit gerne gehabt hätten?

Jungen Vorständen von Genossenschaften rate ich, sich zu Beginn ihrer Tätigkeit ein Koordinaten- und Wertesystem zu schaffen, dass ihnen auch bei krisenhaften Entwicklungen oder bei sehr dynamischen Veränderungen als Kompass dient. Wichtig ist es auch, in herausfordernden Phasen an seinen Grundüberzeugungen festzuhalten. 

Geschichte wiederholt sich: In den Anfängen des Albwerks gab es auch die Frage Gas oder Elektrifizierung. Vor dieser Fragestellung stehen mittlerweile auch etliche Stadtwerke und Energieversorger. Sehen Sie die Gefahr, dass diese Fragestellung zu Strukturveränderungen in der Energielandschaft führt? 

Hubert Rinklin ist Vorstandsvorsitzender  der Alb-Elektrizitätswerk Geislingen-Steige  eG.
Hubert Rinklin ist Vorstandsvorsitzender der Alb-Elektrizitätswerk Geislingen-Steige eG.

Das stimmt. Anlässlich der Gründung des Albwerks stellte sich in Geislingen-Steige die Frage „Elektrifizierung oder Nutzung von Stadtgas“. Die Stadt Geislingen hatte sich für Stadtgas entschieden, während die Umlandgemeinden die Elektrifizierung vorantrieben. Das Umland hatte Recht, die Elektrifizierung hat sich durchgesetzt. Die Frage Gas oder Elektrifizierung stellt sich heute allerdings nicht mehr, da der Ausstieg aus der Erdgasversorgung bereits beschlossene Sache ist und vorangetrieben wird. Die Elektrifizierung von industriellen Prozessen, aber auch von Wohnungsheizungen (Stichwort Wärmepumpe) wird vorangetrieben. Natürlich führt dieser Veränderungsprozess auch zu Strukturveränderungen in der Energiewirtschaft. Wie werthaltig Gasnetze in der Zukunft noch sein werden, ist aktuell nicht abzuschätzen. Sollten diese für eine zukünftige Wasserstoffdurchleitung benötigt werden, gibt es eine Perspektive. Sollte Wasserstoff nicht rechtzeitig oder in genügendem Umfang zur Verfügung stehen, wird es für die weitere Nutzung der Erdgasinfrastruktur schwierig.

Sie sind ein Verfechter der genossenschaftlichen Idee und wünschen sich größeres Verständnis der Bevölkerung für den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Netzausbau. Welches Potenzial sehen Sie in der genossenschaftlichen Idee, was andere vielleicht (noch) nicht sehen?

Das Potenzial ist in den genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung zu finden. Aus meinen eigenen Erfahrungen heraus helfen regional tätige Genossenschaften – unabhängig davon, ob sie etabliert sind oder neu gegründet werden – dabei, die Energiewende zu gestalten. Durch die Partizipation der Bevölkerung können Vorbehalte und Widerstände reduziert werden. Im Bereich der Energiegenossenschaften wird sicher viel Potenzial darin liegen, in der Zukunft das Energy-Sharing voranzutreiben und die bisher in der Erzeugung tätigen Energiegenossenschaften auch als Energielieferanten zu etablieren. Weitere große Potenziale liegen in den kommunalen Wärmeplanungen, bei deren Umsetzung auch Genossenschaften eine wichtige Rolle spielen könnten. Zukunftspotenzial gibt es natürlich auch bei allen Fragen rund um die Quartiersentwicklung und im Gesundheitswesen.

In den Gremien des BWGV haben Sie sich engagiert eingebracht und auch ein breites Netzwerk zu anderen genossenschaftlichen Branchen aufgebaut. Wo sehen Sie noch Potenziale in der Zusammenarbeit innerhalb der genossenschaftlichen Familie, auch unter dem Stichwort genossenschaftliches Ökosystem?

Die genossenschaftliche Familie ist sehr heterogen. Genossenschaften gibt es mittlerweile in so vielen Branchen, dass bei bestimmten Projekten eine engere Zusammenarbeit möglich sein könnte. Ich will dies am Beispiel der Quartiersentwicklung deutlich machen. Hier können Genossenschaften aus dem Energiesektor mit den Volks- und Raiffeisenbanken ebenso zusammenwirken wie mit Genossenschaften aus dem Bereich des Handels, des Gesundheitswesens oder Seniorengenossenschaften. Generell bin ich der Meinung, dass die Zusammenarbeit von Genossenschaften noch ausbaufähig ist.

Baden-Württemberg soll bis 2040 klimaneutral sein. In der Task Force zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien der baden-württembergischen Landesregierung wurden Maßnahmen erarbeitet, die für eine Halbierung der Genehmigungszeit sorgen soll. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, wo würden Sie direkt den Rechtsrahmen ändern?

Ob die Halbierung der Genehmigungszeiten in der Praxis tatsächlich erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Es gibt erfolgversprechende Ansätze, die aber noch weiterentwickelt werden müssen. Insbesondere muss der politische Wille dann auch in der Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen bei den Regierungspräsidien und Landratsämtern ankommen. Den Rechtsrahmen ergänzen oder ändern würde ich im Bereich der Genehmigung von Windkraftanlagen durch eine Reduktion der zahlreichen Nebenbestimmungen, die zu Einschränkungen beim Betrieb der Anlagen führen. Im Bereich der Nutzung von landwirtschaftlichen Grundstücken sind Anpassungen im Steuerrecht erforderlich, zum Beispiel bei der Erbschaftssteuer, wo die Definition des landwirtschaftlichen Betriebsvermögens dazu führt, dass Grundstücke nicht für Windkraft- oder PV-Freiflächenanlagen zur Verfügung gestellt werden können. Im Bereich des Ausbaus der Übertragungs- und Verteilnetze bedarf es teilweise der Anpassung im Baurecht, um den Bau von Freileitungen und Kabelstrecken zu beschleunigen. Insbesondere müssen aber die Finanzierungsbedingungen für die gewaltigen Investitionen, die für den Netzausbau im Hoch- und Mittelspannungsbereich erforderlich sind, so attraktiv gemacht werden, dass die erforderlichen finanziellen Mittel auch zur Verfügung gestellt werden. Hierzu ist eine dauerhafte Erhöhung der regulatorischen Eigenkapitalverzinsung für den Netzneubau erforderlich. Außerdem sollten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Nachbarschaftsbelieferung oder vereinfachte Mieterstrommodelle schnell geschaffen und so ausgestaltet werden, dass Belieferungen von Genossenschaftsmitgliedern und Lieferungen im regionalen Umfeld ohne hohe bürokratische Hürden umgesetzt werden können.

Bidirektionales Laden, Grüner Wasserstoff, thermische Nutzung von Oberflächengewässern: Wie sieht ihre Energievision für die Zukunft aus?

Die Energievision für die Zukunft wird unter weitgehender Vermeidung der Nutzung fossiler Rohstoffe sein. Ob es gelingt, grünen Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu erzeugen, zu transportieren und dann in industriellen Anwendungen und für Heizungskunden nutzbar zu machen, ist offen und eine gewaltige Herausforderung. Wir stehen ganz am Anfang dieser Entwicklung und werden sicher auf Produktionskapazitäten im Ausland angewiesen sein. In Bezug auf die Mobilität wird die Elektrifizierung des Verkehrs in allen Facetten in den nächsten Jahren massiv zunehmen. Die Ladeinfrastruktur wird zügig ausgebaut und die Nutzung der Batterien von Elektroautos als Speicher wird vorangetrieben. Wichtig für alles sind aber intelligente Steuerungen und intelligente Netze. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Auch der Einbau von intelligenten Messsystemen und Smart-Metern wird hier eine wichtige Rolle spielen.

Ihre Anfänge in der genossenschaftlichen Welt haben Sie im Kaiserstuhl im Weinbereich verbracht. 2018 haben Sie bereits mit einem Partner vor Ort ein Solarbier entwickelt. Können wir denn noch mit einem Solarwein rechnen und wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang das Potenzial von Agri-PVAnlagen ein?

Das ist richtig. Meine beruflichen Anfänge waren bei der damaligen Zentralkellerei Badischer Winzergenossenschaften in Breisach. Einen „Solarwein“ sehe ich im Moment nicht, da der badische Wein bekanntermaßen ohnehin „von der Sonne verwöhnt“ ist. Agri-PV-Anlagen auf Rebgrundstücken stellen eine große Herausforderung dar. In der Regel handelt es sich um kleine Parzellen, die mit relativ hohen Kosten ans Leitungsnetz angeschlossen werden müssten. Auch die optische Beeinträchtigung dieser Kulturlandschaften bereitet mir Kopfzerbrechen. Ich denke, dass Agri-PV-Anlagen eher beim Obst- und Gemüsebau und auf größeren landwirtschaftlichen Flächen realistisch sind.

Der wohlverdiente Ruhestand rückt immer näher. Was sind Ihre Pläne für die kommende Zeit, und was werden Sie vermissen? 

Nach meinem Ausscheiden aus dem Vorstand des Alb-Elektrizitätswerks werde ich noch verschiedene Aufsichtsrats- und Beiratsmandate in ganz unterschiedlichen Branchen wahrnehmen. Mein Wunsch ist dann, mehr Zeit für meine Frau und meine Familie zu haben und die Zeiteinteilung selbstbestimmend vornehmen zu können. Vermissen werde ich natürlich die Menschen in meinem beruflichen Umfeld und aus den Tätigkeiten in den Verbänden und Organisationen.

Haben Sie noch eine Botschaft, die Sie an dieser Stelle mit den Leserinnen und Lesern des Geno Graph teilen wollen?

Wir müssen junge Menschen für die Rechtsform der Genossenschaft begeistern und sie motivieren, Aufgaben im Vorstand und im Aufsichtsrat von Genossenschaften zu übernehmen. Wir müssen die Vielfalt an Genossenschaften sowohl hinsichtlich der Größe als auch hinsichtlich der vielen Branchen, die genossenschaftlich organisiert sind, erhalten und der BWGV und die anderen Genossenschaftsverbände müssen darauf achten, dass die Rechtsform der Genossenschaft nicht verwässert wird und dass da, wo Genossenschaft draufsteht, auch Genossenschaft drin ist.

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