Die Digitalisierung hat innerhalb einer einzigen Generation das private und geschäftliche Leben komplett umgekrempelt, und man kann sich kaum vorstellen, welche immense Menge an neuer und immer wieder neuartiger Software dafür entwickelt werden musste. Hatte unsere bisherige vordigitale „Hardware“-Welt mehr als tausend Jahre Zeit, um den heutigen Stand zu erreichen, so waren es gerade mal 25 Jahre für die Software von heute. Interessanterweise hat die Digitalisierung selbst dazu beigetragen, dass sich die Digitalisierung so rasch entwickeln konnte; denn nur durch die international organisierte und vernetzte Zusammenarbeit von Software-Entwicklern – eben mit Hilfe der Digitalisierung selbst – konnte diese erstaunliche Leistung erbracht werden.
Partielle Offenheit ist das neue Geheimnis
Erfolgreiche Software-Projekte dürfen offensichtlich nicht im Block von einer einzigen Firma entwickelt werden, sondern das jeweilige Projekt muss in einzelne Schichten zerlegt werden. Die unteren Schichten wie zum Beispiel Netzwerkprotokolle, deren freie Verfügbarkeit von allgemeinem Interesse ist und die keine Bedeutung für den Wettbewerb haben, müssen gemeinsam entwickelt werden, während die oberen Schichten, sozusagen das „Gesicht“ der Software, vom jeweiligen Anbieter proprietär entwickelt wird. Dieses Prinzip wird allgemein „Open Innovation“ genannt. Es ist erfolgreich, weil es ökonomisch erfolgreich ist.
Von Baden-Württemberg in die Welt
Natürlich funktioniert die gemeinsame Software-Entwicklung nicht einfach automatisch, sondern es wird eine Organisation dafür benötigt – am besten wohl innerhalb von Branchen und an einem Ort, wo viele Spezialisten beheimatet sind, die ein besonders Interesse am Thema haben. Für die Digitalisierung in der Industrie im Allgemeinen und speziell in der Automatisierungsindustrie und im Automobilbau war es daher naheliegend, die entsprechende Organisation in Baden-Württemberg zu gründen. Und genau dort, nämlich in Heidelberg, ist das Open Source Automation Development Lab (OSADL) tätig und organisiert die gemeinsame Entwicklung und Nutzung von Software, die alle brauchen. Firmen, die verstanden haben, dass die Parallelentwicklung dieser Komponenten ein ökonomisches Desaster wäre, werden Mitglied der Organisation und profi tieren von der gemeinsamen Software-Entwicklung und vielen damit verbundenen Leistungen.
Weltfirmen, Mittelstand und Ingenieurbüros unter einem Dach
Mitglieder des OSADL sind zum Beispiel amerikanische und japanische Weltfirmen wie Intel und Hitachi, mittelständische in Baden-Württemberg beheimatete Weltmarktführer wie Homag und Trumpf, aber auch Ingenieurbüros mit wenigen Mitarbeitern. Offensichtlich profitieren alle auf ihre Weise vom Prinzip „Open Innovation“.
Ein alter Wahlspruch in neuem Licht
Bei der Gründung des OSADL war klar, dass das Geschäftsmodell auf „Open Innovation“ beruht – man wollte also etwas tun, was nur viele gemeinsam vermögen, dem einzelnen aber nicht möglich ist. Diese Idee, so neu sie auch klingen mag, ist aber schon weit über 100 Jahre alt und stand auch bei der Entwicklung der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft Pate. Daher ist es nicht verwunderlich, dass OSADL seit zehn Jahren als eingetragene Genossenschaft firmiert.
Digitalisierung versus Vertrauen
Aber Digitalisierung ist kein Allheilmittel; denn jede Zusammenarbeit von Menschen miteinander erfordert immer auch ein bestimmtes Maß an Vertrauen, das mit digitalisierter Kommunikation nicht vermittelt werden kann. Und eben aus diesem Grunde hat sich die Rechtsform der Genossenschaft als Glücksgriff erwiesen.
Dr. Carsten Emde, Geschäftsführer der OSADL eG