Es geht um Überlegungen zur Sicherung der Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der baden-württembergischen Genossenschaftsbanken. Die aktuellen Rahmenbedingungen heißen Niedrigzinsumfeld, Regulatorik, demografischer Wandel, zunehmender Wettbewerb und nicht zuletzt Digitalisierung. Ein fünfseitiges „Positionspapier zur Entwicklung der Strukturen von Genossenschaftsbanken in Baden-Württemberg“ des Fachrats Genossenschaftsbanken und des BWGV enthält wesentliche Gedanken zur Wettbewerbs-, Veränderungs- und Gewinnfähigkeit sowie Optionen und Maßnahmen, wie diese drei Stabilitätssäulen gefestigt werden können. Die Geno-Graph-Redaktion sprach mit Mathias Juhl, Prüfungsdienstleiter Genossenschaftsbanken, und Lothar Sauter, Bereichsleiter Beratung Genossenschaftsbanken, über Beweggründe, Entwicklung und Ziele des Positionspapiers.
Herr Juhl, wie kam es zur Entwicklung des Positionspapiers?
Mathias Juhl: Uns erreichten zunehmend Fragen unserer Mitgliedsbanken hinsichtlich der Zukunftsperspektiven im anhaltenden Niedrigzinsumfeld. Auf welcher einheitlichen Grundlage beantworten wir diese Fragen? Welche Richtlinien haben wir, an denen sich unsere Mitarbeiter und Mitglieder orientieren können? Wir haben festgestellt, dass das existierende Strategiepapier aus dem Jahr 2012 nicht mehr richtig passt, da sich zwischenzeitlich die Rahmenbedingungen weiter verändert haben. Deshalb wurde das nun vorliegende grundlegende Papier als einheitliche Richtschnur erarbeitet.
Herr Sauter, welche Ziele verfolgt dieses Grundsatzpapier?
Lothar Sauter: Im Kern soll das Papier Orientierung geben, bei einem Thema, das auf Sicht der nächsten fünf Jahre sicher nicht einfach ist. Nicht einfach, weil wir alle zum einen die Zukunft nicht kennen und es zum anderen kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“, kein „Alternativlos“ und keine unverrückbaren qualitativen Messgrößen gibt, die den Entscheidern den Weg vorgeben. Es sind immer strategische Entwicklungs- und Abwägungsprozesse notwendig.
Unser Ziel ist es auch, die aktive Auseinandersetzung mit der Zukunft einzufordern. Dabei möchte der Verband mit dem Positionspapier den Vorständen und Aufsichtsräten Unterstützung und Hilfestellungen anbieten – zu zentralen Fragestellungen:
- Welche strategischen und strukturellen Fragen sollten regelmäßig gestellt werden?
- Wie sind die Antworten und möglichen Szenarien daraus zu bewerten?
- Nach welchen Kriterien bewertet der Verband Zukunftsszenarien und welche Handlungsoptionen sind naheliegend?
- Was sollte im Rahmen der Strategiefindung getan werden?
Ich möchte betonen, es geht uns generell um den Impuls, sich strategisch mit der eigenen Zukunftsfähigkeit auseinanderzusetzen.
»Es geht uns um den Impuls, sich strategisch mit der Zukunftsfähigkeit auseinanderzusetzen.«
Wie definiert sich die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit einer Genossenschaftsbank?
Juhl: Ich nenne hier an erster Stelle die Wettbewerbsfähigkeit: Der Auftrag einer Genossenschaftsbank zur nachhaltigen wirtschaftlichen Förderung der Mitglieder heißt, den Mitgliedern in deren wirtschaftlichen Interesse bessere Lösungen zu bieten als der Wettbewerb. Das lässt sich einfach messen: Kann die Bank ihren Marktanteil ausbauen oder halten? Schafft sie einen Mehrwert für ihre Mitglieder und Kunden, dann ist sie ertragreich. Denn für Mehrwert wird bezahlt.
Sauter: Das zweite Handlungsfeld, die Veränderungsfähigkeit, zielt vor allem auf die Mitarbeiter ab. Besitzt die Bank dauerhaft die Attraktivität, um ausreichend qualifizierte Mitarbeiter an sich zu binden? Das ist für mich eine Kernfrage. Kann sie ihre Führungs- und Spezialistenstellen adäquat besetzen und bezahlen? Hat sie die richtigen Kompetenzen für die Marktanforderungen der Zukunft an Bord?
Weiter gehört die Innovations- und Investitionskraft dazu. Jede Veränderung bedarf zuerst einer Investition in die Zukunft. Wer seine Führungskultur nicht weiterentwickelt, wer versäumt, den demografischen Wandel in der Belegschaft zu vollziehen, keine Attraktivität für junge Talente bietet, der wird auf mittlere Frist seine Innovationskraft verlieren. Wem die finanzielle Kraft zur Investition fehlt, wer glaubt, Investitionen in die Zukunft verschieben zu können – zum Beispiel bei der Digitalisierung – oder wer glaubt, die Investitionen gäbe es kostenfrei, als „free lunch“ der Genossenschaftsorganisation, der hat bereits den Rückwärtsgang eingelegt.
Juhl: Die dritte Säule ist die Gewinnfähigkeit. Auskömmliche Gewinne sind unabdingbar. Für eine strategische Fünfjahresplanung sehen wir drei Kernaussagen als wesentlich an: Erstens die Entwicklung des Betriebsergebnisses vor Bewertung sowie des Ergebnisses vor Steuern. Zweitens die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen mit ausreichendem Spielraum für die Weiterentwicklung der Bank. Drittens die nachhaltige Darstellung der Risikotragfähigkeit sowohl in Risiko- als auch in Stressszenarien.
Haben diese drei tragenden Säulen etwas mit der Größe einer Bank zu tun?
Sauter: Betriebswirtschaftlich aus meiner Sicht ein klares Nein. Ich kenne bis heute keine Studie, die eine signifikante Korrelation zwischen Größe einer Bank und wirtschaftlicher Ertragskraft oder Veränderungsfähigkeit nachweist. Vielmehr wird in aller Regel sichtbar, dass der Erfolg eine Frage des Managements ist.
Etwas anders bewerten muss man die Frage aus Sicht der Regulatorik und dem Spezialisierungstrend. Hier stoßen kleine Häuser an ihre personellen Grenzen. Aus Marktsicht stellt sich die Frage vor allem in dynamischen Märkten. Kann die Entwicklungsdynamik der Bank mit dem Markttempo mithalten?
Juhl: Ich will ein Beispiel nennen: Wenn der Markt beispielsweise durch große Unternehmen geprägt ist, also die Bank große Mitglieder hat mit entsprechenden Anforderungen an die Kredithöhen oder an eine besonders qualifizierte Beratung in Fachfragen, dann können kleine Häuser solches oft nicht mehr anbieten.
Welche Zielgrößen (Kennzahlensystem) dienen dem Controlling, ob eine Bank „im grünen Bereich“ agiert und mittelfristig agieren wird?
Juhl: Wir haben beim BWGV sehr viele Kennzahlen zum Thema Wettbewerbsfähigkeit, beispielsweise den Marktanteil. Für die Veränderungsfähigkeit ist es schwieriger, weil hier sehr viele qualitative Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Aber auch hier gibt es aussagefähige Kennzahlen wie beispielsweise den Altersdurchschnitt der Mitarbeiterschaft. Darüber hinaus gibt es viele Finanzkennzahlen, zum Beispiel zum operativen Ergebnis.
»Im BWGV gibt es sehr viele Kennzahlen, um eine Bank beraten und unterstützen zu können.«
Welche Optionen bieten sich an, wenn die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit perspektivisch nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gegeben ist?
Sauter: Den Erkenntnisprozess, den Vorstand und Aufsichtsrat bei der Auseinandersetzung mit der Zukunftsfähigkeit ihrer Bank durchlaufen, halte ich bereits für einen ersten großen Gewinn. Dadurch entsteht ein klares Bild zur Notwendigkeit der Veränderung. Dies wiederum ist ein wichtiger Schritt in Richtung Handlungsfähigkeit. Unablässig für diese Klarheit ist ein regelmäßiger, nicht nur formaler, sondern inhaltlich qualitativer Strategieprozess. Eine umfassende Restrukturierung der Bank aus eigener Kraft sollte für die Entscheider immer die erste Fragestellung sein. Dazu gehört auch die realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Ist die Bank in der Lage, sich auf einen mehrjährigen, konsequenten Veränderungsprozess zu begeben, über alle Bereiche der Bank hinweg?
In diesem Entscheidungsprozess sollten in einer Alternativenbewertung die Möglichkeiten der Kooperation und Fusion immer mit geprüft werden. Zeigt die Analyse vor allem ein Kosten- oder Spezialisierungsproblem, kann der Weg der Kooperation schnelle Hilfe bieten. Kann die Eigenkapitalbasis aus eigener Kraft oder am Markt nicht ausreichend gedeckt werden oder ist die regionale Marktenwicklung so dynamisch, dass sie durch das eigene Haus nicht mehr abgebildet werden kann, bietet sich auf jeden Fall eine strategische Auseinandersetzung mit dem Thema Fusion an.
»Das Positionspapier gibt auch den Verbandsmitarbeitern Orientierung für ein einheitliches Verständnis.«
Wie unterstützt der BWGV beziehungsweise wo wirkt sich das Papier auf die Arbeit des BWGV aus?
Juhl: Das Positionspapier soll auch uns im BWGV Orientierung geben, damit wir ein einheitliches Verständnis bei unseren Mitarbeitern erreichen, mit Wirkung nach innen und außen.
Unterstützen können wir über unsere drei Bereiche Prüfung, Beratung und Bildung. Im Bereich der Prüfung empfehle ich, die Einschätzung des Prüfers zu nutzen, die sich die Bank auch gerne außerhalb des Prüfungsberichts einholen kann. Vielleicht auch zur Frage der Veränderungsfähigkeit. Wir können Konzepte zur Weiterentwicklung anbieten und wir stellen Vergleichswerte für die Analyse der eigenen Verhältnisse zur Verfügung. Unser Bereich Beratung Genossenschaftsbanken macht viele Beratungs- und Unterstützungsangebote.
Sauter: Wir stellen aus dem Bereich Beratung gerne Analysen und auch Vergleichswerte für Analysen zur Verfügung. Zum Beispiel: Markt- und Umfeldanalysen, Kundenzufriedenheits- und Loyalitätsmessungen, Benchmarking und betriebswirtschaftliche Vergleiche.
Wir bieten die Strategiebegleitung an – zum einen im Regelprozess mit den Strategietools des BVR, zum anderen gezielt zur Frage der Kooperations-/Fusionsbewertung. Dann gibt es den Check zur Zukunftsfähigkeit: Wo finden sich für das Management Stellhebel, um wirksame Veränderungen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit zu erreichen? Zu den Stellhebeln gibt es die BWGV-Konzepte zur Weiterentwicklung im Vertrieb, auf Prozessebene und in der Steuerung. Wir begleiten zudem mit Spezialistenteams in der Restrukturierung, zur Rückgewinnung der Zukunftsfähigkeit. Die Fusionsberatung gehört ebenfalls dazu.
Auf dem Bild oben zu sehen:
Prüfungsdienstleiter Mathias Juhl (links) und Lothar Sauter, Leiter des Bereichs Beratung Genossenschaftsbanken: „Unser Ziel ist es auch, von unseren Mitgliedsbanken die aktive Auseinandersetzung mit der Zukunft einzufordern.“