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Auf dem Weg zum »Handwerk 4.0«

Meterstab, Hammer und Schraubenzieher
Rainer Sturm / pixelio.de

Das deutsche Handwerk steht vor einer Reihe großer Herausforderungen. Dazu zählen der Fachkräftemangel und Nachfolgeprobleme, die Konkurrenz durch Industrie und ausländische Anbieter sowie steigende Anforderungen aufgrund des technischen Fortschritts. Dabei sind die einzelnen Gewerke recht unterschiedlich betroffen: Während sich Bäcker, Konditoren und Metzger dem Wettbewerb durch die Back- beziehungsweise Fleischindustrie ausgesetzt sehen, beklagen Fliesenleger und andere zulassungsfreie Handwerke die Konkurrenz durch Billiganbieter aus dem EU-Ausland. Dabei sind die skizzierten Herausforderungen keine grundsätzlich neuen Erscheinungen. So ist das deutsche Handwerk äußerst breit aufgestellt und in vielen Branchen aktiv. Daher war es schon immer von positiven wie negativen Auswirkungen des wirtschaftlich-technischen Strukturwandels betroffen. Auch die letzte größere Reform der Handwerksordnung, die eine weitere Liberalisierung und damit mehr Wettbewerb brachte, liegt inzwischen bereits elf Jahre zurück. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass sich die Herausforderungen in Zukunft stark verdichten und sich der Wandel im Handwerk rasant beschleunigen dürfte. Zu den Antriebskräften dieser Verschärfung der Probleme gehören der Altersstrukturwandel, der mit dem allmählichen Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge an Fahrt gewinnt, sowie ein neuer informationstechnischer Innovationsschub, der sich unter dem Stichwort „Digitalisierung“ zusammenfassen lässt.

Zum Teil Schlüsselrolle für Gesamtinvestitionstätigkeit

Das deutsche Handwerk hat nicht nur ein hohes ökonomisches Gewicht. Es ist auch tief in den Wirtschaftskreislauf eingebunden. Verschiedene Handwerkszweige spielen sogar eine Schlüsselrolle für die Investitionstätigkeit der Gesamtwirtschaft. Das gilt vor allem für Handwerker des Bau- und Ausbaugewerbes und anderer technischer Berufe. Engpässe im Handwerk können daher zu Problemen und Verzögerungen bei den gesamtwirtschaftlichen Bau- und Ausrüstungsinvestitionen führen. Das bremst nicht nur das jeweils aktuelle Wachstum, sondern behindert vor allem auch das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft. Auch aus diesem Grund setzt sich die DZ Bank im Rahmen der Studie „Auf dem Weg zum Handwerk 4.0“ mit den Herausforderungen für das Handwerk in Deutschland auseinander und skizziert seinen Weg zum „Handwerk 4.0“.

Großes ökonomisches Gewicht

Obwohl das Handwerk in Deutschland vorwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht, hat es ein großes ökonomisches Gewicht. Im Jahr 2015 erzielten die Handwerksbetriebe einen Gesamtumsatz von 543,7 Milliarden Euro (ohne Umsatzsteuer) und eine Bruttowertschöpfung von 210,8 Milliarden Euro. Das entspricht 7,7 Prozent der Bruttowertschöpfung der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Besonders groß ist das Gewicht im Bausektor. Hier waren 2014 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 69 Prozent der Unternehmen in den Handwerkskammern organisiert. Diese Handwerksbetriebe beschäftigen 82 Prozent aller sozialversicherungspflichtig tätigen Personen und erzielen 71 Prozent des Gesamtumsatzes im Bau- und Ausbaugewerbe.

Umsätze steigen vergleichsweise langsam

Allerdings wachsen die Umsätze im Handwerk langsamer als die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Seit 2011 öffnet sich die Schere zwischen Handwerk und Gesamtwirtschaft sogar noch schneller. Das Anziehen der Löhne und des Binnenkonsums in den vergangenen Jahren bescherte dem Handwerk zwar ein Umsatzplus. Dennoch verlieren die Handwerker in Deutschland an volkswirtschaftlicher Bedeutung durch die Industrialisierung, die Gewerke wie Bäcker, Metzger, Schneider, Schreiner und Schuhmacher verdrängt. Auch konnte der Bedeutungsgewinn von speziellen elektrotechnischen Berufen wie zum Beispiel der Hörgeräteakustiker, Kraftfahrzeugmechatroniker oder Systemelektroniker diesen Rückgang nicht auffangen. Entgegen des allgemeinen Beschäftigungsaufbaus nimmt die Zahl der handwerklichen Beschäftigten trotz steigender Umsätze ab. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass bei der Erbringung von Handwerksleistungen verstärkt industriell vorgefertigte Komponenten eingesetzt werden – auch weil häufig qualifizierte Fachkräfte fehlen. Diese Entwicklung verschärft sich in der Zukunft weiter, da die Zahl der Auszubildenden im Handwerk, sowie insgesamt, abnimmt. Dies ist eine Folge des Trends der Schulabgänger hin zur Aufnahme eines Studiums, was auch dem Anstieg der Abiturientenzahlen geschuldet ist. Insgesamt hat die Ausbildung im Vergleich zum Studium an Attraktivität eingebüßt.

Gründung von Genossenschaften

Das Handwerk bleibt jedoch nach wie vor ein wichtiger Faktor in der Ausbildung. Über ein Viertel aller Auszubildenden sind im Handwerk angestellt. Dieser Anteil ist aber seit Jahren rückläufig und lässt erkennen, dass ein Fachkräftemangel das Handwerk stärker als die restlichen Betriebe treffen wird. Nur noch rund sieben Prozent der 5,4 Millionen Beschäftigten des Handwerks oder etwas mehr als 360.000 waren 2015 Auszubildende. Es sollten auch neue Wege eingeschlagen werden, die dazu beitragen, die Attraktivität des Handwerks für Nachwuchs, Fachkräfte und Kunden zu steigern. Zu denken ist beispielsweise an die Entwicklung ansprechender Ausbildungskonzepte, an Kooperation in Form von gemeinschaftlichem Marketing oder an die Gründung von Produktivgenossenschaften für die Unternehmensnachfolge, gewerkeübergreifenden Handwerksgenossenschaften sowie Familiengenossenschaften. Genossenschaftliche Kooperation kann das Handwerk im Wettbewerb mit Großunternehmen nicht nur auf den Beschaffungsmärkten unterstützen, sondern auch auf den Absatzmärkten und bei der Personalanwerbung und -bindung. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Digitalisierung im Handwerk zu richten. „Handwerk 4.0“ macht die Branche nicht nur fit für die Zukunft, sondern lässt sie vor allem für junge Menschen als attraktiven Arbeitgeber erscheinen.

Staat muss Technikinfrastruktur-Ausbau ankurbeln

Vor allem wegen der Schlüsselfunktion des Handwerks für die gesamtwirtschaftlichen Investitionen ist jedoch auch der Staat gefragt. Er sollte die Digitalisierung des Handwerks und anderer Wirtschaftsbereiche mit Beratungsangeboten, Fördermaßnahmen und einem zügigen Ausbau der technischen Infrastruktur begleiten. Gleichzeitig gilt es, den noch bestehenden Graben zwischen Hochschulen und Handwerk zu beseitigen, indem stark praxisorientierte und speziell auf die Bedürfnisse des Handwerks ausgerichtete Studienangebote geschaffen werden. Ebenso sollte das zulassungspflichtige Handwerk für bestimmte technische Studienabschlüsse auch ohne Meisterbrief geöffnet werden, wenn eine ausreichende Handwerkspraxis nachgewiesen werden kann.

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