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Am Daten-Ufer

Umwelttechnik Fritzmeier GmbH Digitale Landwirtschaft, Isaria Sensor auf Fendt
Umwelttechnik Fritzmeier GmbH

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Felder per GPS-Steuerung auf zwei Zentimeter genau pflügen, Pflanzenschutz aus der Luft per Drohne, Temperaturkontrolle über das Smartphone: Digitale Anwendungen sind in der Landwirtschaft bereits reichlich im Einsatz. Doch eine vernetzte Landwirtschaft 4.0 wird erst dann daraus, wenn diese Systeme irgendwann auch zusammenarbeiten. Auf dem Hofgut Maxau bei Karlsruhe soll diese Vision im Versuch Realität werden.

Das Hofgut Maxau liegt direkt am Rhein. Lastkähne tuckern den Fluss entlang, Spaziergänger flanieren über den Rheindamm. Der ideale Ausflugsort im Sommer. Beste Aussichten also für das Landgasthaus und das Hofladencafé von Andreas Schmid. Der 48-jährige promovierte Agrarwissenschaftler hat das Hofgut gepachtet. Doch die Zukunft von Maxau soll vor allem digital sein – als Pilotbetrieb zum Test und Vergleich vernetzter Technologien auf einem landwirtschaftlichen Betrieb.

Im November 2017 wurde hier in der nahen Burgau der erste Winterweizen gesät. In den kommenden drei Jahren werden diese Anbauflächen, im Fachjargon Schläge genannt, mit digital vernetzten Systemen für die Dosierung von Mineraldünger und Wachstumsreglern bewirtschaftet. Dabei soll getestet werden, mit welchen geo- und sensorgestützten Verfahren der Pflanzenanbau verbessert und zugleich Umwelt und Ressourcen geschont werden können. Zum Einsatz kommen zwei optische Sensorverfahren und ein Satellitenverfahren.

Der Versuch ist ein Gemeinschaftsprojekt des Landwirtschaftlichen Technologiezentrums (LTZ) in Augustenberg mit dem Hofgut Maxau, der ZG Raiffeisen eG und dem Agrartechnikhersteller Fritzmeier. Das LTZ hat sich dafür bei digital@ bw, der Digitalisierungsinitiative des Landes Baden-Württemberg, beworben und fachkundige Projektpartner mit an Bord geholt. Sie übernehmen die Versuchsberatung, legen das Versuchsfeld an und stellen die getestete Agrartechnik.

Andreas Schmid kennt sich aus mit dem Thema Digitalisierung in der Landwirtschaft. Für seine Doktorarbeit hat er am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung in Weihenstephan geforscht. Dort ist er auch Dr. Franz-Xaver Maidl von der Technischen Universität München begegnet, dem Projektleiter, der dort gemeinsam mit Fritzmeier den Isaria-Pflanzensensor entwickelt hat. Jetzt darf Schmid die Entwicklung seines Kollegen ausprobieren – im Praxisversuch.

Das allein ist für ihn als Wissenschaftler schon ein schönes Zusammentreffen. Doch es nicht das, was Schmid primär antreibt. „Der Reiz für mich ist zu sehen: Schafft die Technik das? Dass das Gerät im Prinzip funktioniert, das wissen wir inzwischen. Ich meine damit, kommt diese hochkomplexe Technik auch mit unseren kleinteiligen Strukturen hier im Südwesten zurecht?“

Denn anders als in Nord- und Ostdeutschland sind die Anbauflächen hier auf kleinem Raum sehr heterogen. Alle paar Meter ändern sich die Anbaueigenschaften und damit auch Ertragskraft und Nährstoffbedarf des Bodens.

Von der Erfahrung zum Wissen

Die hier getesteten Pflanzensensoren, ein Isaria von Fritzmeier und ein N-Sensor von Yara, arbeiten beide nach demselben Prinzip: optische Sensordüngung mittels Reflexionsmessung. Beim Satelliten übernehmen das Multispektralkameras.

Der Pflanzensensor misst während der Fahrt über das Feld das von der Pflanze reflektierte Licht und damit den Stickstoffgehalt, den die Pflanze in diesem Moment tatsächlich aufweist. Für das menschliche Auge sehen Pflanzen grün aus, weil sie den Großteil des blauen und roten Lichts für die Photosynthese nutzen. So kann der Sensor über die Farbmessung exakt bestimmen, wieviel Stickstoff die Pflanze bereits aufgenommen hat.

Das System errechnet dann, wieviel Mineraldünger noch benötigt wird, und verabreicht die erforderliche Dosis über einen Düngerstreuer am Heck des Traktors. Doch nach welchen Kriterien soll der Sensor entscheiden, wieviel genug ist?

Bei der klassischen schlageinheitlichen Stickstoffdüngung richtet sich die Dosierung nach den durchschnittlichen Ertragswerten, die für die jeweilige Anbaufläche insgesamt ermittelt worden sind. Im ungünstigsten Fall bleibt damit manche vielversprechende Stelle unterversorgt, während anderswo Dünger vergeudet wird, weil diese oder jene Teilfläche eigentlich viel weniger Zugabe benötigen würde. Doch ohne die Sensorik weiß das niemand genau.

Aus diesem Grund wurde das teilflächenspezifischen Verfahren entwickelt. Der Pflanzensensor misst den Stickstoffgehalt der Pflanze und verrechnet den Sensorwert dann mit den in einer Anwendungskarte gespeicherten Ertragswerten der letzten Jahre. Sozusagen das digitale Gedächtnis der jeweiligen Anbaufläche.

„Mit dem Sensor schaffen wir den Übergang vom Erfahrungswissen zur datenbasierten Entscheidung“, sagt Jochen Schneider, Geschäftsführer der ZG Raiffeisen Landwirtschaft Digital 4.0 GmbH, dem digitalen Start-up der Genossenschaft. „Ein guter Landwirt, der seine Felder kennt, hat schon eine ziemlich genaue Ahnung, wo mehr wächst und wo weniger. Doch das wird bald nicht mehr genügen. Bei der Düngung wird es bald im Wortsinne auf jeden Tropfen ankommen.“ Dafür wird schon die neue Düngemittelverordnung sorgen, die seit August 2017 gilt.

Dies ist eine der Fähigkeiten, bei der die Maschine dem menschlichen Gespür wirklich weit voraus ist. „Der große Vorteil ist: Der Sensor erkennt lange vor dem menschlichen Auge, dass etwas nicht stimmt.“

Die Grenzen der Digitalisierung

Klar ist, dass kein Sensor und kein Roboter das Fachwissen des Landwirts ersetzen kann, und das ist auch gar nicht unbedingt das Ziel. All diese Systeme sollen dem Landwirt lediglich dabei helfen, unternehmerische Entscheidungen zu treffen und diese so präzise wie möglich umzusetzen. Das automatische Lenksystem Fendt Varioguide etwa steuert den Traktor bis auf zwei Zentimeter genau über die Anbaufläche. Das hält kein Landwirt 14 Stunden am Lenkrad durch.

Wie jede neue Technologie ist auch die Digitalisierung mit Nachteilen und Risiken verbunden. So kann in Zeiten des Klimawandels, in denen die Witterung immer unberechenbarer wird, auch die beste Applikationskarte nicht vorhersagen, wie lange die darin gespeicherten Ertragsdaten auch künftig noch den aktuellen Anbaubedarf widerspiegeln.

Ein anderes großes Thema ist der Datenschutz, weiß Jochen Schneider. Doch er warnt auch vor übertriebenen Erwartungen. „Wer das Potenzial dieser Technologien wirklich nutzen möchte, wird nicht darum herumkommen, seine Daten zu teilen. Wichtig ist, dass die Datenhoheit beim Landwirt bleibt und dieser jederzeit selbst bestimmen kann, wer welche Daten bekommt.“

Diese Einsicht scheint in der Branche allerdings bereits angekommen zu sein: Laut der jüngsten Umfrage des Internet-Branchenverbandes Bitkom sind 84 Prozent aller Landwirte grundsätzlich bereit, ihre Daten zu teilen, wenn dies mit Anbauvorteilen verbunden ist.

Digital bedeutet noch lange nicht 4.0

Bereits jetzt sind eine ganze Reihe digital gesteuerter Anwendungen bei der ZG Raiffeisen im Einsatz. Falls der Versuch in Maxau tatsächlich auf Mais erweitert wird, könnte die Maisdrohne Multikopter hier zum Beispiel sofort durchstarten. Inzwischen schwebt der ferngesteuerte Kleinsthubschrauber mit den vier Rotoren jedes Jahr im Mai und Juni auf über 8.000 Hektar Maisfeld in Baden. Mit einer Flotte von inzwischen sechs Geräten bekämpft die ZG Raiffeisen damit aus der Luft den wirtschaftlich bedeutendsten Maisschädling der Republik, den Maiszünsler.

Im Kampf gegen den gefräßigen Falter werden biologische Verfahren aus dem Baukasten der Natur immer beliebter. Die Schlupfwespe (Trichogramma brassicae) ist ein natürlicher Fressfeind des Maiszünslers, der mit dem Multikopter nun im Handumdrehen aus der Luft abgesetzt werden kann.

Doch nur weil der Multikopter digital gesteuert wird, ist er noch lange nicht 4.0. Das Gerät fliegt die gewünschten Maisfelder nach GPS-Koordinaten ab, die zuvor erfasst und in eine Anwendungskarte eingegeben werden müssen. Insofern bezieht es Daten von einer anderen Anwendung, die allerdings nicht automatisch generiert werden. Es verfügt aber über keinen eigenen Sensor, von dem solche Daten automatisch abgerufen werden könnten.

Im Zeitalter der Digitalisierung schwirren die Fachbegriffe schneller durcheinander als die Drohne über das Feld, und so flüchtig werden sie auch gebraucht. Mit Wirtschaft 4.0 wird eigentlich die Vernetzung von Systemen oder genauer von Prozessen bezeichnet. Automatische Lenksysteme steuern Traktoren oder Landmaschinen mit unvergleichlicher Präzision, aber ohne die erforderlichen Daten und Signale sind sie blind. Sie benötigen den Input von anderen Systemen.

Spezielle Sensoren sind wiederum das Herz der neuen App Deepfield Connect, die der Hersteller Bosch über die ZG Raiffeisen anbietet. Sie löst auf dem Smartphone des Landwirts Temperaturalarm aus, sobald ein bestimmter Wert im Boden überoder unterschritten wird. Denn vor allem frühe Sonderkulturen wie Spargel oder Erdbeeren, aber auch Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln oder Salatgemüse, sind sehr empfindlich gegenüber Temperaturschwankungen. Sie müssen mit sogenannter Verfrühungstechnik, also wärme- oder lichtempfindlichen Agrarfolien, gegen Kälte und Nässe geschützt werden.

Allerdings warnt der Sensor hier „nur“, es ist keine Anwendung angeschlossen, die reagieren könnte. Folientunnel und Fliese muss man nach wie vor von Hand ausbringen. Also auch nicht 4.0? Dennoch sind beide, Multikopter wie Bosch-App, vollwertige Systeme, die bereits jetzt im Einsatz sind und einmal feste Bestandteile einer vernetzten Landwirtschaft 4.0 bilden könnten.

Neue Ufer für Genossenschaften

Für Genossenschaften sind im Zuge der Digitalisierung auch immer neue Geschäftsmodelle denkbar. Denn auch der Agrarhandel verändert sich mit der fortschreitenden Entwicklung von Technologien und Märkten, die wiederum einen sich wandelnden Kundenbedarf nach sich ziehen. Den Bosch-Sensor für die Deepfield-App etwa kann man nur mieten, aber nicht kaufen. Für den reinen Verkauf sind solche Systeme häufig zu komplex und zu teuer. Der Multikopter-Service wird als komplette Dienstleistung angeboten, ebenso die Erstellung von Ertragspotenzial- und Applikationskarten. Ähnliches dürfte auch bei Satellitenkarten vorstellbar sein. Die Genossenschaften folgen dem Fluss der Daten, an dessen Ufer sie gerade stehen.

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