Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) stößt auf heftige Kritik der Genossenschaften in Baden-Württemberg. „Die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bedrohen massiv die Geschäftsmodelle der Energiegenossenschaften“, sagt Dr. Roman Glaser, der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV). Die Bundesregierung plant, die lokale Vermarktung des Solarstroms an Mieter künftig stärker zu belasten. „Damit erschwert die Politik nicht nur die sehr sinnvollen Modelle dezentraler Stromversorgung, sie lässt auch Mieter im Regen stehen“, sagt Glaser nun anlässlich eines Energiepolitischen Fachgesprächs des BWGV mit Landes- und Bundespolitikern in Stuttgart. Der BWGV-Präsident fordert die Mitglieder des Deutschen Bundestags deshalb dazu auf, die Gesetzesvorlage für das EEG entsprechend nachzubessern.
Die verlässlichen Rahmenbedingungen, die die Energiegenossenschaften brauchen, werden durch die Gabriel-Pläne erheblich in Frage gestellt: Die Genossenschaften sollen künftig ihren erzeugten Strom nur mit vollem EEG-Umlage-Aufschlag vor Ort liefern dürfen – auch ohne Nutzung des öffentlichen Netzes. Anlagen ab 100 Kilowatt müssten sogar verpflichtend direkt vermarkten, sodass der lokale Verkauf gar nicht mehr möglich wäre. „Die Situation ist absurd“, sagt Glaser. „Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr die Betreiber von Solaranlagen aufgefordert, sich dem Markt anzupassen. Nachdem diese neue Modelle entwickelt haben, kommt nun die Rolle rückwärts – auch bestehende Anlagen wären betroffen.“
Zahlen des BWGV zeigen, dass in Baden-Württemberg rund 100 Bürgersolaranlagen in ihrer Wirtschaftlichkeit akut gefährdet wären – darunter viele Anlagen, die in den letzten Monaten ans Netz gingen oder aktuell geplant sind. Jede vierte Photovoltaik-Genossenschaft verkauft ihren Strom mittlerweile selbst, wie aus einer BWGV-Umfrage hervorgeht. Der günstige Sonnenstrom wird direkt von den Nutzern der Gebäude, auf denen sich die Anlagen befinden, verbraucht und nicht mehr ins öffentliche Netz eingespeist. Die Verbraucher haben so deutlich geringere Stromkosten und bremsen auch den allgemeinen Strompreis-Anstieg. Nun ist dieses sinnvolle und regionale Konzept jedoch gefährdet.
„Energiegenossenschaften stellen sich ihrer Verantwortung“
„Mit dem Direktvertrieb vor Ort haben sich die Energiegenossenschaften ihrer Verantwortung gestellt und Wege gefunden, Strom aus erneuerbaren Energien ohne Belastung der EEG-Umlage zu erzeugen“, betont Glaser. Der Strom, der direkt vor Ort verkauft wird, kommt Mietern in Wohngebäuden und kleinen Gewerbebetrieben zugute. Da er nicht ins öffentliche Netz eingespeist wird, fällt für diesen Strom auch keine Einspeisevergütung an. „Durch den günstigeren Strompreis profitieren endlich auch die Menschen von der Energiewende, die sich keine eigene Anlagen leisten können“, erläutert Glaser die Vorteile dieses Modells. Da keine Einspeisevergütung für den Solarstrom anfällt, wird zusätzlich die EEG-Umlage entlastet und somit der Strompreis für alle Bürger günstiger.
Große Verunsicherung durch die Reformpläne
Wie dies funktioniert, zeigt die Heidelberger Energiegenossenschaft. Insgesamt 15 Solarstrom-Anlagen der Genossenschaft liefern Strom an die Mieter in den jeweiligen Gebäuden. „Die Anlagen sind nach Osten und Westen ausgerichtet, sodass über den Tag möglichst gleichmäßig Strom erzeugt wird“, erklärt Nicolai Ferchl, Vorstand der Heidelberger Energiegenossenschaft. Das Erfolgsmodell hat sich durchgesetzt und wird inzwischen standardmäßig bei neuen Anlagen verwendet. „Die Energiegenossenschaften haben sich hierdurch einen Wachstumsmarkt für die Zeit nach der Einspeisevergütung geschaffen“, betont Glaser. Die Verunsicherung durch die EEG-Reform ist nun jedoch groß: Die bundesweit 800 Energiegenossenschaften mit ihren 200.000 Mitgliedern haben bislang rund 1,5 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert. Nach Schätzungen der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) werden allein in diesem Jahr 300 Millionen Euro an Investitionen zurückgestellt. An den aktuell 140 Energiegenossenschaften im Südwesten sind 25.000 Mitglieder beteiligt. Baden-Württemberg ist das Flächenland mit der größten Dichte an Energiegenossenschaften.
BWGV ist strategischer Partner der Energiegenossenschaften
Der BWGV unterstützt die Energiegenossenschaften als strategischer Partner. Er verstärkt seine Beratung, um Neugründungen und bereits bestehende Genossenschaften intensiv und langfristig begleiten zu können. „Unsere jahrzehntelange Erfahrung in der Beratung und Prüfung genossenschaftlicher Unternehmen kommt gerade den oft noch jungen Energiegenossenschaften zugute“, sagt Glaser. Diese stehen vor der Herausforderung, langfristig tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, die nicht allein auf Photovoltaik basieren. Stichworte dabei sind: Windkraft, Biomasse, Nahwärmenetze, Energieeffizienz und auch Dienstleistungen rund um erneuerbare Energien. Mit dem Fachausschuss Energiegenossenschaften bietet der BWGV diesen Unternehmen eine Plattform zum Erfahrungsaustausch. Mehr als 3,73 Millionen Menschen in Baden-Württemberg sind Mitglied mindestens einer Genossenschaft. „Das bedeutet, dass sich etwa jeder dritte Bürger im Land zum Genossen-schaftswesen bekennt“, betont der BWGV-Präsident. Im Südwesten sind gut 34.500 Menschen in genossenschaftlichen Unternehmen beschäftigt. Zudem bilden die Genossenschaften in Baden-Württemberg insgesamt mehr als 3.100 junge Menschen aus. Der BWGV feiert im laufenden Jahr sein 150-jähriges Bestehen.