Landwirtschaft ist Familiensache: Neun von zehn landwirtschaftlichen Betrieben in Baden-Württemberg sind Familienbetriebe, und in rund 80 Prozent der Betriebe arbeiten ausschließlich Familienangehörige. Diese Besonderheit führt zum einen zu sehr starken und verlässlichen Strukturen. Zum anderen birgt der enge Zusammenhang zwischen Beruf und Familie großes Konfliktpotenzial. „Generationenkonflikte, schwierige Hofnachfolgen oder Probleme in der Partnerschaft sind nicht selten und können durchaus die wirtschaftliche Basis des Betriebs gefährden“, sagte Monika van Beek, Verbandsdirektorin und Mitglied des Vorstands des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), anlässlich des VR-Agrartags der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Oedheim (Kreis Heilbronn). Weitere VR-Agrartage fanden in Sigmaringen, in Laupheim und in Öhringen statt.
„Landwirtschaft im Familienbetrieb – Friede, Freude, Frust?“ Unter diesem Titel haben 400 Landwirte und Vertreter der Volksbanken und Raiffeisenbanken aus der ganzen Region darüber diskutiert, wie familiäre Konflikte in landwirtschaftlichen Betrieben vermieden und bewältigt werden können. „Rein betriebswirtschaftliche Herausforderungen, wie etwa Investitionstätigkeiten und damit verbundene Kredite, können mit betriebswirtschaftlichen Methoden gelöst werden. Hierbei sind die Volksbanken und Raiffeisenbanken der wichtige und starke Partner an der Seite der Landwirte“, betonte van Beek. Kompliziert werde es, wenn die Herausforderungen psychologisch-sozialer Natur sind: „In landwirtschaftlichen Familienbetrieben sind familiäre und berufliche Angelegenheiten nur schwer zu trennen“, betonte die BWGV-Verbandsdirektorin. Dazu zählen: Konflikte zwischen den oftmals unter einem Dach zusammenlebenden verschiedenen Generationen, prinzipielle Fragen der Ausrichtung des Hofs, die Regelung der Hofnachfolge oder auch Probleme, wenn ein Partner neu in die Familie hinzukommt.
Offenheit und Transparenz sind entscheidend
Van Beek: „Diese Herausforderungen müssen ernst genommen werden, da sie schwerwiegende Konsequenzen für die gesamte Familie aber auch den Fortbestand des Betriebs haben können.“ Das Wichtigste sei, offen und ehrlich Probleme anzusprechen und die jeweiligen Interessen deutlich zu machen. Oftmals seien auch klare Regelungen hilfreich, etwa wenn es darum geht, dass die jüngere Generation die Leitung des Betriebs übernimmt. Van Beek: „Auch wenn es dem Altenteiler schwerfällt, muss er loslassen und sagen: Die Verantwortung trägt nun mein Sohn oder meine Tochter.“ Auch klare Regelungen, wieviel der Vater im Ruhestand noch mitarbeitet, könnten dazu beitragen, Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen. Wenn noch vor der Hofübergabe Kreditentscheidungen anstünden, sei es wichtig, dass auch der potenzielle Nachfolger bereits in die Gespräche mit der Bank eingebunden werde. „Offenheit und Transparenz sind ganz entscheidende Faktoren“, stellte van Beek beim VR-Agrartag heraus. Bei neuen Partnerschaften sei es wichtig, dass der Lebenspartner die Besonderheiten des landwirtschaftlichen Berufs wie etwa lange Arbeitszeiten akzeptiere und sich auch der engen Familienbande bewusst sei. Umgekehrt müsse dem neuen Familienmitglied die Freiheit gelassen werden, nicht auf dem Hof mitzuarbeiten und einem anderen Beruf nachzugehen.
Familienbetriebe sind Herzstück der Landwirtschaft
Beim VR-Agrartag wurde aber ebenso deutlich, dass es auch viele positive Aspekte durch das starke Konstrukt „Familienbetrieb“ gibt: Der Familienbetrieb habe sich als ungemein erfolgreich und stabil gegenüber Veränderungen erwiesen. Weltweit würden bäuerliche Familienbetriebe rund 70 Prozent aller Lebensmittel produzieren und damit den Großteil der Weltbevölkerung versorgen. Auch in Baden-Württemberg gelte: „Familienbetriebe sind das Herzstück unserer Landwirtschaft und versorgen die Bevölkerung mit verantwortungsvoll produzierten gesunden Lebensmitteln“, betonte van Beek. Außerdem würden die Betriebe einen ungemein wertvollen Beitrag zur Pflege der ländlichen Kulturlandschaft leisten – auch in Grenzertragslagen. Und dadurch, dass die Familie oftmals auch Eigentümer des bewirtschafteten Bodens ist, werde sehr verantwortungsbewusst mit der Natur umgegangen und der Grundsatz der Nachhaltigkeit gelebt. Van Beek plädierte außerdem für ein realistisches Bild der Landwirtschaft: „Die Vorstellung der Verbraucher bezüglich Landwirtschaft hat oftmals noch sehr romantische Züge. Doch gerade auch landwirtschaftliche Familienbetriebe sind Orte der Innovation und der Wirtschaftlichkeit. Unsere Landwirtschaft ist gleichzeitig modern, innovativ und nachhaltig.“
Die wichtigsten Herausforderungen für einen Familienbetrieb wurden detailliert in den Vorträgen beim VR-Agrartag herausgearbeitet: Die Agrarökonomin, Mediatorin und Kommunikationstrainerin Dr. Silvia Riehl sprach über „Der Familienbetrieb – viele Rollen, ein Spielfeld“. Sie stellte zum einen die Vorteile Flexibilität, Nachhaltigkeit und kurze Entscheidungswege heraus. Zum anderen benannte die ehemalige Studentin an der Universität Hohenheim das Konfliktpotenzial durch die hohe emotionale Bindung in einer Familie. Martina Grill, Trainerin für Rhetorik, Kommunikation, Selbstmanagement und Landwirtin, beschäftigte sich mit dem Thema „Gelingende Beziehungen gestalten“. Sie referierte anschaulich über die beiden Ebenen der Gesprächsführung – die Sachebene (was sage ich) und die Beziehungsebene (wie und warum ich es sage).
Und wie wichtig Transparenz bei einer Hofübergabe an die Kinder ist, berichtete das „Altbauern“- Ehepaar Marlise und Alfons Notz aus Leutkirch im Allgäu aus eigener Erfahrung.
Eine Podiumsdiskussion mit allen Referentinnen und Referenten, die Fragen aus dem Publikum besprachen, rundete das Programm ab.