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Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern – Aktuelle Entwicklungen

Aufsichtsratstätigkeit bei Genossenschaften
Jorma Bork / pixelio.de

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Vor beinahe 50 Jahren hat der Bundesfinanzhof (V R 136/71) entschieden, dass die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft gegen Zahlung einer Vergütung umsatzsteuerpflichtig ist. Auch die Finanzverwaltung teilt seitdem die Auffassung des höchsten deutschen Finanzgerichts, nachzulesen in Abschnitt 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE. Der Steuergesetzgeber nennt die Tätigkeit als Aufsichtsrat explizit in § 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 UStG. Inhaltlich geht es dabei um Artikel 9 und 10 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL). Da die Rechtsprechung hierzu in der EU bisher nicht einheitlich war, wollte sich die Niederlande, wo bis zum 1. Januar 2013 die Aufsichtsräte nicht unternehmerisch tätig waren, anderen EU-Staaten angleichen und machte die Tätigkeit kurzerhand unternehmerisch, wogegen sich der Aufsichtsrat einer niederländischen Stiftung wandte und es zum Vorlageverfahren (Rechtssache IO) beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam.

Der EuGH hat in dieser Rechtssache (Urteil vom 13. Juni 2019, C-420/18) entschieden, dass die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds für eine in den Niederlanden ansässige Stiftung keine selbständige Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuerrechts darstellt und daher auch nicht umsatzsteuerbar ist. Damit stellt der EuGH mit seiner Entscheidung eine bisher als eindeutig geklärt geglaubte Beurteilung im Bereich der Umsatzsteuer in Frage.

Sachverhalt und Entscheidungsgründe des EuGH

Im niederländischen Ausgangsverfahren war der Kläger Aufsichtsratsmitglied einer dort ansässigen Stiftung, deren Haupttätigkeit darin besteht, hilfsbedürftigen Personen dauerhaft Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Der Aufsichtsrat hatte die Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen, über die Zusammensetzung des Vorstands und des Aufsichtsrats zu entscheiden und die Jahresabschlüsse festzustellen. Die Vertretung der Stiftung oblag nahezu ausschließlich dem Vorstand. Lediglich in eng umgrenzten Ausnahmefällen durften Mitglieder des Aufsichtsrats die Stiftung vertreten. Für sein Mandat erhielt der Kläger eine Fixvergütung. Diese war nicht an bestimmte Handlungen oder etwa die Teilnahme an Sitzungen geknüpft. Eine Entlassung des Klägers wegen Fahrlässigkeit war nur durch eine Abwahl im Aufsichtsrat mit Dreiviertel-Mehrheit möglich. Das niederländische Finanzamt wollte die Aufsichtsratsentgelte umsatzbesteuern, womit der Kläger nicht einverstanden war. Im Ergebnis hatte sich der EuGH mit zwei Fragen zu befassen: Stellt die Aufsichtsratstätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit dar und wird diese Tätigkeit selbständig ausgeübt? Der EuGH hat das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit bejaht, da die Leistung nachhaltig (Amtszeit von vier Jahren im vorliegenden Fall) gegen Entgelt ausgeübt wurde. Bei der Beurteilung dieser Frage war es unerheblich, dass die Vergütung sich nicht nach der individuellen Leistung bemessen hat.

Seine Entscheidung, dass dagegen eine nicht selbstständige Tätigkeit vorliegt, hat der EuGH damit begründet, dass der Kläger als Mitglied des Aufsichtsrats in einem Unterordnungsverhältnis zum Organ steht. Das Unterordnungsverhältnis ergibt sich allerdings nicht aus dem Arbeitsverhältnis, da ein solches Arbeitsverhältnis nicht mit der weisungsunabhängigen Funktion des Aufsichtsratsmitglieds vereinbar sei. Stattdessen leitet der EuGH das Unterordnungsverhältnis aus der Tatsache ab, dass die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrates ihre Befugnisse nicht individuell ausüben. Sie werden außerhalb von Ausnahmefällen nur für Rechnung und unter Verantwortung des gesamten Aufsichtsrats tätig.

Zudem haften die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht für Schäden, die sie Dritten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben verursachen. Die Vereinbarung einer festen Vergütung, die weder von einer Teilnahme an Sitzungen noch von tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt, zeigt darüber hinaus, dass mit der ausgeübten Tätigkeit keinerlei wirtschaftliches Risiko einhergeht und damit von einer nicht selbstständig ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit ausgegangen werden kann.

BFH verneint die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsrates bei bestimmten Konstellationen

Noch bevor die Ausführungen des EuGH richtig verdaut waren, hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 27. November 2019 (V R 23/19) zur Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern bei Vereinbarung einer (nicht variablen) Festvergütung geäußert, eine Tätigkeit als Unternehmer verneint und damit in eingeschränktem Umfang auch entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden.

Im aktuellen Urteilsfall war der Kläger leitender Angestellter der S-AG und Aufsichtsratsmitglied der E-AG, deren alleiniger Aktionär die S-AG war. Als Aufsichtsratsmitglied erhielt der Kläger für seine Tätigkeit eine jährliche Festvergütung. Gemäß den Regelungen in seinem Anstellungsvertrag war die Aufsichtsratsvergütung an den Arbeitgeber abzuführen. Die Abführung erfolgte jährlich über die Verrechnung bei der Auszahlung der Tantiemen.

Der BFH sah in der Aufsichtsratstätigkeit des leitenden Angestellten keine Unternehmereigenschaft vorliegen, da dieser nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG selbständig tätig war. Da er eine jährlich gleich hohe Festvergütung erhielt, die keinerlei variable Vergütungsbestandteile aufwies, hat der Kläger in Bezug auf seine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats kein wirtschaftliches Risiko getragen. Auch ein etwaiges fahrlässiges Handeln hatte auf die Vergütung keinen unmittelbaren Einfluss. Die Abführungspflicht der Vergütung, eine damit einhergehende Verrechnung mit Tantiemen und ein sich hieraus ergebendes Abhängigkeitsverhältnis hatte für den BFH keine Relevanz.

Wie geht es weiter?

Die vorliegenden Entscheidungen des EuGH und des BFH werden derzeit sehr kontrovers diskutiert und haben zu Verunsicherungen bei Genossenschaften und Aufsichtsräten geführt.

Auch wenn die dem Aufsichtsrat obliegenden Aufgaben im Fall der niederländischen Stiftung im Wesentlichen mit denen eines deutschen Aufsichtsrats übereinstimmen, so bleiben doch große Zweifel, ob die Argumentation des EuGH, dass die Aufsichtsratsmitglieder die dem Aufsichtsrat übertragenen Befugnisse nicht individuell, sondern nur als Gesamtorgan ausüben können, auf die Situation in Deutschland übertragen werden kann. In Deutschland sind zum Beispiel die aktienrechtlichen Aufsichtsratsmitglieder eigenverantwortlich tätig und haften persönlich für die von ihnen getroffenen Entscheidungen (vgl. § 116 AktG i.V.m. § 93 AktG).

Oder könnte man auf die Idee kommen, dass der Aufsichtsrat als Ganzes Unternehmer ist und die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder zuliefernde Subunternehmer?

Unstrittig ist, dass die aktuelle Rechtsprechung zu einem Umdenken auch im deutschen Rechtssystem führen wird und die Tätigkeiten eines Aufsichtsratsmitglieds differenzierter betrachtet werden müssen. Je nachdem wie die Tätigkeit eines Aufsichtsrats ausgeprägt und ausgestaltet wird, dürfte es zukünftig selbstständig und unselbstständig tätige Aufsichtsratsmitglieder geben.

In Bezug auf eine ausschließlich vereinbarte Festvergütung für den Aufsichtsrat hat sich der BFH dem EuGH-Urteil angeschlossen und seine bisherige Rechtsprechung eingeschränkt. Wie hoch der variable Anteil jedoch sein muss, um ein wirtschaftliches Risiko als umsatzsteuerlicher Unternehmer zu haben, bleibt vorerst ungeklärt. Der BFH lässt in seinem Urteil ausdrücklich offen, in welchen anderen Fällen die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats weiterhin als unternehmerisch anzusehen ist. Größer konnte der BFH seine Skepsis zum EuGH-Urteil IO wohl nicht zum Ausdruck bringen. Das letzte Wort beziehungsweise BFH-Urteil zur Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern dürfte daher wohl noch nicht gesprochen sein.

Für eine rechtssichere Handlungsempfehlung an die Beteiligten braucht es eine Äußerung der Finanzverwaltung, die letztlich nicht umhinkommen wird, den Umsatzsteuer-Anwendungserlass an die neue Rechtssicht anzupassen. Gleiches gilt für den Gesetzgeber, da die explizite Nennung der Aufsichtsratstätigkeit in § 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 UStG zum Ort der sonstigen Leistung ansonsten zumindest partiell ins Leere läuft.

Durch einen potenziellen Wegfall der Selbständigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, gegebenenfalls auch unter Ausnutzung von zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten, können sich zudem beim Vergütungsschuldner Effizienzen durch einen geringeren administrativen Aufwand sowie Kostenvorteile ergeben. Eine Vorsteuerabzugsberechtigung beim Aufsichtsratsmitglied würde insoweit entfallen. Insofern sollte das Thema weiter beobachtet und mit dem steuerlichen Berater abgestimmt werden.

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