Wo geht es hin mit der Wirtschaft, … wie kommt man wieder zurück zu alter Stärke, Hauptsache weitermachen, … oder vielleicht doch alles neu? Verantwortliche und Führungskräfte haben sich mit besonnenem Pragmatismus und realistischem Optimismus in der akuten Krise gegen die düsteren Vorzeichen gestemmt. Sie haben Task Forces gebildet und alles heruntergefahren, um die Krise gut zu überstehen. Langsam kehrt nun das, was wir Normalität nennen, zurück. Meist verbunden mit der bangen Frage, ob und wie lange die wieder gewonnene Stabilität trägt und was sich durch die Krise fundamentaler verändert.
Die Arbeit von Millionen Menschen im Homeoffice, die selbstverständlichere Nutzung digitaler Kommunikationsformate und das bargeldlose Zahlen von Kleinstbeträgen an der Supermarktkasse sind positive Entwicklungen, die ohne die Krise so nicht denkbar gewesen wären. Sicher, all diese Phänomene haben auch ihre Schattenseiten, sind sie doch teils aus der Not geboren. Es wäre anmaßend, hier einen Perfektionsanspruch zu erheben.
Selbstverständlich müssen die Dinge immer wieder angeschaut und nachgeschärft werden. Und das setzt voraus, dass man sich müht und auseinandersetzt, nichts für immer akzeptiert und ruhen lässt. Mit jedem weiteren Aufflammen der Krise geraten Unternehmen erneut unter Druck und müssen neue Anpassungen und Formveränderungen vornehmen. Jede Krise enthält damit auch einen Selbsterneuerungsauftrag. Um diesem nachzukommen, heißt es am eigenen Geschäftsmodell zu feilen, in den guten Jahren gewonnene Gewissheiten und etablierte Gewohnheiten infrage zu stellen und sich neu aufzustellen. Richtig neu ist das freilich nicht, heute entscheidet es aber darüber, ob Unternehmen „im Rennen“ bleiben oder nicht. Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit kristallisieren sich gerade jetzt als Paradigma unserer „neuen“ Wirtschaftsordnung immer deutlicher heraus.
Die Chance des Neustarts, des Überdenkens und Veränderns will gut genutzt sein. Ein Patentrezept hierfür gibt es leider nicht, aber bewährte Handlungsschritte, die dazu einladen, den Weg für die eigene Organisation gut zu gestalten.
Überblick gewinnen und sortieren
Wer sich die Frage eines Neuanfangs nach einer Krise stellt, ob es nun eine Pandemie ist, eine Rezession oder ein persönlicher Wendepunkt, der kommt um den Prozess des Innehaltens, Bilanzierens beziehungsweise des gemeinsamen Ordnens nicht umhin. Gerade wenn die Dynamik zunimmt und die Eindeutigkeit im Außen verloren geht, gewinnt das gemeinsame Einordnen und Bewerten der Situation und der eigenen Handlungsmöglichkeiten an Bedeutung.
Schon zu „normalen“ Zeiten sind solche gemeinsame Lagebeurteilungen und persönliche Reflektionen eine Herausforderung – Zeitmangel und operativer Druck bringen gerade Führungskräfte an ihre Grenzen und fressen den Raum für die notwendige Auseinandersetzung.
Meist werden Bilanzierung und Neuausrichtung dann in bewährte Gefäße wie gemeinsame Strategietage oder Zukunftskonferenzen verlagert. Und wenn es wirklich brennt, sorgen Task Forces für die aktuelle Lageeinschätzung und organisieren das im Augenblick Notwendige. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dabei der kontinuierliche Prozess des Bewertens und Ordnens auf der Strecke bleibt. Das gültige Szenario gesteigerter Unsicherheit verlangt, dass die gemeinsamen Bilder der Realität unter immer wieder neuen Rahmenbedingungen ständig neu bewertet werden. Und das setzt voraus, dass vertraute und bekannte Referenzpunkte verändert werden und vor allem Raum und Zeit für derartige Reflektionen zur Verfügung steht.
Beim Sortieren und Überblick gewinnen sind Denkanstöße, Empfehlungen und Meinungen Dritter übrigens eine willkommene Möglichkeit, die eigenen Weltbilder zu überprüfen. Dabei sind zwei Aspekte relevant: ein mündiger Empfänger, der die Impulse in Lichte der eigenen Erfahrungen und unternehmerischen Realitäten zu bewerten weiß und ein Sender, der die eigenen Haltungen und Interessen transparent macht, anstatt vermeintliche Best Practices zu verkaufen. Externe Gesprächspartner befeuern die Diskussion dann kreativ und professionell und erweitern mittels eigener Beobachtungen die internen Perspektiven substanziell. Auf dieser Grundlage kann das entstehen, was man für den Neustart braucht: Diskurs, einen gepflegten Streit über den richtigen Weg, eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe und ein voneinander Lernen können und wollen.
Voneinander lernen
Gerade jetzt sammeln Unternehmen wertvolle Erfahrungen, die angesichts des operativen Tagesgeschäfts und mächtiger Routinen schnell zu verblassen drohen. Häufigste Ursache hierfür ist nicht die mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung, sondern die teils unorganisierten und wenig effektiven internen Lernprozesse. Wirkliches Lernen (aus der Krise) passiert nicht „on top“ oder „nebenbei“, sondern erfordert geschützte Räume und vor allem Zeitfenster für freie, ergebnisoffene Diskussion - verbunden mit der Möglichkeit zur Reflektion und Weiterentwicklung.
Die Bereitschaft zum Lernen und zum Teilen von Ideen ist uns Menschen wesensgemäß. Gute Rahmenbedingungen für kreatives Denken und die Suche nach Verbesserungen in jedem Team zu gestalten, dafür können Führungskräfte viel tun. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist das Schaffen eines sicheren Umfelds. Das von der amerikanischen Wissenschaftlerin Amy C. Edmondson entwickelte Konzept der psychologischen Sicherheit beschreibt eindrücklich, dass Mitarbeitende sich erst dann einem gemeinsamen Lern- und Experimentierprozess öffnen, wenn sie angstfrei Ideen, Meinungen und Gedanken (mit-)teilen können, ohne befürchten zu müssen, sich zu blamieren oder Nachteile zu erleiden.
Führungskräfte, die Lernräume so gestalten, dass Ideen und Vorschläge jedes Teammitglieds zunächst unvoreingenommen und ohne Wertung akzeptiert werden, schaffen dadurch die Möglichkeit zur Diskussion und können im Anschluss viel leichter gemeinsam mit dem Team die Umsetzung voranbringen. Das gleiche gilt übrigens auch für die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern, Kunden und Beratern – Co-Kreation statt Standardkonzeptumsetzung, mit- und voneinander Lernen statt Expertenratschläge, sind erfolgreiche (Lern-)Wege in die Zukunftsfähigkeit.
Vom Kunden zu lernen ist besonders für die Vertriebsbereiche von Relevanz. Das konsequente Reinholen der „Outside-In“-Perspektive über klassische Marktbefragungen lässt sich gut ergänzen durch kleinere Kunden-Kreise. In diesen werden die Lebensrealität, Schmerzpunkte und Bedürfnisse der Kunden differenzierter verstanden und gemeinsame Ideen zur Umsetzung entwickelt. Echtes Lernen von echten Kunden eben.
Schnell und pragmatisch etwas umsetzen
An klugen Ideen und der Bereitschaft, diese einmal auszuprobieren, mangelt es nicht. Das reine Ausprobieren hat jedoch so seine Tücken. Wie oft passiert es, dass gute Ideen im Sande verlaufen und die investierte Energie vergeudet erscheint. Das liegt vermutlich am Charakter des Ausprobierens. Man verabredet sich, versuchsweise etwas anders zu machen, als bisher. Wenn man mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist, lässt man es meist nach kurzer Zeit wieder.
Schnell und pragmatisch etwas umzusetzen folgt jedoch anderen Gesetzmäßigkeiten. Zum einen braucht es das, was man ein echtes Experiment nennt. Beim echten Experiment vereinbart man konkrete Ziele und Kriterien, anhand derer entschieden werden kann, ob das Experiment erfolgreich ist oder nicht. Man prüft konsequent, inwieweit das neue Vorgehen einen Zielbeitrag leistet und entscheidet bewusst über den etwaigen Ausstiegspunkt anhand zeitlicher, sachlicher und emotionaler Kriterien.
Mutig anpacken beginnt daher nicht mit einem ausgeklügelten Masterplan, Projektaufträgen und Meilensteinen sondern mit den Fragen: „Was soll am Ende dabei herauskommen?“ „Woran messen/erkennen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“ „Wie sieht unser erster konkreter Schritt aus?“ und „Was braucht es, um genau diesen umzusetzen?“. In zweiter Linie braucht es ein iteratives Vorgehen. Mittels der Schritt-für-Schritt-Logik werden selbst große und komplexe Vorhaben machbar. Etwas ausprobieren, die Wirkung analysieren und schnell nachbessern sichert Zwischenerfolge und hält das Umsetzungsteam motiviert bei der Sache. So entsteht entweder zunehmende Sicherheit, dass das Neue trägt – auch wenn es immer wieder Anpassungen bedarf – oder die Erkenntnis, dass die Idee nichts taugt. Beides hilft, Mitarbeitenden und Führungskräften ihr Gefühl der Selbstkompetenz und Handlungsfähigkeit zu stärken und aktiv an der Gestaltung des Neuen beteiligt zu sein.
Gerade im Vertrieb, wo Zeit- und Erfolgsdruck besonders hoch sind, ermutigt die Haltung „Good enough to try“ dazu, Neues zu wagen. Das Besondere daran ist, die Mindestanforderungen so zu definieren, dass bereits für einen kleinen Teil der Kundenzielgruppe eine Idee, ein Produkt oder Service schnell an den Start gehen kann. Ganz ohne langwierige Entwicklungs- und Austausch- schleifen.
Fazit
Große Krisen zeigen Unternehmen wo sie genauer hinschauen müssen und sie zeigen insbesondere, um wie viel größer die eigenen Ressourcen sind, wenn sie sinnvoll gebündelt, kanalisiert und ergänzt werden. Gerade in den vergangenen Monaten konnten wir erleben, wie in zahlreichen Unternehmen unter Hochdruck relativ schnell neue Dienstleistungen/Produkte generiert wurden und die unternehmensinterne sowie auch unternehmensübergreifende Kooperation müheloser funktionierte. Diesen „Spirit“ für das Neue und Machbare weiter zu kultivieren und auszubauen, wird die Aufgabe, sein, derer wir uns in Zukunft stellen müssen.