Nachhaltigkeit ist wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg. Der Gewinnsparverein der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg hat sich in Sachen Nachhaltigkeit eine Vorbildfunktion erarbeitet. Zwei gute Gründe für die Geno-Graph-Redaktion, darüber im Dreier-Interview mit Thekla Walker MdL, Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft in Baden-Württemberg, Dr. Roman Glaser, Präsident des BWGV, und Jürgen Rehm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gewinnsparvereins, zu sprechen.
Frau Ministerin Walker, die 10. Nachhaltigkeitstage Baden-Württemberg im September 2022 zählten im ganzen Land rund 3.100 Aktionen, rund 900 mehr als im Jahr davor. Das ist europaweit einsame Spitze. Ist hierzulande Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft bereits „das neue normal“?
Thekla Walter: Es ist unser Ziel, dass Nachhaltigkeit zum Geschäftsmodell wird. Nachhaltigkeit soll die Grundlage für erfolgreiches Wirtschaften bilden. Die starke Beteiligung an den Nachhaltigkeitstagen belegt, dass Nachhaltigkeit in der Breite der Gesellschaft angekommen ist. In der Wirtschaft fragen sich die Verantwortlichen, wie Energie- und Betriebskosten in der gegenwärtigen Krise gesenkt werden können, wie man sich unabhängiger von fragilen Lieferketten macht. Diese Fragestellungen spiegeln sich in den guten Beteiligungszahlen der Nachhaltigkeitstage. Das freut mich sehr und gibt uns viel Motivation. Das heißt aber auch, dass wir die vielen Initiativen in die alltäglichen Abläufe und Strukturen bringen.
Herr Dr. Glaser, die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben das Selbstverständnis, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit wesentliche Bestandteile ihrer DNA seien. Betrachtet man die hohe Beteiligung der Genossenschaftsbanken bei den Nachhaltigkeitstagen 2022, ist dies keineswegs nur ein Lippenbekenntnis.
Dr. Roman Glaser: So ist es, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Nachhaltigkeit ist in den Genossenschaftsbanken längst ein Thema, lange bevor etwa über die EU-Taxonomie diskutiert wurde. Denn Volksbanken und Raiffeisenbanken sind im permanenten Austausch mit ihren Privat- und Firmenkunden und deren Themen, wozu natürlich auch Nachhaltigkeit gehört. Irgendwann werden wir gar nicht mehr speziell über Nachhaltigkeit reden, sondern es wird eine Selbstverständlichkeit sein. Der zweite Grund: Eine Bankengruppe, die rund 170 Jahre Geschichte aufweist, ist per se auf Langfristigkeit ausgelegt. Unsere Genossenschaften haben Nachhaltigkeit in ihrer DNA. Klar ist, dass wir uns in allen drei Kategorien von Nachhaltigkeit − Ökologie, Soziales und Governance-Themen – entlang der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen weiterentwickeln müssen.
Herr Rehm, der Gewinnsparverein Baden-Württemberg der Volksbanken und Raiffeisenbanken geht mit gutem Beispiel voran, ist seit 2019 ein klimaneutrales Unternehmen. Warum versteht sich der GSV diesbezüglich als Vorbild und hat der Verein auch bei den Nachhaltigkeitstagen mit Aktionen mitgemacht?
Jürgen Rehm: Wir haben Klimaschutz, Schonung von Ressourcen und Nachhaltigkeit nicht nur in unsere Unternehmensphilosophie aufgenommen, sondern schon relativ früh in unsere Unternehmensstrategie integriert. Der Gewinnsparverein kompensiert seit 2019 seinen geringen CO2-Ausstoß und stellt sich damit klimaneutral. Mit diesem und vielen weiteren Beiträgen ist regionales Handeln gefragt, ohne das Internationale zu unterlassen. So könnte man unser Motto bezeichnen. Gelebte Praxis ist eben die schöne Praxis.
Zurück zu unserer Strategie: Nachhaltiges Handeln sehen wir als klaren Wettbewerbsfaktor. Wir betrachten das so: Unsere Kunden belohnen dieses Engagement der Genossenschaftlichen FinanzGruppe und der Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften mit ihrer Kaufentscheidung. Der Gewinnsparverein hat in dieser Hinsicht als einer von vielen Akteuren eine gewisse Vorbildfunktion übernommen.
Wir waren 2021 noch nicht bei den Nachhaltigkeitstagen dabei. 2022 war der Gewinnsparverein bei vier Aktionen am Start. Ein Beispiel: Wir haben beim SWR 3 New Pop Festival in Baden-Baden einen sehr gut frequentierten Nachhaltigkeitsstand betrieben und haben so beim Südwestrundfunk den Impuls gesetzt, das Festival zukünftig als Green Event auszuweisen. Ein eigenes Green Event war unsere 70-Jahre-Jubiläumsveranstaltung am 22. September 2022.
Frau Walker, als einziges Bundesland hält Baden-Württemberg mit der WIN-Charta − WIN steht für Wirtschaftsinitiative Nachhaltigkeit − ein System vor, das vor allem kleinen und mittleren Unternehmen ein gut umsetzbares und transparentes Nachhaltigkeitsmanagement bietet. Mittlerweile bekennen sich über 300 Unternehmen zu nachhaltigem Wirtschaften. Welche Vorteile haben die Unternehmen davon, sich den Kriterien der Charta zu verpflichten?
Walker: Es sind erfreulicherweise bereits 320 Unternehmen mit im Boot. Es geht um die Frage: Wie bringt man Nachhaltigkeit als Managementsystem in ein Unternehmen? Dazu bieten wir mit der WIN-Charta ein Instrument an, das auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit bietet, niederschwellig zu den Leitsätzen der UN-Charta für Nachhaltigkeit ein Managementsystem zu entwickeln und zu implementieren, eigene Schwerpunkte zu setzen. Das ist deswegen so wichtig, weil KMUs ja in der Regel dafür keine eigenen Abteilungen haben. Ich meine, die WIN-Charta ist diesbezüglich ein sehr gutes Instrument, um Nachhaltigkeit auch als Geschäftsmodell zu verankern – als Teil der Transformation der Prozesse hin zu klimaneutralem Wirtschaften und zu nachhaltigen Lieferketten. Ein weiterer Vorteil: das Netzwerk. Es gibt Unterstützung, es werden Workshops durchgeführt. Uns geht es um den Austausch, um Best-Practice-Modelle, um das Kopieren und Teilen guter Konzepte. Es geht aber auch um das Wie, um die soziale Frage, die Mitarbeitenden dabei mitzunehmen. Auch in dieser Hinsicht ist die WIN-Charta ein Angebot des Landes Baden-Württemberg. Wobei es natürlich noch andere Angebote und Initiativen gibt.
Herr Rehm, der Gewinnsparverein ist seit Dezember 2021 Mitglied der WIN-Charta. Das beinhaltet ja nicht nur, dass unternehmensintern Nachhaltigkeit gelebt wird, sondern dass auch im direkten Unternehmensumfeld aktiv Projekte umgesetzt werden. Was hat der Gewinnsparverein in dieser Hinsicht bereits getan und was haben Sie noch vor?
Rehm: Das Zielkonzept der WIN-Charta ist für den Gewinnsparverein, genauer gesagt für seine Mitarbeitenden, ein guter roter Faden, an dem sie sich orientieren können. Wir sind recht schnell ins praktische Handeln gekommen – im März 2022 in Uttenweiler, Kreis Biberach. Als WIN-Charta-Mitglied ist es uns besonders wichtig, Nachhaltigkeit auch im direkten Umfeld umzusetzen und mit persönlichem Engagement zu unterstreichen. Nachhaltigkeit prägt seit jeher auch das Handeln von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken. Gemeinsame Werte haben dazu geführt, dass beide Partner im Rahmen eines WIN-Projekts verschiedene Sträucher und (Wild-) Obstbäume im Umfeld des neuen Naturkindergartens Uttenweiler gepflanzt haben. Insgesamt über 100 Setzlinge. Die ortsansässige VR Bank Riedlingen-Federsee eG hat den Naturkindergarten mit vier neuen Hochbeeten zusätzlich unterstützt. Und der Bürgermeister der Gemeinde sowie weitere Akteure haben auch angepackt. Es waren über 60 große und kleine Helfer am Werk. Ein toller Netzwerk-Tag, der das Wir-Gefühl stärkte. Insgesamt kann ich sagen: Nachhaltigkeit passt hervorragend zu unserem Dreiklang des Gewinnsparens „Gewinnen“, „Sparen“ und „Helfen“. Beim Gewinnsparverein gehen jährlich 11 Millionen Euro Gewinnspar-Reinerträge ein. Unsere Mitgliedsbanken rufen diesbezüglich für ihre Unterstützungsprojekte neue Bewertungskategorien bei uns ab. Eine wesentliche Kategorie dabei ist Nachhaltigkeit. Das heißt, für die Zukunft werden wir viele Zentralprojekte mit den Ministerien des Landes, dem BWGV, den Verbundpartnern zu diesem Thema für unsere Mitgliedsbanken gemeinsam entwickeln dürfen.
Herr Dr. Glaser, zu den WIN-Charta-Unternehmen gehören aktuell auch fünf Mitgliedsbanken des BWGV. Gibt es denn noch andere Managementsysteme, in deren Rahmen Genossenschaftsbanken ihr nachhaltiges Handeln verstetigen können?
Glaser: Die WIN-Charta ist ein Angebot – das ich ausdrücklich unterstütze − unter mehreren. Aber auch andere Wege führen zum guten Ziel. Entscheidend ist, dass wir nach vorne kommen. Das gilt auch für den BWGV. Wir setzen eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie auf die Schiene, zum einen für den Verband selbst, zum anderen aber auch als möglicher Impulsgeber für unsere Mitgliedsgenossenschaften in der Breite. Ein Beispiel: Unser GENO-Haus wird dieses Jahr 50 Jahre alt und gilt in Stuttgart als energetisch vorbildlich. Das reicht uns aber nicht. Wir werden das GENO-Haus nachhaltig weiterentwickeln. Zweites Beispiel: Unser GenoHotel in Karlsruhe ist seit Jahren EMAS-zertifiziert. Drittes Beispiel: Eine Arbeitsgruppe des Verbands arbeitet angesichts unseres großen Außendiensts an einem nachhaltigen Mobilitätskonzept. Viertes Beispiel: Unsere Restaurants im GenoHotel und im GENO-Haus sind jeweils mit der Zertifizierung „Schmeck den Süden – Genuss außer Haus – Baden-Württemberg“ ausgezeichnet worden. Diese Auszeichnung für die Verwendung regional erzeugter Produkte ist ein echter Standortvorteil, der von unseren Gästen wertgeschätzt wird. Alle genannten Beispiele verdeutlichen, dass wir zwar eine echte Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln, aber nicht bei null beginnen müssen. Dieser Umstand, dass wir bei bereits Erreichtem ansetzen können, ist sehr motivierend und es macht richtig Spaß, an diesem Thema zu arbeiten. Die diesbezügliche Erwartungshaltung unserer Mitarbeitenden, die wir beim Sommerfest 2022 abgefragt haben, bestärkt uns dabei.
Frau Walker, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, kurz BNE, ist eine von sechs Leitperspektiven, die im Bildungsplan der Schulen in Baden-Württemberg verankert sind. Wie nehmen Sie das Engagement der Volksbanken und Raiffeisenbanken für dieses Konzept wahr?
Walker: BNE ist ein übergreifendes Leitmotiv in den Bildungsplänen der Schulen. Es geht darum, junge Menschen zu befähigen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, Zusammenhänge zu verstehen und auch Ideen zu entwickeln. Es ist dabei wichtig, alle Akteure, die an diesem Thema arbeiten, vor allem auch aus dem außerschulischen Bereich, einzubinden und zu vernetzen. Dazu gehören auch die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit ihren Aktivitäten. Ich bin deshalb sehr dankbar dafür, wenn diese Bankengruppe konkrete Nachhaltigkeitsprojekte anstößt, die diese notwendige Vernetzung befördern. Wir müssen auch ressortübergreifend mit dem Agrar- und dem Kultusministerium zusammenarbeiten, um eine noch größere Wirkung zu erreichen. Denn Nachhaltigkeit ist kein Nebenthema. Wir müssen die jungen Menschen dazu ertüchtigen, einen eigenen Kompass zu entwickeln.
Herr Dr. Glaser, die Klima-Initiative „Morgen kann kommen“ der Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe will bis 2024 insgesamt eine Million Baumsetzlinge pflanzen, davon 80.000 in Baden-Württemberg. Das Verbandsgebiet des BWGV hat das Maximalkontingent an Setzlingen als erste aller Regionen erreicht. Für wie wichtig halten Sie eine enge Verzahnung dieser Initiative mit dem Bildungskonzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“?
Glaser: Für sehr wichtig. Im Rahmen der erfolgreichen Initiative Garten³ des Gewinnsparvereins werden Schulen und Kindergärten Hochbeete, Insektenhotels und Sämereien für blühende Wiesen und Gärten zur Verfügung gestellt. Da liegt es nahe, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken einen weiteren wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung und für einen klimaresistenten Wald in Baden-Württemberg leisten. Die Vernetzung von Akteuren ist bedeutend. Ich spüre nicht nur bei den Genossenschaftsbanken, sondern auch bei unseren ländlichen und gewerblichen Genossenschaften, dass es eine große Bereitschaft gibt, sich mit den Bildungsträgern zu vernetzen. Ich denke da beispielsweise an die Themen gesunde Ernährung oder nachhaltige Energieerzeugung. Kurzum: Bildung ist die Basis schlechthin, um nachhaltiges Handeln einzuüben – nennen wir es Lebenswissen − und zur Normalität werden zu lassen, beginnend in der 1. Klasse Grundschule.
Herr Rehm, der Gewinnsparverein ist ein Treiber für die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler für eine nachhaltige Entwicklung zu sensibilisieren. Können Sie erläutern, was die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit den Stichworten „Waldpädagogik“, „Bienenhäuser“ und der bereits erwähnten Initiative „Garten3“ verbindet?
Rehm: Unsere Hochbeet-Initiative Garten3 ist inzwischen ein eigenes Nachhaltigkeitsprojekt geworden. 2018 wurden bereits 500 Hochbeete von unseren Mitgliedern an Schulen und Kindergärten gespendet. Inzwischen sind es 3.800 Hochbeete (Stand November 2022) − bei 1.000 Grundschulen im Land. Es gibt inzwischen sogar Hochbeet-Wettbewerbe unter den Schulen um die reichste Ernte oder um das beste digitale Bewässerungssystem. Das ist ein großer Hebel geworden, den wir weiter ausbauen. Garten3 ist seit November 2022 auf der UNESCO-Liste als Top-Projekt im Bereich Bildung nachhaltige Entwicklung gelistet. Das bestärkt uns in unserem Engagement.
Ein weiteres wichtiges Thema sind Insektenhotels, die einen pädagogischen Beitrag in Sachen Artenvielfalt und Stoppen des Bienensterbens leisten. In den vergangenen drei Jahren seit Start haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken 1.500 Insektenhotels zur Verfügung gestellt. Wir entwickeln weiter und haben nun Nistkästen mit integrierten WLAN-Kameras im Angebot. Ein Beispiel dafür, dass Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammenpassen. Alle diese Projekte sind mit Pädagogischen Hochschulen entwickelt worden und in den Bildungsplan des Schulministeriums integrierbar. Es gibt aber noch viel mehr Vernetzungsmöglichkeiten. Eine Idee: Schülergenossenschaften könnten in ihren Schulen Nachhaltigkeitsprojekte anstoßen.
Für unsere Waldstrategie 2.0 zur Klima-Initiative „Morgen kann kommen“ der Volksbanken Raiffeisenbanken möchten wir den Schulterschluss von Gewinnsparverein, BWGV und den drei Landesministerien für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, für Kultus, Jugend und Sport sowie für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, um ein neues Handreichungsmodul für die Waldpädagogik und BNE zur Verfügung zu stellen. Wir sind zuversichtlich, dass dadurch eine Dynamik und Sogwirkung entsteht, sodass sich viele Menschen, Unternehmen und Kommunen in den Regionen angesprochen fühlen und weitere Beiträge in Sachen Nachhaltigkeit leisten. Gemeinsam für eine enkeltaugliche Zukunft.