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Mit Reallaboren zukünftige Genossenschaftsentwicklungen erkunden

Genossenschaftsentwicklungen erkunden mit Reallaboren
Regina Rhodius

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Als besonderes Format der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Gesellschaft bieten Reallabore ideale Testräume für Innovationen. Der Begriff Reallabor macht dabei deutlich, dass hier Interventionen („Realexperimente“) im direkten Lebensumfeld stattfinden, nicht losgelöst davon in einem wissenschaftlichen Labor.

Aktuell erfährt das Konzept Reallabor große Aufmerksamkeit und wird in ganz verschiedenen Kontexten angewandt. So fördert das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst seit 2015 die Einrichtung von Reallaboren an den Universitäten und Hochschulen Baden-Württembergs im Rahmen des Programms „Wissenschaft für Nachhaltigkeit“. 2018 übernahm auch das Bundeswirtschaftsministerium den Reallaboransatz, um Testräume für digitale Innovationen zu schaffen.

Was Reallabor so attraktiv macht

Bei allen unterschiedlichen Auslegungen sind es drei zentrale Charakteristika. In einem Reallabor:

  • werden neue Ideen und Verhaltensweisen entwickelt und erprobt – mit dem Ziel, vom Wissen tatsächlich ins Handeln zu kommen. Reallabore sind damit auf Veränderungsprozesse ausgerichtet (transformativ);
  • wird Lernprozessen viel Raum gegeben (reflexiv). Experimente und Aktivitäten werden forschend begleitet, um immer wieder nachbessern zu können und Lösungen zu entwickeln, die auf ähnliche Kontexte übertragbar sind;
  • arbeiten Akteure verschiedenster Sphären und Disziplinen von der Definition von Zielen über die Erprobung bis zur Reflexion zusammen: Verwaltung und Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis (trans- und interdisziplinär).

Ein Reallabor ist insbesondere dann ein geeignetes Instrument,

  • wenn die Lösungsansätze für eine Fragestellung nicht auf der Hand liegen, sondern in einem Aushandlungsprozess zwischen einer Vielzahl an Akteuren erarbeitet werden müssen,
  • gesellschaftliche Wertefragen betroffen sind und/oder die Veränderung von Verhaltensweisen anstehen,
  • ein (rechtlicher) Spielraum für experimentelles Vorgehen gegeben oder herstellbar ist (zum Beispiel über Experimentierklauseln).

Ein stereotypes Vorgehen zur Etablierung eines Reallabors gibt es nicht, aber wiederkehrende zentrale Bausteine wie beispielsweise a) die Analyse der von einem Thema betroffenen Akteure, die zu einem differenzierten Beteiligungskonzept führt, b) die Etablierung einer tragfähigen Infra- und Kommunikationsstruktur, c) die Erarbeitung der Fragestellungen im Austausch zwischen  Akteuren verschiedener Fachgebiete und Sphären (= Co-Design), d) der Einbau von Reflexionsschleifen im Prozessverlauf. Das Zusammenführen von Akteuren, das Erproben und Reflektieren brauchen Zeit. Reallabore benötigen daher einen mittel- bis längerfristigen Zeitrahmen, in dem die einzelnen Experimente aber wiederum von kürzerer Dauer sein können.

Wie Genossenschaften von Reallaboren profitieren können

Die Baugenossenschaft Neues Heim in Stuttgart erprobt gemeinsam mit dem Studierendenwerk und der Hochschule für Technik Stuttgart, wie gemeinschaftliches Wohnen der Zukunft aussehen kann und erhält so Impulse für Neubauten(https://bgneuesheim.de/newsreader/imiadreallabor-zeilenbau-stuttgart-rot-entsesselt2-0.html).

Im Rheinischen Revier startete im September 2019 das govchain nrw-Projekt, ein Reallabor für die Blockchain-Technologie im Energiesektor. Es erprobt beispielsweise Möglichkeiten der Datenerfassung eines Nachbarschaftsstrom-Modells in einer Smart Energy Grid-Lösung – ein Thema für Energiegenossenschaften? (https://govchain-blog.de/reallabor-im-rheinischen-revier/)  Die Schnittmengen zwischen Potenzialen von Plattformengenossenschaften(wie zum Beispiel des Co-Designs bei der Plattformgestaltung) und Reallaboren sind erstaunlich groß. Eine Verknüpfung beider Ansätze könnte den experimentellen Spielraum bei der Etablierung von Plattformgenossenschaften erweitern und damit weitere Akteure zur Mitwirkung motivieren.

Innerhalb des Reallabors Wissensdialog Nordschwarzwald wurde ein Konzept zur Einbindung Studierender in die Reallaborarbeit erprobt. Zentrales Element dieses Lehrkonzeptes ist ein Patenmodell. Dabei bringen Praxispartner Problemstellungen ein, die von studentischen Projektgruppen bearbeitet werden, und begleiten die Studierenden im gesamten Arbeitsprozess als Patinnen und Paten. Die Studierenden profitieren vom Praxisbezug; die Paten von kreativen studentischen Impulsen. Bei den öffentlichen Präsentationen der Ergebnisse wurde deutlich, dass die Impulse junger Menschen oft auf eine größere Resonanz und Offenheit in der Bevölkerung stoßen als die Beiträge von Fachleuten. Die Kooperation mit Hochschulen im Rahmen eines solchen Patenmodells könnte damit auch für Genossenschaften ein Weg sein, unkonventionelle Ideen zu erproben und in der öffentlichen Diskussion auf Resonanz zu testen (www.wissensdialog-nordschwarzwald.de).

In all den genannten Themenbereichen bietet das Format der Reallabore Genossenschaften die Chance, drängende Fragen der genossenschaftlichen Entwicklung auf experimentellem Weg mit einer Vielzahl an Akteuren zu erörtern. Und das nicht als von Wissenschaftlern Beforschte und auch nicht als Auftraggeber für klar abgegrenzte Gutachten, sondern in einem produktiven Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis.

Genossenschaftsentwicklungen mit Reallaboren erkunden
Reallabore führen Akteure aus verschiedensten Sphären produktiv zusammen: Fachleute aus Tourismus, Medizin, Naturschutz und Forstwirtschaft diskutieren mit zivilgesellschaftlichen Akteuren über neue touristische Angebote ihrer Region.

 

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