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Mit Heimat- und Bürgergenossenschaften regionale Verantwortung übernehmen

Leutkircher Bürgerbahnhof eG
Leutkircher Bürgerbahnhof eG

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Das bislang größte und erfolgreichste Bürgerprojekt war die Sanierung und Wiederbelebung des Leutkircher Bahnhofgebäudes im Jahr 2012. Das marode und teilweise baufällige, aber denkmalgeschützte Gebäude von 1889 war seit den 1970er-Jahren dem Verfall preisgegeben, weil die Deutsche Bahn keine Verwendung mehr dafür hatte. Das Bahnhofsgebäude und sein Umfeld wurden immer mehr zum Schandfleck der Stadt. Im Jahr 1997 kaufte die Stadt das Gebäude. Ein Architekten-Wettbewerb brachte nicht die erhoffte Nutzungsidee für die Zukunft, zudem war es um die städtischen Finanzen zu dieser Zeit nicht zum Besten bestellt. Der Gemeinderat Christian Skrodzki war angesichts dieser Situation zur Erkenntnis gekommen, dass die Bürgerschaft selbst die Verantwortung für ihren Bahnhof übernehmen sollte. Mit seiner Sanierungs- und Wiederbelebungsidee, den Bahnhof in die Verantwortung der Bürger zu geben, konnte er mehrere junge Gemeinderäte als Mitstreiter gewinnen. Aufgrund der positiven Erfahrungen im Rahmen seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Leutkircher Bank eG, heute Volksbank Allgäu-Oberschwaben eG, war die Basis von Skrodzkis Idee die Rettung des Bahnhofsgebäudes in Form einer Genossenschaft. Diese sollte von einer breiten Bürgerschaft getragen werden. Anfangs wurden die Initiatoren belächelt, weil sie als Ziel eine Million Euro an Bürgerkapital anstrebten. Doch bald zeigte sich, dass der Slogan „Bewahren Sie ein Stück Heimat. Gestalten Sie ein Stück Zukunft.“ den Nerv der Bevölkerung traf. Die 1.111 Genossenschaftsanteile à 1.000 Euro wurden innerhalb eines Jahres von mehr als 700 Bürgerinnen und Bürgern aus nah und fern gezeichnet  – auch dank der Mithilfe der damaligen Leutkircher Bank. Im Gebäude befinden sich heute ein großes Wirtshaus mit Hausbrauerei, Büroeinheiten für junge Unternehmen und ein Veranstaltungssaal im Dachgeschoss. Der Blick aufs Festgeldkonto mit mehreren Hunderttausend Euro Rücklagen zeigt den nachhaltigen Erfolg der Genossenschaft. Das oft als Leuchtturmprojekt betitelte Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet und war Vorbild für Bürgerbahnhöfe in verschiedenen Städten wie zum Beispiel Sulzfeld/Baden und Cuxhaven. 

Genossen genießen gemeinsam 

Beflügelt vom großen Erfolg des Bürgerbahnhofs gärte in Christian Skrodzki immer die Hoffnung, dass in der Zukunft ein weiteres Projekt auf Basis einer Bürgergenossenschaft initiiert werden könnte. Im Jahr 2018 war es soweit. Für ein brachgefallenes Brauereigebäude im kleinen Dorf Urlau bei Leutkirch konzipierte er mit seinen Mitstreitern das Konzept einer regionalen Markthalle mitten im Ortskern. Im Rahmen seiner Selbstständigkeit als Gastronom und Eventveranstalter war ihm aufgefallen, dass vielen Genuss- und Kunsthandwerkern sowie Landwirten eine weitere Vermarktungsmöglichkeit für ihre Produkte fehlte. Daraus entstand die Idee, in dem kleinen Dorf mit 700 Einwohnern auf vier Stockwerken eine Markt- und Manufakturenhalle zu initiieren. Zwar gewagt, aber angesichts der Tatsache, dass unweit von Urlau ein Ferienhaussiedlung eröffnet wurde, durchaus machbar. Die Bürgerschaft war wohl auch dank der erfolgreichen Bürgerbahnhof-Genossenschaft bereit, über 1,3 Mio. Euro in die neue Genossenschaft einzubringen, um die Idee zum Erfolg zu bringen. Fast 1.000 Bürger haben sich mit Anteilen à 1.000 Euro in die Genossenschaft eingebracht. Heute sind im Gebäude der Genossenschaft über ein Dutzend Mieter, wie zum Beispiel eine Brauerei, eine Brennerei, eine Kaffeerösterei, eine Bio-Ölmühle, ein Dorfladen mit Café, eine Goldschmiede, eine Töpferei und viele mehr angesiedelt. Rund 25.000 Besucher im Jahr und ein gut gefülltes Festgeldkonto zeigen auch bei diesem Projekt, dass Bürger gut und gerne Verantwortung für ihr Lebensumfeld übernehmen können und einer Sinn stiftenden Rendite zugeneigt sind. Die Genussmanufaktur strebt eine Dividende von 1,5 Prozent an, die nicht in Euro, sondern in Form von Genuss-Gutscheinen ausbezahlt wird. Weitere Genussmanufakturen nach Leutkircher Vorbild entstehen derzeit in Riedlingen und Reutlingen.

Aller guten Dinge sind drei – noch eine Genossenschaft?

Man könnte meinen, dass man das Glück nicht herausfordern sollte, aber die Leutkircher Mitmach-Bürger planen bereits die nächste Genossenschaft. Nummer drei soll dazu dienen, auf der Wilhelmshöhe über den Dächern der Stadt Leutkirch einen Aussichtsturm zu bauen und einen historischen Weinpavillon von 1891 zu restaurieren und wiederzubeleben – wieder mit der Macht des bürgerschaftlichen Engagements und in Form von Bürgergeld, das in eine zu gründende Genossenschaft eingebracht wird. In vielen Orten in Südwestdeutschland werden derzeit Aussichtstürme mit öffentlichen Geldern geplant und gebaut. Die Leutkircher Mitmacher legen bei ihrem Turm aber großen Wert darauf, dass die Bürger einen großen Teil der Investitionssumme selbst einbringen. Der Aussichtsturm soll wie die zwei anderen Mitmach-Genossenschaften zu einem Leuchtturm werden, der die Bürger daran erinnert, dass man gemeinsam mehr erreichen kann. „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele!“

Allgäuer Genussmanufaktur eG
Die Genussmanufaktur eG als Regionale Markthalle hat das alte Gebäude einer Brauerei in Urlau wieder zum Leben erweckt.
Leutkircher Bürgerbahnhof eG
Die Leutkircher Bürgerbahnhof eG bewahrt ein Stück Heimat.

 

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