In einem von Wetterextremen geprägten Jahr 2024 hat sich die genossenschaftliche Obst- und Gemüsewirtschaft in Baden-Württemberg hinsichtlich Ernte- und Vermarktungsmenge leicht besser behauptet als der Bundesdurchschnitt – auch wenn die Erzeugerinnen und Erzeuger im Südwesten ebenfalls teils schmerzhafte Einbußen aufgrund von Spätfrösten, Hagel und langanhaltender Nässe erlitten haben. Insgesamt 368.500 Tonnen Obst und Gemüse haben die genossenschaftlichen Erzeugermärkte inklusive ihrer Vertriebsgesellschaften im vergangenen Jahr vermarktet – 36.500 Tonnen oder neun Prozent weniger als im Jahr 2023. Der Gesamtumsatz ist um acht Millionen Euro oder 1,6 Prozent auf 480 Millionen Euro zurückgegangen. „Die wirtschaftliche Situation der Betriebe hat sich 2024 nicht verbessert. Neben den witterungsbedingten Herausforderungen belasten vor allem die unverändert hohen Betriebskosten die Branche“, betont Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV).
Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für einfache Arbeiten
Bei der Jahrespressekonferenz der baden-württembergischen Obst-, Gemüse- und Gartenbaugenossenschaften macht Theileis deutlich: „Die Kluft zwischen finanziellem Aufwand und Ertrag wird immer größer. Hohe Energiekosten, großer bürokratischer Aufwand und steigende Lohnnebenkosten machen den Erzeugerbetrieben und den Genossenschaften zu schaffen. Eine weitere Erhöhung des Mindestlohns würde die Situation noch einmal massiv verschärfen.“ Theileis fordert daher für die Landwirtschaft eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für einfache Arbeiten, die keine Ausbildung erfordern, und Saisonarbeitskräfte, die nur kurz in Deutschland leben. „Baden-Württemberg ist das Land der Sonderkulturen. Im Obst-, Gemüse-, Garten- und Weinbau machen die Lohnkosten aufgrund des hohen Anteils an händischen Arbeiten bis zu 60 Prozent der gesamten Produktionskosten aus. Dies muss die neue Bundesregierung berücksichtigen.“
Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund der bedeutend geringeren Lohnkosten in anderen europäischen sowie außereuropäischen Ländern. „Wenn Unternehmen aus anderen Ländern zu deutlich günstigeren Kosten produzieren können, ist dies ein echtes Problem – zumal deren Ware direkt mit Produkten unserer regionalen Erzeuger konkurriert“, so der BWGV-Präsident. Er stellt heraus: „Ohne faire Wettbewerbsbedingungen ist die Existenz vieler heimischer Betriebe gefährdet – mit allen Konsequenzen. Letztendlich droht ohne Level Playing Field eine weitere Verlagerung der Produktion ins Ausland. Deutschland würde von seinem ohnehin geringen Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse noch mehr einbüßen.“ Der BWGV-Präsident begrüßt daher explizit die Vorschläge von Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk, der sich für eine Ausnahmeregelung beim Mindestlohn für landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte ausgesprochen hat. Theileis mahnt generell eine Harmonisierung der Rahmenbedingungen auf EU-Ebene an, um fairen Wettbewerb sicherzustellen – inklusive eines spürbaren Abbaus von Bürokratie und Berichtspflichten.
Verfügbarkeit wirksamer Pflanzenschutzmittel muss gesichert sein
Außerdem bewertet der BWGV den weiteren Rückgang verfügbarer Pflanzenschutzmittel im Sonderkulturbereich kritisch. Seit Jahren verlieren immer mehr Pflanzenschutzmittel die Zulassung. Gleichzeitig werden aufgrund hoher Auflagen immer weniger neue Pflanzenschutzmittel neu zugelassen. Diese seien aber zwingen erforderlich, da nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels immer mehr neue Schaderreger aufkommen, für die keine Wirkstoffe zur Verfügung stehen. Beispiele sind Japankäfer, die Marmorierte Baumwanze und ganz aktuell auch die Schilf-Glasflügelzikade. Theileis: „Sowohl im Obst- als auch im Gemüsebau entstehen immer mehr Bekämpfungslücken. Dies führt nicht nur zu Ertragsminderung, sondern kann mitunter sogar einen Totalausfall der Ernte bedeuten. Nur noch über die Notfallzulassung einzelne Schaderreger zu behandeln, kann nicht der Weg sein.“
Pflanzen und damit Ernten bestmöglich zu schützen, sei mit Blick auf den Versorgungsauftrag der regionalen Land- und Ernährungswirtschaft eine wichtige Aufgabe. Gerade, wenn die Ernten aufgrund von Wetterextremen ohnehin geringer ausfallen. So haben die Erzeugerinnen und Erzeuger 2024 stark mit Spätfrösten im April, Hagel, Starkregen und langanhaltender Nässe zu kämpfen gehabt. Hinzu kommt, dass es im geschützten Unterglasanbau mitunter an ausreichend Sonneneinstrahlung gefehlt hat. „Die Schäden durch Unwetter und Frost waren regional unterschiedlich ausgeprägt. Manche Erdbeer- und Spargelfelder standen teilweise unter Wasser. Beim Stein- und Kernobst gab es mitunter massive Ausfälle durch Hagel und Frost. Unterm Strich ist die baden-württembergischen Obst- und Gemüsewirtschaft jedoch mit einem blauen Auge davongekommen“, fasst Theileis das Jahr zusammen. Bundesweit war die Obsternte 2024 die zweitschlechteste der vergangenen zehn Jahre.
251.000 Tonnen Obst und 118.000 Tonnen Gemüse vermarktet
Die genossenschaftlichen Erzeugermärkte haben vergangenes Jahr rund 251.000 Tonnen Obst vermarktet – zehn Prozent weniger als im Jahr zuvor (278.500 Tonnen). Die Umsätze reduzierten sich um 1,3 Prozent auf 228 Millionen Euro, berichtet der BWGV.
„Die Vermarktungssituation im Obstbereich war im ersten Halbjahr 2024 geprägt von guten, stabilen Absatzmärkten. „Bedingt durch die kleinere Ernte im Jahr 2023 waren die Lager gut geleert, sodass die Ernte im Jahr 2024 auf eine gute Nachfrage stieß“, erklärt Jürgen Nüssle, Geschäftsführer der Württembergische Obstgenossenschaft Raiffeisen (WOG). In Kombination mit dem nahezu kompletten Ernteausfall in Ostdeutschland und der kleineren Ernte in Norddeutschland führte dies zu einer guten Nachfrage nach Obst aus Baden-Württemberg im Herbst 2024. Hinzu kam: Der durch Unwetter und Pilzkrankheiten ausgelöste Mangel an Orangensaftkonzentrat führte zu einem deutlich höheren Preis für Mostobst im Herbst 2024. Schwächere Qualitäten konnten somit direkt der Verarbeitung (Apfelsaft) zugeführt werden, während die guten Qualitäten an den Verbraucher gingen. Nüssle: „Durch das zufriedenstellende Jahr 2024 darf man sich aber nicht blenden lassen: Die heimischen Erzeuger sind gegenüber den Wettbewerbern aus dem Ausland durch Personalkosten, Auflagen beim Anbau und Bürokratieerschwernissen deutlich benachteiligt. Hier müssen sich die Bedingungen grundsätzlich verbessern.“
Mengenrückgänge von rund 7 Prozent verzeichnet die genossenschaftliche Gemüsewirtschaft in Baden-Württemberg. Insgesamt wurden rund 118.000 Tonnen zur Vermarktung angeliefert, etwa 9.000 Tonnen weniger als ein Jahr zuvor. Der Umsatz sank um zwei Prozent auf 252 Millionen Euro.
Im Gemüsebereich war die Situation 2024 erneut von mehreren belastenden Faktoren geprägt. „Besonders hervorzuheben ist der zunehmende Wettbewerbsdruck durch preisgünstige Importware, der insbesondere in den Sommermonaten für starken Preisdruck gesorgt hat“, betont Johannes Bliestle, Geschäftsführer Reichenau-Gemüse. Trotz hoher Qualitätsstandards und großer Anstrengungen der Erzeugerinnen und Erzeuger habe dieser Wettbewerbsdruck in Verbindung mit witterungsbedingten Ertragseinbußen zu einem weiteren Mengenrückgang geführt. Der gesunkene Umsatz spiegelt diese Entwicklung wider. Die Witterungsverhältnisse – unter anderem Starkregen, Hagel und zeitweise Trockenheit – beeinträchtigten die Kulturen in entscheidenden Phasen und führten zu teils deutlichen Er-tragseinbußen.
Bliestle: „Insgesamt zeigt sich, dass der Gemüsebau in Baden-Württemberg unter schwierigen Rahmenbedingungen steht. Umso wichtiger ist es, die Wettbewerbsfähigkeit unserer regionalen Erzeugung weiter zu stärken – durch gezielte Förderung, faire Marktbedingungen und eine stärkere Wertschätzung regionaler Produkte durch Handel und Verbraucher.“
Genossenschaften vermarkten 146.000 Tonnen Äpfel
Die Vermarktung von Äpfeln aus Baden-Württemberg fiel im Jahr 2024 um 9,2 Prozent geringer aus als ein Jahr zuvor. Mit 146.000 Tonnen wurden 15.000 Tonnen weniger Äpfel vermarktet als 2023. Dies ist insbesondere der verhältnismäßig schwachen Apfelernte des Jahres 2023 geschuldet, da Äpfel bis in das Folgejahr vermarktet werden. Im Zuge des geringeren Angebots konnten dagegen bessere Preise erzielt werden. Der Umsatz der Genossenschaften erhöhte sich um 6,1 Prozent auf 93,6 Millionen Euro. „Dies war angesichts der Kostensteigerungen und der schwachen Vorjahre auch ungemein wichtig. In den vergangenen Jahren haben sich viele Erzeugerinnen und Erzeuger aufgrund der wirtschaftlich prekären Situation zurückgezogen“, so Theileis.
Positiv fällt die Prognose für das Vermarktungsjahr 2025 aus: Die Apfelbauern aus dem Südwesten haben 2024 mit 395.000 Tonnen rund 82.000 Tonnen mehr geerntet als 2023 – ein Plus von 26 Prozent. Bundesweit hingegen ist die Apfelernte vor allem aufgrund der Frostschäden im April um 69.000 Tonnen geringer ausgefallen. Insgesamt wurden in Deutschland 872.000 Tonnen Äpfel geerntet – ein Minus von 7,4 Prozent.
Im Zuge dessen erhöht sich der Anteil baden-württembergischer Äpfel an der gesamten deutschen Erntemenge in Deutschland auf 45 Prozent gegenüber 33 Prozent im Vorjahr. Theileis: „Dass die Verbraucherinnen und Verbraucher dieses Jahr auf ausreichend heimische Äpfel setzen können, liegt zu einem großen Teil an Baden-Württemberg. Nahezu jeder zweite deutsche Apfel im Lebensmittelhandel stammt dieses Jahr aus dem Süd-westen.“
11 Prozent weniger Zwetschgenmenge
Rückläufige Vermarktungsmengen sind bei den Zwetschgen zu verzeichnen: Sie fiel um 11 Prozent niedriger aus und betrug 2024 rund 11.000 Ton-nen (Vorjahr: 12.400 Tonnen). Auch der Umsatz brach ein: Er reduziert sich um 14 Prozent von 9,5 Millionen Euro auf 8,2 Millionen Euro. Der Kilopreis sank von 0,77 Euro auf 0,74 Euro.
Erdbeeren: Geschützter Anbau hat sich stabilisierend ausgewirkt
Durchschnittliche Menge, stark reduzierter Umsatz: So lässt sich die genossenschaftliche Erdbeersaison 2024 zusammenfassen. Trotz einer zu feuchten Witterung mit Starkregenereignissen und teilweise überschwemmten Feldern ist die Vermarktungsmenge um 3,1 Prozent auf 7.300 Tonnen angestiegen. Insbesondere der geschützte Anbau im Folientunnel oder Gewächshaus hat sich stabilisierend ausgewirkt. Der Umsatz ist hingegen um rund drei Millionen Euro oder 11,6 Prozent auf 23,7 Millionen Euro gesunken. Durchschnittlich 3,26 Euro erzielten die Erzeugermärkte vergangenes Jahr pro Kilogramm Erdbeeren – das sind 14,2 Prozent weniger als im Jahr zuvor als ein Kilopreis von 3,80 erzielt werden konnte. Geschmacklich waren die Erdbeeren im Jahr 2024 sehr gut. Aufgrund der langsameren Reife aufgrund niedrigerer Temperaturen haben sie viel Aroma bekommen.
Mit Blick auf die bevorstehende Saison sind die Erzeuger zum aktuellen Stand positiv gestimmt. Die Kälte im Winter und ausreichend Bodenfeuchte bieten gute Grundvoraussetzungen für ein gesundes Wachstum. Dies gilt auch für den Spargel.
Spargel: Mehr Menge, höhere Erlöse
Die Spargelsaison 2024 verlief erfreulich: Mit knapp 4.900 Tonnen haben die Genossenschaften rund 700 Tonnen oder 17,2 Prozent mehr vermarktet als ein Jahr zuvor. Der durchschnittliche Kilopreis lag 2024 mit 6,28 Euro höher als im Vorjahr (5,63 Euro), in Summe erhöhte sich der Gesamtumsatz um 30,1 Prozent auf 30,5 Millionen Euro (Vorjahr: 23,3 Millionen Euro). „Gerade zum Saisonende konnten die Erzeuger noch einmal gute Preise erzielen, da aufgrund der kalten Temperaturen im Juni ein reduziertes Angebot auf eine hohe Nachfrage traf“, erklärt Theileis.
Umsatz Gartenbaugenossenschaften auf Vorjahresniveau
Die Gartenbaugenossenschaften in Baden-Württemberg spüren ein nach wie vor zurückhaltendes Käuferverhalten. Die Verbraucher haben 2024 eher zu langlebigeren Pflanzen wie Stauden oder grünen Zimmerpflanzen gegriffen und dafür weniger Schnittblumen gekauft. Der Umsatz lag mit 30,4 Mil-lionen Euro leicht über Vorjahresniveau (30,1 Millionen Euro).
Theileis: Vorfahrt für regionale Produkte
„Auch wenn sich die Inflation im Jahresverlauf 2024 etwas abgeschwächt hat, so ist nach wie vor eine generelle, hohe Verunsicherung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu spüren“, betont der BWGV-Präsident. Daher plädiert er dafür, die im Strategiedialog Landwirtschaft erarbeiteten konkreten Maßnahmen und Ziele zum langfristigen Erhalt der Landwirt-schaft in Baden-Württemberg konsequent zu verfolgen: „Beim Strategiedialog ist es gelungen, dass sich alle relevanten Stakeholder über einen Gesellschaftsvertrag klar zur heimischen Landwirtschaft bekennen. Das beinhaltet: Vorfahrt für regionale Produkte.“ Das produktübergreifende Siegel „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“ biete hierbei Verbraucherinnen und Verbrauchern eine schnelle und einfache Informationshilfe beim Einkauf. „Unsere heimische Landwirtschaft produziert unter höchsten Standards hochwertige und bezahlbare Lebensmittel. Gerade in einem von Wetterextremen gekennzeichneten Jahr 2024 zeigt sich, mit welch hoher Professionalität und enormem Einsatz die Erzeuger ihrem Versorgungsauftrag nachkommen. Es muss in unser aller Interesse sein, dass ihre Arbeit auskömmlich ist und die Betriebe Perspektive und Zukunft haben“, so Theileis.