Siegmund Ganser begrüßt in einem Besprechungszimmer des Rathauses. An der Wand hängen viele Baupläne. Der Besucher merkt: Man hat hier einiges vor. Der größte Plan an der Pinnwand trägt die Überschrift „Präventions- und Nachsorgezentrum“. Farbig gekennzeichnet sind die vier Gebäudekomplexe, deren Bau nun beginnen soll, „spätestens aber im Frühjahr 2023“. Hülbens Bürgermeister zeigt zu einem auf dem Plan gelb markierten Gebäude. Es ist beschriftet mit „Medizinisches Versorgungszentrum, 2 Vollgeschosse, bebaute Fläche ca. 390 Quadratmeter“. „Hierhin wird das MVZ Vordere Alb, kurz MED-VA umziehen, wird integraler Bestandteil des Gesundheitszentrums mit Tages- und Kurzzeitpflege“, erläutert Siegmund Ganser.
Medizinisches Versorgungszentrum als Genossenschaft
Er muss es wissen, ist der Hülbener Rathauschef doch Vorstandsvorsitzender der vor einem guten Jahr gegründeten MED-VA eG, die momentan noch am südlichen Ortsrand Hülbens in der ehemaligen Hausarztpraxis der Doktoren Angelika und Karl-Heinz Schönleber residiert. Karl-Heinz Schönleber ist im Frühjahr 2022 in den Ruhestand gewechselt, seine Frau Angelika praktiziert weiterhin, nun aber als Teil einer Genossenschaft, die weitere zwei Ärztinnen und zehn medizinische Fachangestellte beschäftigt. Die Besonderheit dieser Kooperative: Die Mitglieder sind ausschließlich Kommunen. Neben Hülben sind dies die beiden Nachbargemeinden Grabenstetten und Erkenbrechtsweiler. Drei Mitglieder genügen für eine Genossenschaftsgründung. „Meine beiden Bürgermeister-Kollegen Roland Deh aus Grabenstetten und Roman Weiß aus Erkenbrechtsweiler und ich zogen und ziehen an einem Strang“, er zählt Siegmund Ganser von den gut zwei Jahren Planungszeit. Geschäftsführer der MED-VA eG ist Dr. Martin Felger von der Beratungsfirma Diomedes, welche 2019 im Landkreis Calw das erste Medizinische Versorgungszentrum in Baden-Württemberg auf Basis einer Genossenschaft initiiert hatte.
In Hülben und den Nachbargemeinden ist es nicht anders wie vielerorts: Die hausärztliche Versorgung vor allem im ländlichen Raum ist gefährdet. Viele Ärztinnen und Ärzte erreichen die Altersgrenze und finden keine Nachfolge. Junge Ärztinnen und Ärzte wollen mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit geregelten Arbeitszeiten, definiertem Urlaubsanspruch, Teilzeit-Möglichkeiten, Entlastung von bürokratischen Aufgaben und kein finanzielles Risiko, das eine Selbstständigkeit mit sich bringt. Alles dies können sie als angestellte Ärzte haben. Die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft bietet dafür eine ideale Plattform. „Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten: GmbH oder eG“, sagt Bürgermeister Ganser. „Da ich in der Vergangenheit bereits zwei funktionierende Genossenschaften auf den Weg gebracht habe, waren die Hülbener leicht davon zu überzeugen, dass unsere hausärztliche Versorgung als eG Sinn macht.“
Dorfladen als Genossenschaft
In der Vergangenheit bereits zwei Genossenschaften gegründet? Der Bürgermeister zeigt aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite. „Wir gehen die paar Schritte hinüber zu unserem Dorfladen“, schlägt er vor. Das Geschäft ist gut besucht. In den Regalen ist alles zu finden, was man tagtäglich braucht. Viele Produkte aus der Region. Die Theke mit den Backwaren ist groß, frisches Obst und Gemüse gibt es reichlich. Gleich neben dem Eingang steht ein Bücherregal. „Hier in unserem 2016 eröffnetem genossenschaftlichen Dorfladen können Sie auch Bücher bestellen“, sagt Siegmund Ganser. Weiter hinten ist auch gut Betrieb. Die Hülbener geben dort ihre Päckchen und Pakete auf. Im Dorfladen ist auch eine Filiale der Deutschen Post AG untergebracht.
Bürgermeister Ganser nimmt den Besucher mit nach hinten ins Büro. Corinna Kroh macht gerade Buchhaltung. Sie ist eine von drei Vorständinnen der Hülbener Dorfladen eG, Siegmund Ganser ist Vorsitzender des Aufsichtsrats. Unsere neueste nachhaltige Errungenschaft ist ein Regal mit unverpackten Lebensmitteln“, sagt Corinna Kroh. Die Pegelstände der großen Glasbehälter mit unverpacktem Kaffee sind bereits ziemlich tief. „Unser genossenschaftlicher Dorfladen braucht einen Jahresumsatz von 400.000 Euro. Wir schaffen ein knappes Plus“, sagt Siegmund Ganser. Und ergänzt „Der Dorfladen ist im Dorf auch ein sozialer Treffpunkt.“ „Luft nach oben“ sieht der Rathauschef bei der 2010 gegründeten örtlichen Energiegenossenschaft. Die Bürgerenergiegenossenschaft Vordere Alb eG betreibt zwei Photovoltaik-Anlagen und ist an einem Onshore Windpark beteiligt. „Meine Idee wäre: Freiflächen-Photovoltaik. Wir wollen aber nicht zu groß werden, sonst müssten wir eine hauptamtliche Geschäftsführung anstellen“, sagt Siegmund Ganser auf dem Rückweg vom Dorfladen ins Rathaus.
Genossenschaft: passgenau für interkommunale Zusammenarbeit
Hier zählt der Bürgermeister auf, warum er die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft so sehr schätzt. „Die Genossenschaft ist ein positives Konstrukt, weil die Erträge in der Genossenschaft bleiben. Die MED-VA eG beispielsweise trägt sich selbst. Ortsfremde und rein auf Rendite gepolte Investoren bleiben außen vor“, argumentiert Ganser. In Sachen interkommunale Zusammenarbeit sei die Rechtsform eG wie dafür gemacht, schwärmt der Rathauschef, der beim Abschied noch schmunzelnd erwähnt, dass er in Hülben gerne noch weitere Genossenschaften etablieren möchte. „Unsere vielen Bauvorhaben würde ich gerne in einer Baugenossenschaft bündeln, um unsere Projekte noch besser umzusetzen“, sagt der Bürgermeister. Man glaubt es ihm aufs Wort.
Geplantes PORT-Gesundheitszentrum Hülben
Mitten im Ort, gleich neben dem Seniorenheim, ist eine große Brache. Dort sollen bald die Bagger anrücken. 2024 möchte an Ort und Stelle ein großes und vom Landratsamt Reutlingen unterstütztes sogenanntes PORT-Gesundheitszentrum für die Region in Betrieb sein, deren integraler Bestandteil das im Frühjahr 2022 gegründete Medizinische Versorgungszentrum Vordere Alb eG, kurz MED-VA eG, wird. PORT steht für Patientenorientiertes Zentrum für Primär- und Langzeitversorgung. Solche Einrichtungen unterstützt die Robert-Bosch-Stiftung finanziell. So auch hier. In Hülben baut ein privater Investor. Mit rund 15 Millionen Euro ist das Gesamtprojekt veranschlagt. Ein Ensemble von vier Gebäuden mit einer bebauten Gesamtfläche von knapp 3.000 Quadratmetern soll entstehen. In eines der Gebäude wird die MED-VA eG einziehen. Die anderen drei Häuser sind für Tagespflege, Kurzzeitpflege und für ein Präventionszentrum vorgesehen. Hülbens Bürgermeister Siegmund Ganser sagt. „Senioren stehen zwar im Fokus, wir verfolgen aber einen ganzheitlichen Ansatz, quasi von der Wiege bis zur Bahre.“
Bebaute Gesamtfläche: 2.823 Quadratmeter davon
- Kurzzeitpflege: 870 Quadratmeter
- Tagespflege: 560 Quadratmeter
- Präventionszentrum: 745 Quadratmeter
- Medizinisches Versorgungszentrum: 390 Quadratmeter
- 2 Verbindungsgebäude: 158 Quadratmeter