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Haltung als ein Wettbewerbsvorteil

Bewerbungen ändern sich immer mehr
Die RegionalAkademien/ADG

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Kleine und mittelständische Unternehmen, die heute noch per Zeitungsannonce oder auf Jobportalen um die wenigen Bewerber konkurrieren, haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Chancen liegen woanders: So habe ich kürzlich in Hamburg den Mitarbeiter einer Personalagentur kennengelernt, die dabei hilft, offene Stellen zu besetzen. Ich äußerte die Vermutung, dass es sicher schwierig sei, in Zeiten des Fachkräftemangels geeignete Personen zu finden. „Ach“, sagte er, „wir finden eigentlich immer jemanden. Im Gegensatz zu früher suchen wir nur erst einmal intern.“

Interne Personalentwicklung ist die eine Möglichkeit, die andere ist, das Unternehmen so aufzustellen, dass eine Neuausrichtung tatsächlich in die Arbeitgebermarke einzahlt, dann kommen die Bewerbungen von ganz allein. Gewagte These? Schauen wir es uns genauer an:

Die demografische Entwicklung wird künftig noch mehr dafür sorgen, dass sich die Arbeitgeber bei den Bewerbern bewerben, nicht andersherum. Finanzielle Anreize werden in diesem Wettbewerb weiterhin eine Rolle spielen, aber nicht die zentrale, das zeigen alle Erfahrungen mit der Arbeitnehmergeneration Y und alle Befragungen der Generation Z, die nun nach und nach dabei ist, ins Berufsleben einzusteigen.

Selbstbestimmtheit, Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung werden in diesen Generationen nicht nur grammatikalisch groß geschrieben, sondern sind feste Größen im Leben, Ziele die nicht verhandelbar sind. Gutes Betriebsklima wird jedoch nicht ausreichen, um diese Generationen auf sich aufmerksam zu machen. Denn für die Millennials und Post-Millennials, wie sie auch genannt werden, haben die Themen Klimaschutz und gelebte Nachhaltigkeit massiv an Bedeutung gewonnen. Dies attestierte schon die Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2019. Die Pandemie und die aktuellen Probleme, die durch Rohstoffabhängigkeiten entstehen, haben diesen Trend (nicht nur) bei den Jüngeren nochmals verstärkt.

Gut, dann braucht es eben ein bisschen gutes Betriebsklima und eine klimaneutrale Bilanz, um das Arbeitgeber-Image zu stärken. Das kann ja nicht so schwer sein, sollte man denken, sind doch viele Unternehmen bereits klimaneutral, damit ist doch das Soll erfüllt. Ich muss Sie enttäuschen, das wird nicht reichen, denn die Latte liegt höher.

Von Inhaltsstoffen bis zur Bepflanzung

Machen wir es an einem Beispiel fest: Die fiktive Karla (25 Jahre) hat nach ihrem Studium die Wahl zwischen einem Arbeitgeber „A“, dessen Marketingabteilung selbstbewusst Klimaneutralität verkauft, die allerdings auf Kompensationszahlungen beruht. Und einem Arbeitgeber „B“, der das Know-how seiner gesamten Belegschaft nutzt, um seine Prozesse für eine ressourcenschonende Produktion zu optimieren, der vielleicht sogar Teile seines Portfolios auf nachhaltige Produkte umgestellt hat. Vielleicht ist „B“ noch nicht vollständig klimaneutral, aber er hat verstanden, dass es mehr benötigt, als ein paar Euros pro verursachter Tonne CO2 zu überweisen, um der Verantwortung als Unternehmer gerecht zu werden. Man muss kein Prophet sein, um ziemlich sicher vorhersagen zu können, für wen sich Karla entscheidet.

Für „B“ stehen Mittelständler wie Ritter Sport, Vaude oder die Neumarkter Lammsbräu. Alle drei Unternehmen zeichnet aus, dass jede Entscheidung nach ihrer Auswirkung auf Umwelt und Gesellschaft hinterfragt wird. Das fängt bei den Inhaltsstoffen der Lebensmittel oder den Bestandteilen der Textilien an und hört bei der biodiversitären Bepflanzung der Firmen-Außenanlage noch lange nicht auf. Alle drei Familienbetriebe haben gemeinsam, dass sie sich beständig verbessern wollen. Hierzu werden interdisziplinäre Teams gebildet, die ihr Wissen zusammenlegen, um Prozesse zu verbessern, so entsteht vernetztes Denken. Diese drei Unternehmen sind Vorreiter, sie sind, wie auch die Drogeriemarktkette dm, nicht nur nachhaltig agierende Unternehmen, sondern stehen vielmehr an der Schwelle zum politisch handelnden Akteur. Zwei Beispiele: Die Führung von Vaude setzte sich vehement für die Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ein und die von dm für die Einführung des Grundeinkommens.

Das Konkurrieren der Konkurrenz überlassen

Diese Form der Unternehmensführung hat zum Ziel, eine dauerhafte Balance ökonomischer, ökologischer und sozialer Interessen herzustellen. Dafür benötigt es ein erhebliches Maß an innerer Haltung. Und Mut. Zumal Alfred Ritter, Dr. Antje von Dewitz, Johannes Ehrnsperger und Götz Werner allesamt ihrer Zeit voraus und häufig von Zweiflern umgeben waren. Denn natürlich verursacht diese Art des Wirtschaftens auch Kosten, doch haben alle den Beweis angetreten, dass Nachhaltigkeit profitabel sein kann. Die Unternehmenslenker aus unseren Beispielen haben einen neuen Führungsstil mitbegründet, den der nachhaltigen Führung, auch Sustainable Leadership genannt. 

Doch nicht nur diese prominenten Beispiele zeigen, wie es gehen kann: Auch ein mittelständischer Hersteller von Arbeitsbekleidung im Landkreis Schwäbisch Hall weiß, wie nachhaltige Führung geht und erhält regelmäßig Initiativbewerbungen. Auch in Zeiten des Fachkräftemangels. Das liegt daran, dass die Unternehmensleitung für ihre Zugewandtheit, ihre Bereitschaft zur Förderung und ihr Zutrauen gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie für den traditionellen Freitagsbrunch weit über den Landkreis hinweg bekannt ist. Das Wissen um die interne Förderung, die gute Betriebskultur und die positive Stimmung im Team sorgen dafür, dass das Konkurrieren um Fachkräfte der Konkurrenz überlassen bleibt. Und bei externen Neueinstellungen wird weniger darauf geachtet, welche Abschlüsse jemand mitbringt, sondern ob er oder sie für eine Sache brennt. Und zu guter Letzt spielt Nachhaltigkeit in diesem Unternehmen natürlich auch eine wichtige Rolle ohne gleich an Gesetzesvorgaben mitzuwirken.

Heute ist nachhaltige Führung das A und O, um im Wettbewerb bestehen zu können. Denn der Druck des Staates und der Gesellschaft, nachhaltig zu handeln, wird größer. Sogar große Investmentgesellschaften, wie etwa Blackrock, kündigen an, dass Unternehmen, die keinen positiven Beitrag im Hinblick auf Umwelt- und Sozialfragen leisten, künftig aus den Portfolios verschwinden werden. Wirtschaften auf Kosten der nachfolgenden Generationen ist auch Investoren nicht mehr vermittelbar.

Geldgeber machen also Druck, aber auch die Europäische Union zog und zieht die Daumenschrauben an: Bereits 2014 verabschiedete sie die Non-Financial Reporting Directive, die nach ihrer Umsetzung in das deutsche CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz rund 550 große Unternehmen dazu verpflichtete, über ihre Geschäftstätigkeit im Hinblick auf Umwelt- und Sozialstandards zu berichten. Die neue CSRD (Corporate Sustainable Reporting Directive), die für bereits berichtpflichtige Unternehmen erstmals für das Geschäftsjahr 2024 gilt (für die anderen in Abstufung ab 2025 und 2026) wird nun etwa 15.000 deutsche Unternehmen betreffen, die wiederum ihre Lieferanten in die Pflicht nehmen werden, über ihre Geschäftspraktiken Auskunft zu geben. Dadurch entsteht eine indirekte Berichtspflicht. Auch die europäische Taxonomie-Verordnung, die dafür sorgt, dass Banken bei ihrer Kreditvergabe Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen müssen, und das deutsche Lieferkettengesetz, das am 1. Januar in Kraft getreten ist, werden bewirken, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung bei kleinen und mittleren Unternehmen ankommt. Gut kommt sie jedoch nicht bei allen an. Interessenverbände aller Art warnen natürlich vor einer Überbürokratisierung des Mittelstands, der eh schon vom Fachkräftemangel geplagt sei. Diese Warnungen sind sicher nicht unbegründet.

Nachhaltigkeit muss in Entscheidungen übersetzt werden

Andererseits liegt im Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine Chance, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) für sich nutzen können. Als Instrument bietet sich für sie der DNK (Deutscher Nachhaltigkeitskodex) an, dabei handelt es sich um einen kostenfreien Berichtsstandard, der im Auftrag des Rats für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung entwickelt wurde. Der DNK gibt Methoden, wie die Stakeholder-Analyse (eine intensive Auseinandersetzung mit den Anspruchsgruppen) an die Hand und bietet somit nicht nur die Möglichkeit, sich mit der eigenen unternehmerischen Nachhaltigkeitsleistung auseinanderzusetzen, sondern dient ebenso der Identifizierung von Zukunftsthemen und damit der strategischen Weiterentwicklung. Und diese ist notwendig, um in der Transformation zu bestehen.

Da Strategieentwicklung Leitungsaufgabe ist, ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dass der ernsthafte und nicht feigenblattartige Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung von der Unternehmensleitung gewollt, unterstützt und mitgetragen wird. Denn die Ergebnisse, die am Ende des Prozesses stehen, werden zwingend dazu führen, dass Nachhaltigkeit im eigenen Betrieb in Handlungen und Entscheidungen übersetzt werden muss.

Damit diese Entscheidungen von der Mitarbeiterschaft akzeptiert und mitgetragen werden, ist mehr als bloße Autorität notwendig. Überhaupt ist dieses traditionelle Führungsverständnis aufgrund veränderter Werte der jüngeren Generationen und neuer Prinzipien der Zusammenarbeit überholt und hat an Wirksamkeit eingebüßt. Denn Menschen folgen nicht mehr Ansagen, sie folgen einer Führungskraft, die Haltung zeigt. Und sie dazu inspiriert, die eigene Haltung zu hinterfragen. Und damit sind wir beim Kern nachhaltiger Führung: Sie zeigt Haltung. Sie richtet ihr gesamtes Handeln danach aus, die Balance aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verantwortung zu gewährleisten. Und sie stellt die Sinnfrage: Welchen Beitrag leiste ich mit meinen Entscheidungen für das Gemeinwohl? Welchen Beitrag leistet meine Organisation für ein gutes Zusammenleben in meiner Region, in meinem Land, auf unserem Planeten? Mit dieser Auseinandersetzung sinnvollen Handelns beginnt auch eine Reise, nämlich die vom Ich zum Wir.

Ein schönes Beispiel für diese Haltung bot die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar: Tagelang berichteten westliche Medien voller Be- und Verwunderung über japanische Fans, die sich nach dem Spiel nicht direkt auf die Partymeile stürzten, sondern zuerst einmal ihren Block im Stadion aufräumten. Auf die Frage, warum sie das machen, antwortete ein Fan schlicht: „It’s culture.“

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