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Günstiger rechtlicher Rahmen für Gründung von Ärzte-Genossenschaften

Ärztegenossenschaft BW
Screenshot BWGV

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Der BWGV ist im Bereich der ärztlichen Versorgung stark engagiert. So sind im Verband derzeit 19 Ärzte-Genossenschaften in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern aktiv. Die innovativen genossenschaftlichen Modelle im medizinischen Bereich sind vielfältig und reichen von gemeinsam genutzten Räumlichkeiten über Gemeinschaftspraxen bis zur kooperativen Notarztversorgung.

Um ein attraktives Arbeitsumfeld für junge Ärztinnen und Ärzte sowie Anreize für eine Niederlassung in einem ländlichen Gebiet zu schaffen, sollen attraktive Rahmenbedingungen sichergestellt werden. Hier bietet das genossenschaftliche Hausarztmodell zukunftsträchtige Lösungsmöglichkeiten. Dort können die Medizinerinnen und Mediziner in Anstellung arbeiten – was familienfreundliche Arbeitsplätze in Voll- oder Teilzeit ermöglicht – und zudem werden die Ärzte von bürokratischen Aufgaben entlastet, die von kaufmännischen Angestellten der Genossenschaft erledigt werden. 

Besondere rechtliche Rahmenbedingungen

Medizinische Versorgungszentren (MZV) können von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern, von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen, von anerkannten Praxisnetzen, von gemeinnützigen Trägern, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder von Kommunen gegründet werden. Die Gründung eines MZV ist nur in der Rechtsform einer Personengesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haf-tung, in einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform oder auch in Form einer eingetragenen Genossenschaft möglich.

In den vergangenen Jahren hat die Gründung eines MVZ in der Rechtsform einer eG immer mehr an Attraktivität sowohl für langjährig praktizierende als auch für junge Ärzte gewonnen.

Zunächst gab es noch eine größere rechtliche Herausforderung zu klären. Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz vertrat die Auffassung, in der Gesetzgebung wäre eine Regelungslücke vorhanden. Bei einer Genossenschaft hätten der/die Gründer (mindesten drei Mitglieder) schriftlich – analog wie bei einer GmbH – zusätzlich noch eine persönliche Vermögenshaftung auslösende selbstschuldnerische Bürgschaft in unbegrenzter Höhe zu erklären, um mögliche Regresse1  von Kassenärztlichen Vereinigungen/ Krankenkassen zu bezahlen. Die Rückforderung kann mehrere hunderttausend Euro umfassen und wird deshalb als ein besonderes Haftungsrisiko bei einer Arztpraxis und deren Betrieb gesehen. 

Bundesgesundheitsministerium stellte Ampel auf Grün

Der entscheidende Impuls zur Lösung dieses Problems kam im Juli 2018 aus dem Bundesgesundheitsministerium. Die Beamten des Ministeriums teilten auf Anfrage des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums mit, dass Arztpraxen in der Rechtsform einer Genossenschaft ein Selbsthilfeinstrument seien, und dass auf besondere zusätzliche Haftungselemente der Gründer verzichtet werden kann.

Die Regelung ist nicht nur für die Ärzte als Privatpersonen von Bedeutung, sondern auch für Kommunen von besonderer Relevanz. Denn bei einer Firmierung in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) oder einer GmbH waren Kommunen bisher bei dem Vorhaben der Gründung und dem Betreiben insbesondere von Hausarztpraxen im ländlichen und sozial schwachen Ballungsraum oft auf Bedenken oder Ablehnung der Aufsichtsbehörden gestoßen. Denn in diesen Fällen liegt eine unbegrenzte Haftung vor und somit sind bei diesen freiwillig erbachten Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge die Haftungsrisiken schwer abschätzbar.

Somit wurde dem Genossenschaftsmodell im Gesundheitsbereich eine große Chance gegeben. Auch im Hinblick darauf, dass unter dieser Betreiberform nicht nur Ärzte, sondern auch Krankenhäuser und zugelassene Wohlfahrtsverbände sowie Kommunen als Genossenschaftspraxis-Gründer auftreten können.

Innovative genossenschaftliche Modelle im medizinischen Bereich

Von Praxisräumlichkeiten, die von Ärztinnen und Ärzten in Voll- oder Teilzeit genutzt werden können, über genossenschaftliche medizinische Versorgungszentren (MVZ), die Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit bieten, angestellt und in Teilzeit tätig zu sein sowie den bürokratischen Aufwand zu reduzieren, bis zur genossenschaftlichen Notarztversorgung gibt es zahlreiche erfolgreiche Geschäftsmodelle. 

Die qualitativ hochwertige, flächendeckende und ortsnahe medizinische Versorgung ist ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit von Städten und Gemeinden. Der BWGV setzt sich dafür ein, die Grundlagen zu schaffen, um diese Versorgungsleistungen aufrechtzuerhalten beziehungsweise wieder zu etablieren und damit die ärztliche Versorgung – insbesondere im ländlichen Raum – auch in Zukunft zu sichern.

Dazu zählt natürlich im Besonderen auch der Pflegesektor. Im Fokus steht dabei unter anderem die Schaffung von Rahmenbedingungen, die es Pflegebedürftigen ermöglichen, im gewohnten sozialen Umfeld zu verbleiben. Dafür sind passgenaue Angebote unabhängig vom Wohnort, Entlastung der pflegenden Angehörigen, eine finanzierbare Pflege sowie natürlich ausreichend geschultes Fachpersonal Grundvoraussetzungen, die mit Hilfe genossenschaftlicher Strukturen geschaffen werden können. Eine Pflegegenossenschaft kann – ähnlich den erwähnten medizinischen Versorgungszentren – Träger der Einrichtungen sein und somit den Betrieb der ambulanten Pflegedienste und Pflegeheime, Schulungen für pflegende Angehörige, Verwaltung und kaufmännische Tätigkeiten sowie die Instandhaltung der benötigten Immobilien (Pflegeheime, Wohngemeinschaften) und vor allem die Realisierung von Arbeitszeiten, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erleichtern, realisieren. 

1 Zurückforderungen aufgrund von Arztregressen entstehen, wenn nicht wirtschaftliche Medikamente verordnet werden, mehr Hausbesuche als der Durchschnitt gemacht werden, falsche Abrechnungspositionen ausgewählt werden.

Mednos eG und Med-Va eG 

Im Nordschwarzwald und auf der Vorderen Alb sind Medizinische Versorgungszenten in der Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft tätig. Im Landkreis Calw gründete sich im Oktober 2019 die erste Genossenschaft in Baden-Württemberg zum Betrieb von Hausarztpraxen: die Mednos eG. Sie unterhält Arztpraxen als Medizinische Versorgungszentren in Calw und in Ostelsheim (Landkreis Calw) mit angestellten Medizinern.

Die bisher jüngste Gründung: Die drei benachbarten Kommunen Hülben, Grabenstetten (beide Landkreis Reutlingen) und Erkenbrechtsweiler (Landkreis Esslingen) haben die Vorteile einer genossenschaftlich organisierten medizinischen Versorgung ihrer Bürger erkannt und im August 2021 die Med-Va eG, was für Medizinische Versorgung Vordere Alb steht, aus der Taufe gehoben. Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft ist Hülbens Bürgermeister Siegmund Ganser.

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