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Genossenschaftliche Praxis und Forschungseinrichtungen entwickeln gemeinsam Projektideen weiter

Förderprogramm EIP-Agri
Gunter Endres

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Als Marktteilnehmer in ihren jeweiligen Branchen stehen die ländlichen Genossenschaften in Baden-Württemberg vor dem Hintergrund eines schwierigen Marktumfelds in einem ständigen Wettbewerb. Mitentscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sind regelmäßige Innovationen in Produktion, Verarbeitungstechnik und Vermarktung der Produkte. Viele Verbesserungsideen kommen aus dem Kreis der Mitglieder und deren Mitarbeitenden. Um deren Praxistauglichkeit zu testen, braucht es häufig die Bereitschaft der Wissenschaft, diese Ideen aufzunehmen, zu erforschen, weiterzuentwickeln und letztlich Handlungsempfehlungen für die Praxis auszusprechen.

Europäische Innovations-Partnerschaften für Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit

Das Förderprogramm EIP-Agri der Europäischen Union greift Problemstellungen aus der Praxis auf, um sie wissenschaftlich zu bearbeiten. EIP-Agri ist die Abkürzung für „Europäische Innovations-Partnerschaften für Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“. Landwirtschaft und Forschung sollen durch EIP besser verzahnt werden, um Innovationen schneller in die Praxis zu bringen. Ziel von EIP-Agri ist es, die landwirtschaftliche Produktion bei geringerem Ressourcenverbrauch zu steigern und dadurch nachhaltiger zu machen. Die EIP-Förderung ist ein Vorhaben aus dem Maßnahmen- und Entwicklungsplan Ländlicher Raum Baden-Württemberg (MEPL III).

Die im Bereich der ländlichen Genossenschaften aktiven Beraterinnen und Berater des BWGV nehmen im engen Kontakt mit den Mitgliedsgenossenschaften ständig auf, „wo der Schuh drückt“ und wo sich Entwicklungspotenziale auftun. Gemeinsam mit den betreffenden Genossenschaften wurden in den vergangenen Jahren insgesamt sechs Forschungsprojektideen initiiert. Über alle Projekte hinweg sind über 30 Genossenschaften aus Baden-Württemberg, mehrere berufsständische Verbände, weitere Branchenteilnehmer, wissenschaftliche Partner sowie der BWGV als Leadpartner der Projekte beteiligt.

Der Dreh- und Angelpunkt der EIP-Projekte sind die Sitzungen der sogenannten operationellen Gruppen (kurz OPG). Hier werden regelmäßig die Erfahrungen aus der Praxis mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Zwischenergebnissen abgeglichen und die weiteren Leitplanken für die Forschungsarbeit festgelegt. Der enge Kontakt zwischen Wissenschaft und Praxis wird hierbei von beiden Seiten als sehr gewinnbringend wahrgenommen. Der BWGV übernimmt hierbei die Koordination der Projekte.

EIP-Agri NIRS

Mittlerweile abgeschlossen ist das EIP-Agri-Projekt NIRS, das sich mit der Echtzeitbestimmung von Reife- und Qualitätsparametern bei der Traubenannahme befasst hat. In dem über vier Jahre andauernden Projekt wurde eine Kalibrierung entwickelt, die den Betrieb eines Nahinfrarot-Sensors zur Untersuchung von Traubenmaischen in Echtzeit im laufenden Prozess ermöglicht. Basierend auf den bisherigen Ergebnissen konnte ein Qualitätsindex („LVWO-Index“) erarbeitet werden, der mittels Algorithmus aus den Einzelwerten der Parameter Ergosterin, Essigsäure, Gluconsäure und Glycerin eine intuitiv greifbare Qualitätsmesszahl errechnet. Anwender erhalten durch den Index bei der Traubenannahme zukünftig unmittelbar Informationen über die Qualität der abgelieferten Trauben.

Zum heutigen Zeitpunkt kann abgeleitet werden, dass die eingesetzte Technologie geeignet ist, um den zeitlichen und personellen Aufwand für optische Bonituren im Weinberg und bei der Traubenannahme zu minimieren. Eine Einbindung der NIR-Software in bestehende Wiegesysteme der Genossenschaften wurde bereits umgesetzt, um die Automatisierbarkeit der Traubenannahme zu verbessern. Über die Projektlaufzeit hinaus haben sich mehrere Genossenschaften zusammengeschlossen, um gemeinsam mit der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO) die Verbesserung der Kalibrierung voranzutreiben. Ziel ist es, in absehbarer Zeit mit dem LVWO-Index nicht nur eine Faustzahl, sondern eine dezidierte Qualitätsmesszahl zu haben, die auch Bestandteil der Traubenauszahlungen sein kann.

EIP-Agri legere Weine

Im Projekt „Innovative Produkte mit verringertem Alkoholgehalt im Segment Wein“ untersucht die OPG legere Weine die Marktchancen alkoholreduzierter oder alkoholfreier (Schaum-)Weine. Außerdem sollen im Brückenschlag von der Praxis zur Forschung Produktpositionierungsmodelle sowie eine erfolgreiche Markteinführung und Vermarktung erarbeitet werden. Die Duale Hochschule Heilbronn (DHBW) übernimmt im Projekt den wissenschaftlichen Part. Das Projekt läuft noch bis zum Jahresende 2022.

Die Untersuchungen der DHBW unterstreichen die Einschätzungen der Praktiker. Aus den Ergebnissen der Kunden- und Konsumentenbefragungen lassen sich folgende Schwerpunkte und Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Vermarktung von alkoholfreien beziehungsweise alkoholreduzierten Weinen herausarbeiten. Der Geschmack des alkoholfreien Weins ist wichtig.

Darüber hinaus ist eine spezifische Ansprache der Zielgruppen zentral: Kommunikationsfokus auf Motive „Gesundheit“ und „Betrunkenheit vermeiden“, vorrangige Ansprache weiblicher und jüngerer Zielgruppen (zum Beispiel mit entsprechendem Flaschendesign), Integration der Geschmacksangabe (lieblich, halbtrocken, trocken). Die Ergebnisse des Eye Trackings zeigen die Wichtigkeit der „alkoholfrei“-Kennzeichnung der Flaschen auf. In Erinnerung blieben den Zielgruppen Designelemente, vor allem Farben und Bilder sowie Etiketten. Verschiedene Etikettentypen sollen 2022 in Storetests unter Realbedingungen getestet werden. Außerdem konnte dargelegt werden, dass bei einem guten Gesamteindruck auch eine relativ hohe Kaufbereitschaft besteht. Die Preisbereitschaft sei in der Weinregion höher gewesen (75 Prozent der Befragten würden zwischen 7 und 10 Euro pro Flasche bezahlen, in der Nicht-Weinregion mehrheitlich unter 6 Euro/ Flasche).

EIP-Agri Weidelamm

Verbraucher fragen verstärkt nach regional und naturnah erzeugten Produkten. Damit auch Lammfleisch aus Baden-Württemberg diesem Anspruch gerecht bleibt und im Wettbewerb mit Importware bestehen kann, müssen die Gegebenheiten der Weidehaltung mit den Anforderungen an die Erzeugung von Qualitätslammfleisch in Einklang gebracht werden. Zu diesem Zweck haben sich Akteure aus allen Stufen der Wertschöpfungskette Lammfleisch (Zucht, Erzeugung, Schlachtung, Vermarktung) zur OPG Lamm zusammengefunden. Im Mittelpunkt des Projekts „Erzeugung marktgerechter Weidelämmer in Baden-Württemberg“ steht die Erzeugerebene. Auf drei Praxisbetrieben wird untersucht, inwieweit im Vergleich zur Stallmast auch auf der Weide marktgerechte Lämmer erzeugt werden können. In Kombination mit extensiven (kein Einsatz von Düngern) und intensiven (Einsatz von Düngern) Weideverfahren werden auch die Einflüsse der Schafrasse auf die Parasitenresistenz und Schlachtkörperqualität untersucht. Wissenschaftlicher Partner ist die Universität Hohenheim. Das Projekt hat eine Laufzeit von rund drei Jahren und endet zum 31. Dezember 2022.

Bereits nach dem ersten Versuchsjahr konnte nachgewiesen werden, dass auf intensiven Weiden die täglichen Gewichtszunahmen höher waren als auf extensiven Weiden. Bei den Tageszunahmen wie auch bei den Schlachtkörpermerkmalen waren Rasseeffekte zu verzeichnen. Bei der Parasitenuntersuchung konnten Erfolge der selektiven Entwurmung festgestellt werden, um Resistenzentwicklungen der Parasiten gegenüber Wurmmitteln vorzubeugen. Darüber hinaus sind Betriebsunterschiede beim Parasitenbefall im Tier und der Parasitendruck auf den Weiden zu berücksichtigen.

Zum Ende des Projekts sollen die Ergebnisse eine Aussage darüber erlauben, inwieweit die genetischen Grundlagen für die züchterische Bearbeitung der Robustheit, der Resistenz und der Resilienz von Schafen gegen Endoparasiten vorhanden sind. Hieraus lassen sich Zuchtempfehlungen ableiten. Der züchterische Ansatz zur Parasitenbekämpfung mindert den Einsatz von Tierarzneimitteln in Betrieben.

EIP-Agri nachhaltiger Wein

Der Klimawandel bringt große Veränderungen in der Landwirtschaft mit sich. Auch die Weingärtner und Winzer in Baden-Württemberg sind davon stark betroffen und auf Impulse der Wissenschaft angewiesen, um ihre Arbeit den sich verändernden Bedingungen anpassen zu können. Verschärfter Trockenstress und Erosion sowie Forderungen zu mehr Umweltschutz prägen die Situation der Branche. Neu gezüchtete Rebsorten werden hier als wichtiger Stellhebel zum verminderten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Maschinen gesehen. Der Anbau dieser Sorten, die in Fachkreisen als pilzwiderstandsfähige Rebsorten (PIWIs) bezeichnet werden, ist ressourcen-effizienter und gilt als besser an künftige Anbaubedingungen angepasst. Doch bisher machen diese neuen Rebsorten nur etwa 2 Prozent der Anbaufläche aus und entsprechend gering ist die Bekanntheit regionaler Weine aus PIWIs. Was hemmt die Verbreitung dieser Rebsorten im Anbau, trotz ihrer vielen Vorteile? Vom Anbau der PIWIs über die Kellerwirtschaft bis zum Verbraucher wird untersucht, wie der Zusatznutzen vermittelbar und die Nachfrage langfristig zu steigern ist.

Für die Weingärtner und Winzer soll außerdem ein Ratgeber in digitaler Form entstehen, der dabei hilft, die täglichen Arbeiten im Weinberg und Weinkeller nachhaltiger zu gestalten. Als wissenschaftliche Partner konnten für dieses Projekt der Weincampus Neustadt, die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg und das Weinbauinstitut Freiburg gewonnen werden.

EIP-Agri-Projekt bei der Felsengartenkellerei Besigheim eG
Das EIP-Agri-Projekt zur Echtzeitbestimmung von Reife- und Qualitätsparametern bei der Traubenannahme wurde unter anderem von der Felsengartenkellerei Besigheim eG einem Praxistest unterzogen.

 

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