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Genossenschaften haben das E-S-G in der DNA

Nachhaltigkeit bei Genossenschaften
BWGV-Archiv

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Gemäß der EU-Taxonomie soll ein einheitliches Verständnis der Nachhaltigkeit in der EU erreicht werden. Dieses bezieht sich auf die Bereiche E-Umwelt S-Social-G-Governance, kurz ESG. Unternehmen sind seit dem 1. Januar 2022 verpflichtet, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten über die Berichtspflichten nach HGB hinaus zu dokumentieren. Die Berichterstattung auf Basis des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) in Verbindung mit dem CSR-Richtlinie Umsetzungsgesetz, welches innerhalb der Europäischen Union die „nicht finanzielle Berichterstattung“ zu ökonomischen, ökologischen, sozialen und Governance-Aspekten vorsieht, soll die Nachhaltigkeitsleistungen eines Unternehmens transparent und besser vergleichbar machen. Dabei ist Nachhaltigkeit oder Sustainability keine Erfindung der Neuzeit. Die Gründungsidee der „Genossenschaft“ war diesen Anforderungen weit voraus. 

Historie der Genossenschaften 

Hermann Schulze-Delitzsch gründete 1849 die erste Genossenschaft in Deutschland. Die Armut der Handwerker legte den Grundstein für die Idee, in Delitzsch − eine sächsische Kleinstadt − eine Einkaufsgenossenschaft für Tischler und Schuhmacher zu gründen. Der günstigere Einkauf von Rohstoffen half den Handwerkern dabei, günstiger zu produzieren. Handwerker bekamen, wenn überhaupt, nur Kredite gegen Wucherzinsen. So gründete Schulze Delitzsch die ersten „Vorschuss- und Kreditvereine als Volksbanken“. In etwa zur gleichen Zeit gründete Friedrich Wilhelm Raiffeisen die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Auch in England und Frankreich bildeten sich Genossenschaften zur Selbsthilfe rund um Bau-, Einkaufs- und Absatzgenossenschaften. 

Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft − eG 

Das Genossenschaftsgesetz definiert eine Genossenschaft als Gesellschaft, die „darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder zu fördern“. Mitglieder sind demnach nicht nur Kunden, sondern auch Teilhaber. Die Genossenschaft kann durch Unternehmen oder Personen gegründet werden, um gemeinsame Ziele zu erreichen, die für den Einzelnen zu komplex sind. Die eingetragene Genossenschaft ist verpflichtet, den Interessen ihrer Mitglieder zu dienen. Sie kann bereits von drei juristischen oder natürlichen Personen gegründet werden. Die Belange der Mitglieder und deren Mitbestimmungsrechte werden in der jeweiligen Satzung schriftlich festgelegt. Die Geschäftstätigkeit kann sich dabei auf kulturelle, soziale oder wirtschaftliche Ziele ausrichten. 

Werte der Genossenschaft „immaterielles Kulturerbe“ der UNESCO 

Die Genossenschaftsidee „Hilfe zur Selbsthilfe“ steht auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes. Sie verbindet wirtschaftlichen Erfolg mit gesellschaftlich nachhaltigem Handeln. Die Werte der Genossenschaftsgruppe basieren auf einer Kultur der Offenheit und Transparenz. Im Nachhaltigkeitsleitbild der Genossenschaftlichen FinanzGruppe steht das nachhaltige Wirtschaften für Menschen, Umwelt für die Region und in der Region im Mittelpunkt. Dies geschieht unter Einbezug von Kunden, Mitgliedern und Mitarbeitenden. Ob beim lokalen Leistungsbezug oder bei der Zusammenarbeit mit Partnern der Genossenschaftlichen FinanzGruppe wird auf das Vorhandensein ökologischer, menschenrechtlicher oder gesellschaftlicher Standards geachtet. Spekulationen mit Lebensmitteln oder die Missachtung der Menschenrechte und Ausbeutung wird dabei konsequent ausgeschlossen. 

Nach dem Motto: „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“. 

Nach den Grundprinzipien Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung existieren in Deutschland zirka 7.000 Genossenschaften mit rund 22,6 Millionen Mitgliedern und etwa 900.000 Mitarbeitenden, die in unterschiedlichen Branchen wirtschaftliche Kooperationen bilden1. So existieren etwa Einkaufsgenossenschaften, Energiegenossenschaften, Warengenossenschaften u.a. Exemplarisch wird auf Baugenossenschaften beziehungsweise Kreditgenossenschaften näher eingegangen. 

1Vgl. Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V., Berlin 2021  

Baugenossenschaften stehen für bezahlbaren Wohnraum 

Für die Wohnraumversorgung in Deutschland bedeutend sind die zirka 2.000 Baugenossenschaften mit einem Mietwohnungsbestand von rund 2,2 Millionen Wohnungen und etwa 3 Millionen Mitgliedern. Damit werden rund 5 Millionen Menschen mit bezahlbarem und sicherem Wohnraum versorgt. Rund 10 Prozent des gesamten Mietwohnungsbestands werden von Baugenossenschaften gehalten2.  Die Mitgliedschaft sichert ein lebenslanges Wohnrecht. Ein Beispiel für die „Social Governance“.

2Vgl. GDW (Hrsg.), Transparenzbericht 2021, Statista 2022 

Kreditgenossenschaften versorgen die heimische Wirtschaft 

So galten etwa Genossenschaftsbanken lange Zeit im Wettbewerb als „langweilige Mauerblümchen“. Das Geschäftsmodell ist nicht auf kurzfristige Gewinnorientierung, sondern auf die langfristige Förderung der Mitglieder ausgerichtet. Genossenschaftsbanken verstehen sich als werteorientiert: Die Ziele gehen über diejenigen reiner Wirtschaftsbetriebe hinaus. Zu den traditionellen Werten zählen Partnerschaftlichkeit, Transparenz, Solidarität, Vertrauen, Fairness und Verantwortung sowie Bodenständigkeit. An diesen Werten richten Volksbanken und Raiffeisenbanken ihr Handeln und ihre Beratung aus. Diese Werte bilden den ethisch-moralischen Rahmen aller Beteiligter.  

Der Vorstand führt die Geschäfte und vertritt die Interessen der Genossenschaftsbank in der Öffentlichkeit. Die Kapitalgeber sind Mitglieder, die sich − je nach Satzung − bereits mit kleinen Beträgen an der Genossenschaft beteiligen können. Jedes Mitglied hat ein Stimmrecht, und zwar unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung. Bei großen Kreditgenossenschaften werden die Interessen der Mitglieder von gewählten Vertretern bei der Vertreterversammlung − analog der Hauptversammlung bei Aktiengesellschaften − vertreten. Die Generalversammlung – oder in größeren Genossenschaftsbanken die Vertreterversammlung – ist das zentrale Willensbildungsorgan. Geschäftspolitische Entscheidungen werden einem breiten Mitgliederkreis vorgestellt. Die Geschäftspolitik hat sich an den Belangen ihrer Mitglieder auszurichten. Strukturelle Veränderungen erfordern die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder, deren Stimmrecht durch Vertreter wahrgenommen wird. Einzelheiten regelt die jeweilige Satzung. 

Die Mitglieder profitieren vom Erfolg der Bank und sind in die demokratischen Entscheidungsprozesse zur Ausrichtung der Bank eingebunden. Die Mitglieder wählen auch den Aufsichtsrat, der die Arbeit des Vorstands kontrolliert. Dieser setzt sich nach fachlicher und persönlicher Eignung aus dem Kreis der Mitglieder zusammen. Die Vielfalt der Mitgliederstruktur sollte sich auch in der Diversität der Mandatsträger abbilden3.  

Vgl. Ertle-Straub: Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, in Geno Graph 4/2021, S. 8–10 

Genossenschaftsbanken bezahlen, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke, in den Sicherungsfonds des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR) ein. Dieser Fonds hat als jahrzehntelange Einrichtung der Solidargemeinschaft der genossenschaftlichen Finanzgruppe die Aufgabe, bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der angeschlossenen Institute Kundeneinlagen zu sichern und Insolvenzen präventiv abzuwenden. Genossenschaftsbanken sorgen demnach auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für die Stabilität des Finanzsystems. Die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft schafft vertrauensbildende „Governance-Strukturen“. Umfassendes Compliance Management wacht über regelkonformes Verhalten.

Der Einbezug der Stakeholder ist kennzeichnend für Genossenschaften 

Soziale und gesellschaftliche Projekte in der Region werden von Genossenschaftsbanken finanziell unterstützt. Langfristige Partnerschaften zu Vereinen, Institutionen, Kunst und Kultur bereichern das gesellschaftliche Leben. Das Engagement ist ein Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in der Region. Nachhaltiges Wirtschaften und gesellschaftliche Verantwortung zeichnet Genossenschaften aus. Nachhaltigkeitsberichte sind deshalb nicht nur formal gefordert, sondern dokumentieren ethische Grundwerte, die seit über 150 Jahren die Basis der Geschäftstätigkeit darstellen. Sie verkörpern in ihrer DNA alle Werte, die sich heute in der ESG-Taxonomie der EU wiederfinden. Genossenschaften sind somit aktueller denn je!

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