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„Im Facettenreichtum liegt der Reiz meiner Aufgabe“ - Interview mit Dr. Ulrich Theileis

Dr. Ulrich Theileis, neuer Vorstand des BWGV
BWGV

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Herr Dr. Theileis, am 1. Januar haben Sie das Amt von Dr. Roman Glaser übernommen. Mit welchen Erwartungen gehen Sie Ihre Aufgabe an?

Dr. Ulrich Theileis: Mit einem Gemisch aus Vorfreude auf die vielfältigen Facetten der neuen Rolle, aber auch einer gewissen Demut hinsichtlich der Bedeutung und der historischen Erfolge des genossenschaftlichen Wirtschaftszweigs. Es ist für mich eine Ehre, die Genossenschaften im Land bei der Bewältigung ihrer aktuellen und künftigen Herausforderungen unterstützen und zu begleiten. Gleichzeitig bin ich gespannt auf zahlreiche Neugründungen. Ich bin mir sicher, dass wir weiterhin sehr interessante Geschäftsmodelle und Weiterentwicklungen sehen werden – und ich freue mich darauf, hier zu unterstützen und mitzugestalten. Hinzu kommt noch ein persönlicher Aspekt: In meiner Funktion beim BWGV verbinden sich jetzt gewissermaßen zwei verschiedene Stränge, die sich durch mein Berufsleben ziehen: Wirtschaftsprüfung und Industrie, vornehmlich im Bereich der Banken. Beides kommt jetzt zusammen, und das macht die Aufgabe für mich in besonderer Weise rund. 

Wie haben Sie sich auf Ihre neuen Aufgaben vorbereitet – anders gefragt: Wie kann man sich auf diese so wichtige Position im baden-württembergischen Genossenschaftssektor überhaupt vorbereiten?

Theileis: Erfreulicherweise hat der Verband mit der Bestellung sehr frühzeitig agiert, sodass ich schon weit vor der Amtsübernahme viele Mitarbeiter sowie in- und externe Entscheider kennenlernen konnte. Seit dem 1. November habe ich dann eine intensive Einarbeitung erlebt. Ich bin Roman Glaser sehr dankbar, dass er bis zum letzten Tag seiner Amtszeit so engagiert dabei war. Aber auch mein Vorstandskollege Carsten Eisele hat mich beim Einstieg maßgeblich unterstützt. Mit der Struktur des Genossenschaftssektors in Baden-Württemberg hatte ich mich schon im Vorfeld auseinandergesetzt. Mehrere Institute aus dem genossenschaftlichen Verbund sind mir auch aus meiner Prüfertätigkeit vertraut. Bis heute durfte ich schon mit vielen Mitgliedern in direkten Kontakt treten. In den zahlreichen Gesprächen wurde deutlich, wie facettenreich, stark und zukunftsorientiert unsere Genossenschaften sind – aber auch welche Herausforderungen auf sie warten. Das macht das Amt ja aber gerade spannend.

Der Bankensektor spielt in Ihrem beruflichen Werdegang eine prägende Rolle. Wie vertraut sind Sie bereits mit den anderen genossenschaftlichen Bereichen, die im BWGV vereint sind?

Theileis: Wie schon ausgeführt liegt ja gerade im Facettenreichtum der Reiz meiner Aufgabe. Der Geno-Sektor bezieht auch hieraus historisch und bis heute seine Stärke. Klar, meine persönlichen Wurzeln liegen eher im Bankbereich und viele Eigenheiten und besonderen Charakteristika der vielen anderen Branchen im Verband sind mir noch nicht in diesem Maße vertraut. Ich konnte aber in den vielen Terminen der vergangenen Wochen, in Gremiensitzungen, Informationsveranstaltungen, Klausuren und individuellen Gesprächen, bereits intensive Einblicke gewinnen und Menschen aus den unterschiedlichsten Segmenten der genossenschaftlichen Familie kennenlernen. Diese Gespräche waren immens wertvoll. Ich freue mich sehr darauf, sicherlich das ganze Jahr 2024 noch sehr viel mehr kennenlernen zu dürfen. Übrigens hat es mir in meinen früheren Tätigkeiten immer Spaß gemacht, wenn die Arbeit nicht theoretisch blieb, sondern etwas „Handfestes“ dabei war. Beispielsweise das Weingut der L-Bank oder Wohnungsbauprojekte. Vor Ort zu sein und etwa eine fertiggestellte Tiefgarage zu sehen war für mich immer wichtig. Nur abstrakt Geldströme zu bewegen, da würde mir etwas fehlen. Berührungspunkte zu vielen Branchen, die auch im BWGV vertreten sind, waren also auch früher schon da. Und dann ist da der Vorteil des Wirtschaftsprüfers: Er kennt zwar nicht jedes Buch im Detail, aber er hat seine Ordnungsraster, sodass er überall weiß, wohin er greifen muss. Wichtig ist mir auch eines: Bei allen Details und Besonderheiten der verschiedenen Sektoren müssen wir stets im Blick haben, was alle verbindet, den genossenschaftlichen Kern. Daraus ergibt sich ein großes Potenzial für Erfahrungsaustausch, Lerneffekte und Kooperationen.  

Bitte lassen Sie uns daran teilhaben, wo Ihre Prioritäten liegen: Welche drei Dinge sind Ihnen für Ihre neue Aufgabe besonders wichtig?

Theileis: Es ist schwierig, genau drei Aspekte herauszugreifen, aber ich will es versuchen. Besonders wichtig sind sicherlich die Fortführung und der weitere Ausbau der guten Beziehungen des baden-württembergischen Geno-Sektors zur Politik, zur Wirtschaft sowie zur Öffentlichkeit. Hier möchte ich an die erfolgreiche Arbeit von Roman Glaser anknüpfen, für den Interessenvertretung und Netzwerke von großer Bedeutung waren. Auch unsere Mitglieder sollen weiterhin oder vielleicht sogar noch etwas stärker in diese Beziehungspflege eingebunden werden. Zweitens ist es mir wichtig, einen Beitrag zu leisten, die Stärke der genossenschaftlichen Strukturen in einem doch sehr bewegenden Umfeld evolutionär weiterzuentwickeln. Genossenschaften vereinen seit Jahrzehnten ökonomisches Wirtschaften, ökologische Umsicht und soziale Verantwortung und bringen somit beste Voraussetzungen mit, Lösungen für zentrale Herausforderungen unserer Zeit zu liefern. Dazu müssen sie sich zum einen flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen. Zum anderen ist es auch Aufgabe für uns als Verband, auf die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen im Sinne unserer Mitglieder einzuwirken. Und drittens ist es aus meiner Sicht von großer Bedeutung, die auf Gemeinschaftlichkeit basierende genossenschaftliche Idee noch näher an die junge Generation heranzubringen und eventuelle, eher historisch begründete Ressentiments zu beseitigen.  

Um die Stärke der genossenschaftlichen Strukturen weiterzuentwickeln, wie Sie sagen, braucht es Anschluss an die junge Generation. Wo sehen Sie Ansatzpunkte? 

Theileis: Ich wäre froh, wenn wir in ein paar Jahren sagen könnten: Da haben wir etwas geschafft. Wenn man heute Jugendliche fragt, was eine Genossenschaft ist, sagen sie: Was habe ich damit zu tun. Dabei ist der genossenschaftliche Gedanke, etwas gemeinsam und mitbestimmt zu schaffen, in der Jugend heute doch eigentlich verbreiteter denn je. Ansatzpunkte wären also genug da, etwa beim Thema gemeinschaftliches Wohnen oder Energieerzeugung. Aber meines Erachtens kommen zu wenige auf die Idee, das mit dem Genossenschaftssektor und dessen besonderen Möglichkeiten zu verbinden. Es muss uns besser gelingen, einen Weg zu öffnen, klarzumachen, dass Genossenschaften auf Werten aufbauen, die von der jungen Generation eingefordert werden. Viele unserer Mitglieder und auch wir als Verband verfolgen schon eine ganze Bandbreite an Konzepten und Lösungsansätzen, von Schülergenossenschaften und Bildungspartnerschaften über die Einbindung von Auszubildenden und Studierenden bis hin zu Nachwuchsprojekten wie beispielsweise Jungwinzer-Initiativen. Von den Volksbanken und Raiffeisenbanken habe ich kürzlich ein wirklich sehr gut gemachtes Video gesehen, das den Gemeinschaftsgedanken, der in den Genossenschaften steckt, unterhaltsam und generationengerecht rüberbringt. All diese Ansätze sind wertvoll und hilfreich, haben aber bislang in der Breite offenkundig noch nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Das zeigt mir deutlich, dass wir hier ranmüssen. Sicherlich gibt es nicht den einen Schlüssel zum Erfolg, sondern es braucht viele Initiativen, die zusammenwirken müssen, auch über Baden-Württemberg hinaus. Das gilt für alle Branchen, die bei uns vertreten sind.

Wenn Sie auf Ihre ersten drei Monaten beim Verband blicken, haben Sie etwas über den BWGV erfahren, das Sie überrascht hat?

Theileis: Ja sicherlich, sowohl Positives als auch unerwartete Herausforderungen. Um es jedoch deutlich zu sagen: Unüberwindbare Hindernisse habe ich nicht entdeckt. Im Gegenteil: Überwiegend sind es Aspekte, über die ich mich freue und die auch das Potenzial meiner neuen Aufgabe zeigen. Besonders hervorzuheben sind die vielen positiv nach vorne gerichteten Menschen unserer Gruppe. 

Geben Sie uns zum Schluss noch einen privaten Einblick – was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Theileis: Im Vordergrund steht die Familie. Daneben kann ich mich recht gut auf dem Fahrrad in den weiten Auen des Rheins entspannen. Wenn es der Kalender zulässt und ich im Winter ein paar Tage die Ski herausholen kann, freut es mich besonders. Außerdem bin ich ein Freund vielfältiger Musikrichtungen, die von Rock bis zum klassischen Konzert reichen.

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