In einer repräsentativen Befragung wurde Ende 2014 in Baden-Württemberg der Bekanntheitsgrad von Genossenschaften erhoben. Die vorliegenden Ergebnisse sind durchaus positiv.
Die Genossenschaftsidee ist eine von 27 Traditionen und Kulturformen, die zu Beginn dieses Jahres in das neue bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland aufgenommen wurden. Dies ist die Voraussetzung für die Eintragung in die weltweite UNESCO-Liste. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass die Genossenschaftsidee bald einen Platz auf der „repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ erhält. Heute findet sich die Rechtsform der eG in fast allen Lebensbereichen wieder – von Genossenschaftsbanken über Raiffeisen-Genossenschaften bis hin zu gewerblichen und Dienstleistungsgenossenschaften. Dass die Genossenschaftsidee heute aktueller ist denn je und häufiger als allgemein bekannt Lösungsangebote für die Herausforderung unserer Zeit bietet, kann man deutlich an der rapiden Entwicklung der gewerblichen Genossenschaften erkennen. Aber wie verankert ist die Genossenschaftsidee wirklich in der Gesellschaft? Was ist zum Thema Werte und Mitgliedschaft bekannt? Wie wirken die „Marken“ der Genossenschaften? Diese Fragen haben wir uns zum Ende des vergangenen Jahres gestellt und hierzu insgesamt 1.203 Menschen aus der baden-württembergischen Bevölkerung, Multiplikatoren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft sowie Unternehmern und Selbstständige von der Cobus Marktforschung GmbH befragen lassen.
Kennen Sie Genossenschaften?
Die Kenntnis über Genossenschaften unterscheidet sich stark in Abhängigkeit davon, ob man die Bevölkerung, Multiplikatoren oder Unternehmer und Selbstständige untersucht. Während alle Unternehmer und Multiplikatoren angaben, zu wissen, was eine Genossenschaft ist, wurden bei der Bevölkerung nur 78 Prozent erreicht. Insgesamt kennen 82 Prozent aller Befragten den Begriff „Genossenschaft“.
Solidarität, Member-Value und persönlicher Bezug
Breit gestreut ist das Wissen zum Satzungsauftrag einer eG. „Förderung seiner Mitglieder“ steht bei den Befragten an erster Stelle (76 Prozent), während das „Verfolgen gemeinnütziger Zwecke“ (38 Prozent) und die „Gewinnmaximierung“ deutlich dahinter rangiert. In Genossenschaften ersetzt ein langfristiger „Member-Value“ oder Mehrwert durch Mitgliedschaft den „Shareholder-Value“ oder Ertragswert, wie man ihn in GmbHs und AGs – den laut Befragung bekanntesten Unternehmensformen – wiederfindet. „Member-Value“ bedeutet, dass alles, was im genossenschaftlichen Unternehmen erwirtschaftet wird, den Mitgliedern auf drei Wegen zufließt: zum einen durch Konditionen und Qualitätsstandards der Leistungen, zum anderen über die Verzinsung von Geschäftsanteilen und letztlich über Investitionen in die eG. Dieser Mehrwert der Mitgliedschaft, der in anderen Rechtsformen so nicht entsteht, wird als solcher in der Gesamtbevölkerung wahrgenommen und geschätzt. Dies gilt es zu nutzen und weiter auszubauen. Bei der Frage nach genossenschaftlichen Werten überrascht, dass nur 30 Prozent aller Befragten Demokratie und 15 Prozent Subsidiarität mit der Rechtsform eG verbinden. Auf den ersten Plätzen finden sich hier gleichermaßen in allen Befragungsgruppen Solidarität und Partnerschaftlichkeit. Insgesamt wird bei den Antworten ein Bild gezeichnet, dass jedoch ebenso wichtige Merkmale von Genossenschaften wie regionale Verankerung, verantwortungsbewusste Akteure und kooperative Handlungsstrategien positiv anerkennt. Im Ergebnis zeigt sich allerdings, dass der originäre Satzungsauftrag und die grundlegenden genossenschaftlichen Werte wie Demokratie, Selbsthilfe und Subsidiarität weniger stark in der Öffentlichkeit verankert sind, als von unseren Genossenschaften gelebt wird. Auch hier ergibt sich ein wichtiger Ansatzpunkt (siehe Abb. 1).Das Wissen um die Vorteile von Genossenschaften und auch der persönliche Bezug zu Genossenschaften sind bei Unternehmern und öffentlichen Akteuren stärker ausgeprägt als bei der Bevölkerung per se. Während 64 Prozent beziehungsweise 65 Prozent von Unternehmern und Multiplikatoren angeben, die Vorteile der Mitgliedschaft einer Genossenschaft zu kennen, ist dieser Anteil in der Bevölkerung mit 40 Prozent deutlich niedriger. Auch in Hinblick auf die tatsächliche Mitgliedschaft sind die Unterschiede zwischen diesen Gruppen besonders auffällig: 65 bis 70 Prozent der befragten Unternehmer und Selbstständigen sowie Multiplikatoren gaben im Vergleich zu 19 Prozent der Bevölkerung an, Mitglied in einer Genossenschaft zu sein.
Branchenkenntnis und genossenschaftsrelevante Einrichtungen
Viele der Befragten kannten Beispiele für Genossenschaften vor allem in jenen Branchen, die traditionell von genossenschaftlichen Organisationen durchdrungen sind, wie den Volksbanken und Raiffeisenbanken (100 Prozent aller Unternehmer und Selbstständigen sowie Multiplikatoren, 98 Prozent der Bevölkerung) oder den Raiffeisen-Genossenschaften im Bereich Bezug, Absatz, Lagerhäuser und ZG Raiffeisen (76 Prozent der Bevölkerung). Bei den Unternehmern und Selbstständigen liegen die Genossenschaften im Bereich Obst, Gemüse und Blumen an erster Stelle (69 Prozent), während die Winzer und Weingärtner bei den Multiplikatoren am Bekanntesten sind (76 Prozent). Genossenschaften in Bereichen, in denen Neugründungen stattfinden – Energie, Gesundheitssektor, IT – sind weniger bekannt (siehe Abb. 2). Interessant ist auch der Blick auf weitere, von Mitgliedern und dem BWGV gegründete beziehungsweise unterstütze Organisationen. Hervorzuheben ist das Modell der Schülergenossenschaften, für das im Land Staatssekretärin Marion von Wartenberg die Schirmherrschaft übernommen hat. An den Orten der zwölf (in Kürze 13) eingetragenen Schülergenossenschaften (eSG) in Baden-Württemberg sind diese sehr geschätzt in den Schulen, den Partnern (meist Volksbanken und Raiffeisenbanken) und dem regionalen Netzwerk, in das sich diese mit unterschiedlichen Geschäftsideen einbringen. Dennoch sind sie mit Blick auf das gesamte Land noch nicht entsprechend bekannt (23 Prozent bei kommunalen Entscheidungsträgern, 7 Prozent bei der Bevölkerung). Hier besteht noch Potenzial, sowohl in der landesweiten Gründung als auch örtlichen und zentralen Begleitung. Die Forschungsstelle für Genossenschaftswesen an der Universität Hohenheim hingegen ist unter Wissenschaftlern sehr gut etabliert (85 Prozent) und auch bei Politikern der Region anerkannt (50 bis 53 Prozent) bestens bekannt. Dies ist sehr erfreulich, da die Wissenschaft als Partner für Studien, Studien- arbeiten und Ideenentwicklungen ebenso wie für die Gewinnung hochqualifizierter Mitarbeiter eine wichtige Rolle spielt. Überraschend ist der hohe Bekanntheitsgrad der noch jungen Stiftung zur Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg GESTE vor allem bei Vertretern in Politik und Wissenschaft (40 bis 50 Prozent). Der Stiftungszweck der 2013 gegründeten GESTE liegt in der Förderung von genossenschaftlichen Projekten in der Entwicklungszusammenarbeit, die vom DGRV in Abstimmung mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung koordiniert werden. Ein solch hoher Bekanntheitsgrad nach nur zwei Jahren Arbeit ist eine große Bestätigung für die wichtige Arbeit des GESTE-Teams (siehe Abb. 3).
Genossenschaftliche Rechts- und Unternehmensform herausstellen
Gerade in Baden-Württemberg haben Genossenschaften mit ihrer über 150 Jahre alten Geschichte bewiesen, dass sie den Herausforderungen, die immer wieder neu an sie gestellt werden, erfolgreich begegnen können. Die 850 baden-württembergischen Genossenschaften sind in der Region durch eine lange und intensive Tradition verhaftet und machen Baden-Württemberg zum Bundesland mit der höchsten Genossenschaftsdichte. Diese Tatsachen und die Ergebnisse zur Einschätzung des Wissenstands der Bevölkerung zum Thema Genossenschaften im Baden-Württemberg sollten nun dazu genutzt werden, noch stärker branchenübergreifend für die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft in der Öffentlichkeit zu werben. Das Baden-Württembergische Jahr der Genossenschaften 2015 unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten bietet die beste Gelegenheit dafür.