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Saftladen Nordrach eG bewahrt Werte einer Landschaft

Ein Teil des Angebotes des Saftladens
Ingeborg Kunze

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Im milden Klima der Ortenau zwischen Oberrhein und den steilen Westhängen des Schwarzwalds breiten sich in großzügiger Weite und hügeliger Lebendigkeit Wein-, Obst und Gemüseplantagen aus und Streuobstwiesen: überschäumende Blütenmeere im Frühling, prallbunte Bäume im Herbst. Das sind Werte, Schätze alter bäuerlicher Kultur. Doch war ein Anstoß notwendig, damit Werte, Wissen und Können wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung gelangten. Dieser Kick kam von einer dynamischen Frau mit Ausstrahlung. Aus der Ortenau, aber kein Eigengewächs. Nicht mal badisch, sondern Fränkin. Sie heißt Barbara Kamm-Essig, lebt mit ihrer Familie in Nordrach, ein Haus am Hang, Garten, Katzen, Hühner, Pferde, Hund. Mit dem Zweitstudium in Freiburg nach dem BWL-Fachhochschulabschluss mit Schwerpunkt Tourismus und Verkehr in Heilbronn hat sie in Nordrach ihre Tierheilpraxis realisiert: „Ich bin offen, habe mich schon immer ganz gern über den Tellerrand hinaus orientiert“, sagt die jetzt 45-jährige Kommunalpolitikerin, die sich seit fünf Jahren im Gemeinderat für Natur und Landschaftserhalt engagiert. Vieles hat sie angestoßen und aufgebaut, seit sie 2001 in der 2.000-Einwohner-Gemeinde angekommen ist. Ihr Mann hat sein Speditionsunternehmen mit Sitz in Ludwigsburg und Zell am Harmersbach 2001 auf den südlichen Standort konzentriert. Die drei Kinder sind mit Flora und Fauna aufgewachsen.

Kurz-Porträt:

„Saftladen Nordrach eG – Genossenschaft zur Herstellung und Vermarktung regionaler Spezialitäten“ ist der Name der am 12. September 2011 von 16 Mitgliedern gegründeten Genossenschaft. Einen Laden gibt es nicht. Ziel der Genossenschaft ist es, „unsere charakteristische offene Landschaft mit den vielen Streuobstwiesen langfristig zu erhalten, indem die Produkte verstärkt vermarktet werden. Sie müssen so einzigartig sein wie die Landschaft, denn Regionalität funktioniert nur dann gut, wenn die Produkte besser sind als die Massenware“. Zu kaufen sind sie im Handel in Nordrach und Zell am Harmersbach, in der Chocolaterie Nordrach und in der Marktscheune Berghaupten kurz vor Offenburg.

Streuobst ist ein Generationenthema

Die junge Idee „Saftladen Nordrach“ hat Barbara Kamm-Essig 2011 realisiert aus der Einsicht, dass „Streuobst ein Generationenthema ist“. Höchste Zeit. Denn diejenigen, die mit Baumwiesen dieser Landschaft wirklich und richtig umgehen können, werden weniger. Barbara Kamm-Essig hat für den Handlungsschwerpunkt Streuobst sofort Mitmacher gewonnen. Leute, die eingesehen haben, dass Ressourcen gewinnbringend zu nutzen sind: Die Ernte, die privat betriebene Saftpresse in Oberharmersbach, der landschaftstypische Bohnapfel, der durch ihre Initiative heute sortenrein als feiner Secco, als Secco Apfel-Holunderblüte oder als Apfel-Secco mit schwarzer Johannisbeere Gourmet-Gaumen schmeichelt.

Alles durchdacht und rasch umgesetzt, in Eigeninitiative, ohne staatliche Förderung, ohne Europäische Union, die etwa mit „Leader“ strukturschwache Gebiete fördert. Barbara Kamm-Essig: „Das hätte mindestens zwei Jahre Planungsvorlauf erfordert.“ Sie weiß, dass aktives Handeln in der Streuobstlandschaft Nordrach der Bevölkerung viel bringen kann. Nach dem Prinzip „Information ist alles“ hat sie Interessierte auf eine Exkursion nach Mittelfranken mitgenommen. Der Landschaftspflegeverband Ansbach ist schon zehn Jahre mit Saftpressen erfolgreich aktiv „in einer Region, die kein Wirtschaftsstandort ist“. So haben Leute, „die eh nichts haben als ein paar Äpfel“, Einnahmen und Auskommen. Das hat überzeugt. Auch der Secco, den die Initiatorin nach Nordrach gebracht und zu Festen kredenzt hat. Die Franken haben alles erklärt, Partizipation angeboten an ihrer Erfahrung und Patenschaft bei der Umsetzung des badischen Projekts. Wie ist das aufzubauen? Gibt es überhaupt genug Äpfel am Ort? Diese Fragen sind in Nordrach rasch geklärt worden.

Barbara Kamm-Essig ist als Vorstandsmitglied in der Saftladen Nordrach eG für die Vermarktung zuständig.
Barbara Kamm-Essig ist als Vorstandsmitglied in der Saftladen Nordrach eG für die Vermarktung zuständig.

Zwei Monate, dann stand die Genossenschaft. Barbara Kamm-Essig wollte „die breitere Basis“ für das Projekt „Saftladen Nordrach eG“. Zehn Köpfe im Gemeinderat, alle dafür. „Wir hätten auch sagen können: Die Gemeinde macht das. Aber wir wollten, dass das aktiv mitgetragen wird und nicht nur aufgesetzt ist.“ Aktiv in dieser Genossenschaft Jahrgang 2011 sind – mit Grundanteil 100 Euro, maximal 2.500 Euro – auch „Leute, die mit Landwirtschaft nichts am Hut hatten“. Jetzt sind es 24 Mitglieder. „Genug Kapital, um das betreiben zu können.“ Alle angetrieben von der Idee, dass Streuobst, das, so Barbara Kamm-Essig, „keiner haben will, Gewinn bringen kann. Diese Äpfel sind Natur, manchmal hässlich, nicht glatt und schön“, ungedüngt und ungespritzt auf den Steillagen der Schwarzwald-Ausläufer, die mühevoll zu pflegen sind.

Das ist die Besonderheit. Genau das macht das Produkt so wertvoll. Streuobst aus dem Gebiet um Nordrach ist zur geschätzten Spezialität geworden, veredelt zu Apfelsaft aus der handlichen Box mit Zapfhahn, auch 2014 auf die Spitze getrieben zu sortenreinem perlfrischen Secco aus den Bohnäpfeln der Region. Die Streuobst-Zulieferer kommen inzwischen aus dem Umkreis von 40, 50 Kilometern zum Lohnbetrieb-Dienstleister in Oberharmersbach, „die Oma mit einem Baum und auch mal einer mit zwei, drei Tonnen“, freut sich die Initiatorin. Gut an der gemeinsamen Aktion: „Die Leute wissen, was passiert.“ Die Zulieferer sammeln die Ernte auf ihren Baumwiesen und sortieren Qualität, melden die Menge an, bringen die Äpfel, die gewogen werden, in der Saftpresse landen und später in der marktfähigen Box. Pro 100 Kilogramm Saft gibt es 15 Euro; für die Bohnäpfel, die für die alkoholische Vergärung bestimmt sind, „sortenrein, ohne Zusatz, beste Voraussetzung für den Secco“, 20 Euro. Dieser Apfel, eine alte Sorte, unterschiedlich von winzig bis ganz groß, ist Ende Oktober einer der spätesten der Region. Der Baum ein Individualist, nicht auf Leistung gezüchtet: Alle zwei Jahre trägt er, macht Pause und produziert dann wieder.

Wir arbeiten sehr sorgfältig und achten auf Qualität

Freitags ist Presstag in Oberharmersbach, wo im Auftrag der Genossenschaft gearbeitet wird.  Jeder Sack Äpfel wird geprüft und gewogen. „Wir arbeiten sehr sorgfältig, achten auf Qualität“, sagt Barbara Kamm-Essig, „die Äpfel müssen frisch geerntet sein“. Die Marktpreise liegen zwischen 2 bis 3 Euro, hier jedoch von 15 bis 20 Euro. „Es muss sich lohnen, die Äpfel aufzuheben“, gibt sie zu bedenken. „Aber das sind Schätze“, sagt sie aus Achtung gegenüber Baum und Landschaft. Mit dem Betriebswirt Alexander Zimmerer bildet sie den Vorstand der Genossenschaft. Er ist zuständig für Buchhaltung und Steuern, sie für Einkauf, Verkauf, Vermarktung.

Die junge Idee ist gereift, trägt Früchte, die vierte Ernte ist 2014 eingefahren, 3.000 Liter reiner naturtrüber Apfelsaft sind gewonnen und 3.500 Liter Saft aus Bohnäpfeln. Sie werden in der 230 Kilometer entfernten Manufaktur Jörg Geiger in Schlat bei Göppingen zu Secco veredelt, 4.200 Flaschen mit köstlichen 0,75 Liter Inhalt, zartgelb vom Apfel und Holunderblüten, rot, sanft erdig, bodenständig von der schwarzen Johannisbeere. Und: 520 Apfelbäume sind jetzt im Nordracher Tal in finanzieller Gemeinschaftsinitiative mit dem Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord neu gepflanzt, „auch weil es den Saftladen“ gibt.

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