Die GESTE geht an den Start: Die Genossenschaften in Baden-Württemberg unterstützen künftig Entwicklungsprojekte im Ausland mit einer eigenen Stiftung. Zum Genossenschaftstag am Samstag, 6. Juli, in Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) erhält die genossenschaftliche Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit – kurz „GESTE – Baden-Württemberg“ – ihre offizielle Anerkennungsurkunde. Bei der Veranstaltung auf dem Leopoldsplatz der Neckar-Gemeinde präsentieren sich die Genossenschaften im Südwesten mit ihren vielfältigen und erfolgreichen Geschäftsmodellen – von Banken über Handwerk und Handel bis zu Landwirtschafts- und Energiegenossenschaften. Sie alle eint die ebenso traditionsreiche wie moderne Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG). Im Südwesten gibt es derzeit knapp 850 Genossenschaften – und ihre Zahl steigt stetig.
„Wir freuen uns sehr, dass wir durch die GESTE – Baden-Württemberg unser Engagement in der genossenschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit ausweiten können. Das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert in allen Staaten der Erde – nicht zuletzt in Entwicklungsländern“, sagt Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV) und zugleich Vorsitzender des Stiftungsvorstands. Ihm wird der Stuttgarter Regierungspräsident, Johannes Schmalzl, am 6. Juli in Eberbach offiziell die Stiftungsurkunde überreichen. Zweck der GESTE – Baden-Württemberg ist es, die genossenschaftliche Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Es sollen Projekte des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV), aber auch andere Projekte mit genossenschaftlichem Bezug unterstützt werden, beispielsweise solche der baden-württembergischen Landesregierung. Das Stiftungsvermögen beträgt zunächst 100.000 Euro. Durch weitere Zuwendungen des BWGV, seiner Mitglieder und auch Dritter soll es kontinuierlich anwachsen.
Genossenschaft – Zukunftsmodell mit großer Tradition
Beim Genossenschaftstag (Link zum Programm), der am Samstag, 6. Juli, um 9.45 Uhr von BWGV-Präsident Glaser und Peter Reichert, dem Bürgermeister von Eberbach, eröffnet wird, zeigt sich die enorme Vielfalt der 160 Jahre alten Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft. „Baden-Württemberg kann getrost als das Land der Genossenschaften bezeichnet werden“, sagt Glaser im Vorfeld der Veranstaltung. Denn mit fast 3,7 Millionen Menschen ist mehr als jeder dritte Einwohner im Südwesten Mitglied einer Genossenschaft. Jeweils am ersten Samstag im Juli präsentiert sich die „genossenschaftliche Familie“ in einer Stadt in Baden-Württemberg und macht ihre Rechts- und Unternehmensform für alle Interessierten erlebbar. In Eberbach sind neben der örtlichen Volksbank Neckartal die Kaminbauer der Hagos eG, die Bikeage eG, die Energie + Umwelt eG, die Winzergenossenschaft Schriesheim, die ZG Raiffeisen, EnoCom und der Gewinnsparverein Südwest vertreten. „Sehr gerne sind wir – die Stadt Eberbach am Neckar – Gastgeber für den Genossenschaftstag.
Wir freuen uns auf ein abwechslungsreiches und interessantes Programm und natürlich auf die verschiedenen Genossenschaften, die sich und ihre Arbeit an diesem Tag präsentieren“, sagt Bürgermeister Reichert.
„Die eingetragene Genossenschaft boomt seit etlichen Jahren – und das völlig zu Recht“, sagt BWGV-Präsident Glaser. So hat sich die Zahl der Genossenschaften seit 2009 von knapp 750 auf beinahe 850 erhöht. Allein 2012 gab es 37 Neugründungen, im Jahr zuvor waren es sogar 57. Das liege an der Energiewende – aber nicht nur. „Genossenschaften haben einen gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag“, ist Glaser überzeugt. Die eG eignet sich hervorragend zur Bewältigung vieler Zukunftsherausforderungen – etwa in den Bereichen Pflege und neue Wohnformen, bei der örtlichen Nahversorgung oder im Bereich Bildung, so Glaser. So wenig Genossenschaften aus den traditionellen Wirtschaftsbereichen Landwirtschaft, Handel, Handwerk und Banken wegzudenken sind, so sehr erobern sie neue Felder. So wurden in den vergangenen viereinhalb Jahren mehr als 100 Energiegenossenschaften gegründet – allein in Baden-Württemberg.
Genossenschaften genießen zu Recht großes Vertrauen bei den Menschen, weil sie sich mit ihren seriösen und regionalen Geschäftsmodellen immer wieder als ein Hort der Stabilität erweisen. „Das hat sich ganz besonders in der Finanzmarktkrise gezeigt“, sagt BWGV-Präsident Glaser. „Noch nie hat ein Kunde einer Volksbank oder Raiffeisenbank auch nur einen Cent seiner Einlagen verloren.“ Darüber hinaus sind Genossenschaftsbanken seit mehr als 150 Jahren zuverlässige und faire Partner des Mittelstands in Deutschland – gerade auch in schwierigen Zeiten.
Volksbanken und Raiffeisenbanken mit fast 3,5 Millionen Mitgliedern
„Mitbestimmung, Transparenz, Bodenständigkeit, Vertrauen und Einzigartigkeit zeichnen Genossenschaften aus. Fast 44.000 Mitglieder unserer Volksbank belegen dies“, sagt Ulrike Winterbauer, Vorstandsmitglied der Volksbank Neckartal, des Gastgeber-Instituts des Genossenschaftstags in Eberbach. „Die genossenschaftliche Tradition im Neckartal hat die letzten 148 Jahre überdauert. Der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns“, versichert Winterbauer. Im Jahr 2015 feiert die Volksbank ihr 150-jähriges Bestehen. Mit dem nachhaltigen und regionalen Geschäftsmodell ist die Volksbank Neckartal „unabhängig und von den seit Jahren andauernden Krisen nur am Rande betroffen“. In Baden-Württemberg gibt es aktuell 226 Volksbanken und Raiffeisenbanken, die mit 24.200 Mitarbeitern ein Geschäftsvolumen von 133 Milliarden Euro betreuen und fast 3,5 Millionen Genossenschaftsmitglieder haben. Seit der Finanzmarktkrise 2008 steigt die Zahl der Mitglieder erfreulicherweise deutlich an.
Auch Kachelofenbauer nutzen die Vorteile der Kooperation
Die Vorteile der Rechtsform der eG schätzen aber auch andere Branchen – etwa Kachelofenbauer. „Die Genossenschaft macht möglich, was für die Mitglieder von Hagos ganz selbstverständlich ist: Beim Kunden kann auch der Kleine auftreten wie ein ganz Großer“, sagt Guido Eichel, Vorstandschef der Hagos eG. Der Verbund deutscher Kachelofen- und Luftheizungsbauerbetriebe mit Sitz in Stuttgart existiert bereits seit 1919 und hat gut 1.100 Mitgliedsbetriebe. „Hagos ist weit mehr als nur ein Großhändler“, sagt Eichel. So biete man unter anderem ein umfangreiches Sortiment mit 30.000 Artikeln und die bundesweite Belieferung aus zehn Lagern an. Produktschulungen und Weiterbildungsseminare zählen laut dem Hagos-Vorsitzenden ebenso zum Service wie Messeunterstützung oder Hilfestellung bei der Öffentlichkeitsarbeit. „Und nicht zu vergessen ist die Lobbyarbeit“, so Eichel. Insgesamt gibt es im Südwesten 252 gewerbliche Genossenschaften, die mit 4.700 Mitarbeitern rund 5,1 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften.
Landwirtschaft im Südwesten ohne Genossenschaften undenkbar
„In der Landwirtschaft haben Genossenschaften eine lange Tradition und auch heute spielen sie eine wichtige Rolle – zu Recht. Denn die moderne Landwirtschaft ist ein komplexes, hochtechnisiertes und internationales Geschäft, in dem verlässliche Partner gebraucht werden“, sagt Christina Schnoklake, Pressesprecherin der Karlsruher ZG Raiffeisen eG, der mit deutlichem Abstand größten und wichtigsten landwirtschaftlichen Genossenschaft in Baden-Württemberg. „Landwirtschaftliche Genossenschaften sind nicht nur wichtige Handelspartner der Landwirte, sie sind auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber im ländlichen Raum.“
Die ZG Raiffeisen, die 1911 als Selbsthilfeorganisation der badischen Bauern begann, ist heute eine moderne Unternehmensgruppe mit knapp 3.300 Mitgliedern, zirka 1.900 Mitarbeitern, 1,6 Milliarden Euro Umsatz im vergangenen Jahr und einer konstanten Ausbildungsquote von etwa zehn Prozent. Mit dem klassischen Agrargeschäft, das heißt der Versorgung der Landwirte mit Betriebsmitteln wie Futter, Dünger und Maschinen sowie der Erfassung und Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, hat die ZG Raiffeisen im vergangenen Jahr knapp 50 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaftet. Der übrige Umsatz wurde im Verbrauchergeschäft erzielt – im Energie- und Baustoffhandel sowie in den Märkten für Haus- und Gartenbedarf. Insgesamt erwirtschaften die 357 landwirtschaftlichen Raiffeisen-Genossenschaften im Südwesten einen Umsatz von knapp 3,7 Milliarden Euro – mit Getreide, Obst, Gemüse, Milch, Wein und vielem mehr. Sie beschäftigen fast 5.500 Mitarbeiter im gesamten Bundesland.
Diese enorme Vielfalt der genossenschaftlichen Gruppe kann jeder am 6. Juli in Eberbach erleben. Daneben ist natürlich auch für Unterhaltung gesorgt: Auftritte von preisgekrönten Gruppen der regionalen Musikschulen stehen ebenso auf dem Programm des von Radio Regenbogen unterstützten Genossenschaftstags wie des örtlichen Volksbank-Chors und des Sängers Engelstaedter, der am Stand der Volksbank Neckartal auch Autogramme geben wird.