Zum Jahresauftakt fanden in Straßburg Gespräche mit europapolitischen Mandatsträgern aus Baden-Württemberg statt. Hierbei konnten wichtige europapolitische Anliegen diskutiert und weitere Entwicklungstendenzen besprochen werden.
Zum 8. Mal fand vom 22. bis 25. Mai 2014 die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Das alle fünf Jahre gewählte Europäische Parlament ist in seiner aktuellen Zusammensetzung deutlich konservativer und europaskeptischer, aber auch bunter. Eine Neuerung war die Nominierung des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament. Der neugewählte Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hatte dabei zehn Hauptziele für die Arbeit der Europäischen Kommission definiert, welche in der Amtszeit der Kommission von 2014 bis 2019 nun realisiert werden sollen:
- neue Impulse für Wachstum, Beschäftigung und Investitionen
- eine robuste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzpolitik
- ein vertiefter und fairerer Binnenmarkt mit gestärkter industrieller Basis
- eine vertiefte und fairere Wirtschafts- und Währungsunion
- ein vernünftiges und ausgewogenes Freihandelsabkommen mit den USA
- Steuergerechtigkeit in Europa
- ein Paket für den digitalen Binnenmarkt
- eine Union des demokratischen Wandels
- Entwicklung einer neuen Migrationspolitik
- eine Handels- und Investitionsstrategie
Viele dieser europapolitischen Initiativen stehen noch am Anfang, werden jedoch in den nächsten Monaten an Kontur gewinnen. Die genossenschaftliche Interessenvertretung wird dabei die Entwicklungen in den relevanten Bereichen eng begleiten und sich für die Belange der baden-württembergischen Genossenschaften einbringen.
Genossenschaftlicher Waren-Abend
In diesem Kontext fanden am Mittwoch, 14. Januar, der zweite „Genossenschaftliche Waren- Abend“ und am Folgetag mehrere finanzpolitische Fachgespräche im Europäischen Parlament statt. An diesem Austausch haben neben den BWGV-Vorständen Dr. Roman Glaser und Gerhard Schorr auch folgende Mitglieder und Partner des BWGV teilgenommen; Guido Eichel (Hagos eG), Dr. Ewald Glaser (ZG Raiffeisen eG), Dr. Pierre Klein (VR-Kooperation Deutschland- Frankreich), Simon Lang (Metzger-Juniorenkreis Baden/Elsass), Friedrich Schill (Winzergenossenschaft Oberbergen im Kaiserstuhl eG), Volker Schmitt (FGS Fleischerei- & Gastronomie-Service Baden eG), Dr. Martin Süß (Bettenring eG), Andreas Lorenz (Volksbank Karlsruhe eG) und Claus Preiss (Volksbank Bühl eG).Der gut besuchte „Genossenschaftliche Waren- Abend“ wurde unter Mitwirkung von MdEP Norbert Lins ausgerichtet. Neben Mitgliedern des Verbandspräsidiums nahmen baden-württembergische Europaabgeordnete verschiedener Fraktionen an dem Austausch teil. Begleitet durch eine Weinprobe mit dem Schwerpunkt auf Jungwinzerprojekte wurden zentrale europapolitische Themenstellungen diskutiert und Auswirkungen auf Genossenschaften gemeinsam bewertet. Neuere Gesetze der europäischen Agrarpolitik wie beispielsweise die Verordnung zum Anbau von gentechnisch veränderten Organismen wurden hierbei ebenso diskutiert wie die praktischen Auswirkungen der Fleischkennzeichnung. In einem offenen Austausch legten die Parlamentarier die Intentionen der verschiedenen Gesetze dar und erläuterten den politischen Prozess der Gesetzgebung. Hierbei zeigten die Parlamentarier auf, dass oftmals Kompromisse notwendig sind, um die Interessen der baden-württembergischen Landwirtschaft in einem Europa mit 28 Mitgliedstaaten effektiv vertreten zu können. Die Mandatsträger zeigten sich offen, auf Folgeprobleme der Gesetzgebung einzugehen und bei der Überprüfung der Gesetzeslage die Bedenken der Genossenschaften für Nachbesserungen der Rechtslage aufzunehmen. BWGV-Präsident Roman Glaser nahm dies zum Anlass, auch die sehr gute Zusammenarbeit hervorzuheben, die sich in der aktuellen Legislaturperiode des europäischen Parlaments uneingeschränkt fortsetzt. Sehr beindruckt zeigten sich die Abgeordneten von der Vielfalt und der Leistungsfähigkeit der Genossenschaften in Baden-Württemberg. Die enge Vernetzung mit der Region, die hohe Wertschöpfung vor Ort und das regionale Geschäftsmodell vieler Genossenschaften wurden als tragende Bestandteile der mittelständischen Wirtschaft erkannt. Dies, so die Abgeordneten, sei auch ein wesentlicher Grund, dass die deutsche Wirtschaft im europäischen Vergleich sehr stark sei und somit mit ihrer mittelständischen Wirtschaft auch ein Leitbild in Europa darstelle. Dabei gelte es, dass historisch bewährte Strukturen nicht einer ausufernden Harmonisierung und Konvergenz zum Opfer fallen. Als aktuelles Beispiel wurde der Small Business Act (SBA) beleuchtet, welcher die Gefahr einer Aufweichung der bewährten Beratung und Prüfung von Genossenschaftsgründungen beinhalten könnte. So sprachen sich die Parlamentarier gleichermaßen gegen die Einführung einer „Genossenschaft-Light“ aus.
Finanzpolitische Themen besprochen
Am Folgetag standen finanzpolitische Themen im Mittelpunkt. Gemeinsam mit Vertretern des Sparkassenverbands Baden-Württemberg wurde die aktuelle Lage der Genossenschaftsbanken und Sparkassen in einem europäischen Kontext mit zentralen europapolitischen Entscheidungsträgern besprochen. In Gesprächen mit MdEP Peter Simon, MdEP Dr. Andreas Schwab und MdEP Michael Theurer wurden der aktuelle Umsetzungsstand der Bankenunion kritisch reflektiert und die Probleme bei der praktischen Umsetzung beleuchtet. Besonderheiten der deutschen Bankenlandschaft, die in ihrer historisch gewachsenen Struktur in Europa eine besondere Stellung einnimmt, seien eng verflochten mit der Realwirtschaft und trügen daher maßgeblich zur wirtschaftlichen Stabilität Deutschlands bei. In diesem Zusammenhang wurde von den Mandatsträgern Verständnis geäußert, dass die Proportionalität und Differenzierung in der regulatorischen Gesetzgebung stärker an Gewicht gewinnen muss.
Hierbei wurden wesentliche Anliegen der beiden Verbundgruppen aufgegriffen und eine parlamentarische Bewertung der gesetzlichen Folgewirkungen angekündigt. Gleichermaßen wurden Möglichkeiten eruiert, um besonders den Dialog mit den europäischen Aufsichtsbehörden zu verbessen. Breiter Konsens herrschte bei der Einschätzung, dass die politischen Ziele der Regulierung durch eine teilweise expansive Gesetzesauslegung der nachfolgenden Verwaltung nicht mehr den originären politischen Zielsetzungen entsprächen. Dies wurde ebenso im Bereich des Verbraucherschutzes für die Mandatsträger ersichtlich. Breite Zustimmung erhielt Roman Glaser zu der Einschätzung, dass gegenwärtig eine Scheinsicherheit erzeugt wird in der Bankberatung, welche weder im Sinne des Kunden noch der Bank ist. Der zweitägige intensive Austausch mit den europapolitischen Entscheidungsträgern stellte einen wesentlichen Auftakt im Baden-Württembergischen Jahr der Genossenschaften 2015 dar. Die genossenschaftliche Interessenvertretung kann somit auf eine breite Unterstützung bei den Parlamentariern aufbauen und dies auch bei kommenden Aktivitäten zur Geltung bringen.